Der Liedermacher Stefan Koerbel antwortet dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx mit einem offenen Brief

Sehr geehrter Herr Erzbischof,

was würden Sie davon halten, wenn irgendein kecker Mensch, nehmen wir der Vollständigkeit halber mal an er hört auch noch auf den Vornamen Jesus, wie es ja in Lateinamerika oft vorkommt, ein Buch auf den Markt schmeißen würde unter dem Titel “Die Bibel” ? - Absurd, nicht wahr? Ein Aufschrei ginge durch die zivilisierte Welt. Religiöse Gefühle verletzt! Wie praktisch für sie, daß gläubige Menschen da eine Art Artenschutz genießen. Den Anderen hingegen ist alles zuzumuten, die kennen ja sowieso keine Werte....

Aber so ernst ist es ja gar nicht. Eher ein bißchen lächerlich. Die kurzen Äußerungen in dem Interview, das Sie dem Deutschlandradio Kultur gewährten, lasssen eher vermuten, daß Ihre Auseinandersetzung mit Marx wirklich nicht sehr tiefgründig gewesen sein kann.

Erstens. Sie betonten mehrfach, Marx wäre es nicht um den Menschen gegangen, er hätte lediglich eine ökonomische Analyse vorgelegt. - Nichts falscher als das. Der Ursprung des Marxschen Ansatzes, die frühen Schriften belegen das, geht um das Phänomen der Entfremdung und deren Aufhebung. Und erst dieser Ansatz führt Marx zu der Notwendigkeit, Ökonomie zu betreiben. Sie war ihm nie Selbstzweck.

Worauf Sie sich beziehen, das ist allenfalls der halbe Marx. Und das erinnert fatal daran, daß auch der Parteimarxismus der verblichenen DDR nie den ganzen Marx wollte. Es gab einen harten Durchsetzungskampf von engagierten Intellektuellen um Marx’ Frühwerk. Am weitesten ging und am mutigsten war Rudolf Bahro mit seinem Buch “Die Alternative”. Sie müßten das alles eigentlich wissen. Blenden es aber offenbar einfach aus. Mit sehr erkennbarem Grund....

Zweitens. Marx weist gerade nach, daß es absurd ist, von Kapitalisten zu erwarten, sie könnten sich moralisch verhalten. Ganz im Gegenteil: wolln sie als Kapitalisten bestehen, müssen sie gerade auf die Moral pfeifen, bei Strafe des Untergangs. (Aus ganz anderm Ansatz, nämlich dem der Psychoanalyse, kommt Erich Fromm um 1950 zu ganz ähnlichen Aussagen). Die Konsequenz kann nur sein: nicht die Manager sind schlecht, sondern das System ist falsch!

Ein bißchen davon scheint nun zu dämmern. Auch diejenigen, die vor paar Wochen noch alle Regulierung als Teufelszeug verdammten, reden nun von einem Ordnungsrahmen, der dem Markt angelegt werden müssen. Sehr was anderes scheint ja auch Ihnen nicht einzufallen. Aber, mit Verlaub: das nämlich grade ist ja Sozialismus! Im letzten und simpelsten Grund und im genauesten Sinne des Wortes ist Sozialismus die Vorrangigkeit des Gesellschaftlichen über dem Wirtschaftlichen.

Drittens. Auch Sie muten uns die alte Leier zu, daß bei Marx eben auch schon die ganzen menschenverachtenden Folgen angelegt gewesen wären.... Ojeh. Stalin war gewiß kein Marxist, er hat den Alten vielleicht nicht einmal gelesen. Es ist ungefähr so, also würde man die ganze blutige Inquisition, die Hexenverbrennung, die Borgia-Päpste, die unter dem Kreuz begangenen Schweinereien der Kolonisationsgeschichte und den verbrecherischen Schwachsinn eines George W. Bush dem lieben Herrn Jesus in die Schuhe schieben !!

Sie verheben sich, Hochwürden. Der Londoner Marx scheint für den Münchner ein bißchen zu schwer zu sein.

Ein bissel kleiner hätte ja vielleicht auch was gebracht, wenn man die bösen Auswüchse anprangern will. Zum Beispiel: Wann erklärt ein katholischer Theologe mal uns staunendem Publikum, warum das Zins- und Wucherverbot, über Jahrhunderte ein christliches Essential , in der heutigen christlichen Soziallehre keine Rolle mehr spielt?

(Fußnote: eine auch historisch sehr interessante Geschichte. Bei der Kaiserwahl von 1519 - Karl V., die Bestechung der Kurfürsten durch die Fugger usw. - scheint da ganz groß an der Uhr gedreht worden zu sein....)

Nun denn, Herr Bischof: Ihre Furcht, der Marxismus würde eine Renaissance erleben, erfreut mir das Herze. Das wird er, fast möchte ich sagen: Gottseidank. Etwa so sicher wie das Amen in ihrer Kirche. Ich wünsch Ihnen weiterhin frohe Marx-Lektüre. Ich meinerseits lese auch gern in der Bibel. Ein großartiges
Märchenbuch.

Mit sozialistischem Gruß!


Stefan Körbel

Kommentare (4)

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Bischof Marx treibt es noch toller: Auf dreihundert Seiten warnt der vor frühere Professor für Sozialethik vor einem ungebändigten Kapitalismus. Leider analysiert er nicht die Vatikan-Bank. Aber immerhin: "Wilde Spekulation ist Sünde", sagt er.

Otto Gerber
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Das ist wie mit Sex: Ob wild oder nicht, außerhalb der Ehe (der KOntrolle des Staates). Verboten.

Uli Gellermann
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Immerhin hätte Koerbel auch erähnen können, dass Bischof Marx einen "dritten Weg" einfordert, das ist mehr als man von der Regierung hören kann.

Ellen Weber
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Beim genauerem Lesen des katholischen Marx ist der Holzweg erkennbar.

Uli Gellermann
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