"Sie wird das Gesicht unseres Landes verändern", meint Ulla Hahn, eine der zehn Frauen, die in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" über die Zukunft unter einer Kanzlerin rätseln. Was mag das Gesicht eines Landes sein? Seine Wirkung nach außen, sein Kenntlichkeit, seine Maske? Die Dichterin glaubt, dass, ausgelöst durch eine Kanzlerin, künftig gefragt werden wird "Wo sind denn hier die Frauen?" Und sie meint es nicht ironisch, obwohl sie alt und klug genug sein müsste, sich an Frau Thatcher zu erinnern. Die Schauspielerin Katrin Sass, die an die geradezu naturwüchsige Emanzipation der Frauen in der DDR denkt und daran: "Dass man viel mehr schaffte als ein Mann!", hofft anlässlich der Merkelei, "dass sie ihren Job als Kanzlerin gut packt. Damit das Mittelalter endlich vorbei geht." Liebe Frau Sass, wenn es nach der Dame Merkel geht, dann haben wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen das Mittelalter gerade vor uns.

Viele der von der "FAZ" befragten Frauen unterliegen einem allfällige Missverständnis, denn Frauen können natürlich alles was Männer auch können: Dem Irak-Krieg zustimmen, Armut billigend in Kauf nehmen, wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen fällen und, zur Verschleierung ihrer wirklichen Absicht, dummes Zeug erzählen. Von Golda Meir, der einstigen israelischen Ministerpräsidentin, wird erzählt, sie sei der einzige Mann im damaligen Kabinett gewesen und Margaret Thatcher hatte keine Mühe den Falkland-Krieg anzuzetteln, wenn der denn nur Wählerstimmen versprach. Das besonders Weibliche, wie immer man es finden mag, ist Ergebnis von Konvention, wenn nicht gar Unterdrückung. Auf den Höhen der Macht löst es sich auf und beweist in diesem Verflüchtigungprozess die wahre Natur der Geschlechterfrage: Sie ist gesellschaftlich, nicht biologisch.

Die Produzentin Regina Ziegler glaubt, "Es wird sich sicher im Stil des Regierens etwas ändern, und da der Stil nicht nur aus Äußerlichkeiten besteht, sondern immer auf Sachfragen sich bezieht, wird sich sicher einiges ändern." Da hatte unsereiner gedacht, dass der Grundsatz "form follows function" auch in der Politik gelte und wird nun von Frau Ziegler eines Schlechteren belehrt: Soll dieses festgefrorene Grinsen der Wahlkämpferin Merkel, der "Hosen-Anzug-ich-bin-eine-Karrierefrau-Stil" wirklich die Inhalte der nächsten deutschen Jahre bestimmen? Wird die kalte Glätte einer Politikerin, die konsequent ihre soziale Herkunft leugnet, gegen die eine Reagenzglasgeburt hygienisch bedenklich wirkt, tatsächlich die Sachfragen des Regierens bestimmen? Ich fürchte, ja.

Die Rechtsanwältin Dornier-Tiefenthaler "will eine Pilotin, ich will eine Anwältin - und ich will eine Frau als Kanzlerin." Tatsächlich muss man nichts gegen eine Kanzlerin haben, nur gegen diese. Deshalb ist die Forderung der Anwältin "Frau Merkel die Arbeit durch Solidarität zu erleichtern" auch so fatal. Solidarität brauchen dringend die allein erziehenden Mütter die von Harz IV leben müssen. Auch die streunenden Mädchen, Kinder aus arbeitslosen Haushalten, junge Frauen, denen man nie eine Lehrstelle angeboten hat, wären gute Objekte unserer Solidarität. Weil wir bereits heute, vor den tradierten 100 Tagen, die man einer neuen Regierung als Schonfrist geben soll, wissen: Frau Merkel kennt diese Frauen nicht und will sie auch nicht kennen lernen, die Kanzlerin will die Macht, nicht die Menschen.

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