"Herr Doktor Gniffke, Herr Doktor Gniffke,“ hechelte der neue Volontär hinter dem Chef von ARD-aktuell hinterher. „Herr Doktor Gniffke, ich hab hier einen dicken Fall von Antisemitismus!“ Gniffke: „Ach, ja, wer hat den denn bemerkt?“ - Volontär: „Der israelische Parlamentspräsident, Reuven Rivlin.“ - Dr. Gniffke: „Dann auf den Redaktionstisch damit. Was war denn da los?“ - Volontär: „Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Oleg Ljaschko verlangte von Rivlin eine Entschuldigung für seine Äußerung, unter den Ukrainern hätte es damals viele Nazi-Mithelfer gegeben.“ - Dr. Gniffke: „Ach so, nein, das ist keine Meldung.“
Volontär: „Aber dieser Ljaschko ist Mitbegründer des ukrainischen Nazi-Kampfverbandes Asow. Und außerdem nennt ihn Amnesty International einen Folterer, und er hat sogar gegen ein TV-Team körperliche Gewalt angewandt, also da müssten wir doch schon aus Solidarität . . .“ - Dr. Gniffke: „Nun hören Sie mal gut zu, junger Mann, da können Sie was lernen: Die Ukraine ist ein Bollwerk gegen Russland. Die zu kritisieren schwächt die NATO. Und was ist die NATO? Das Bündnis der Freiheit. Klar? - Volontär: „Aber der Mann ist ein übler Antisemit.“ - Dr. Gniffke: „Wer Antisemit ist, bestimme ich!“
Programmbeschwerde zum Thema Babij Jar
http://www.tagesschau.de/ausland/kiew-gedenken-gauck-101.html
Werte Rundfunkräte, werter Intendant,
laut Programmrichtlinien des Rundfunkstaatsvertrages ist der NDR verpflichtet, umfassend und objektiv über wichtige Ereignisse zu berichten, und zwar so, dass dem Publikum eine Einordnung der Nachricht ermöglicht wird. Dieser Voraussetzungen werden in der Tagesschauberichterstattung nicht erfüllt.
Im Tagesschau-Beitrag über das Massaker in Babij Jar war Gaucks Redebeitrag in einer wichtigen Sequenz zutreffend wiedergegeben worden. Völlig "daneben" waren dann aber die Ausführungen der Reporterin: Gaucks Auftritt sei eine "starke Geste" gewesen. "Erstmals wird somit im Rahmen der europäischen Familie des Massakers von Babij Jar gedacht als Teil der europäischen Geschichte".
Es war keine "starke Geste", sondern eine selbstverständliche Pflicht des deutschen Bundespräsidenten, zum 75. Mord-Jahrestag den Ort deutscher Barberei an sowjetischen Juden aufzusuchen. Die von ARD-aktuell gewählte Sprache verrät die altbekannte Neigung deutscher Medienberichterstattung, beim Umgang mit deutschen Nazi-Verbrechen zu marginalisieren, indem zum Beispiel, wie im kritisierten Fall, ein selbstverständliches Bekenntnis zu deutscher Schuld und normale Geste des Anstands als "stark" überhöht wird. Das Massaker als "Teil der europäischen Geschichte" zu bewerten, ist an Dreistigkeit und Geschichtsklitterei kaum noch zu toppen, es ist eine Verhöhnung aller europäischen Opfer, die der deutschen Vernichtungsmaschinerie preisgegeben waren.
Zu beanstanden ist auch, dass mit keinem Wort auf die aktuellen faschistischen Tendenzen in der ukrainischen Gesellschaft eingegangen wurde. Im April d.J. hatten wir darauf hingewiesen, dass der ukrainische Parlamentspräsident Andrij Parubij ein berüchtigter ukrainischer Rechtsradikaler ist. Dass er zur Kiew-Entourage von Präsident Gauck gehörte, fand in der Berichterstattung keinerlei Erwähnung. Das zeigt, wie ungenügend und oberflächlich der von Berlin verordnete, exportverbessernde deutsche "Antifaschismus" in deutschen Redaktionstuben tatsächlich praktiziert wird. Bezeichnend dafür auch: Selbst, als in den Tagesschau-Foren Zuschauer darauf hinwiesen, dass in Kiew eine Straße nach dem ukrainischen Nazi-Kollaborateur Bandera benannt ist und dies auch hätte berichtet werden müssen, reagierte ARD-aktuell nicht. Ein Zeichen dafür, dass die Beschreibung der aktuellen rechtsextremistischen und faschistischen Tendenzen in der Ukraine unerwünscht ist und absichtlich vermieden wird.
Auch andere Informationen fehlten: Der israelische Präsident Reuven Rivlin hatte am 28.9.16 im ukrainischen Parlament eine Rede gehalten und daran erinnert, dass etwa 1,5 Millionen Juden auf dem Territorium der heutigen Ukraine getötet worden seien. Dabei seien viele Ukrainer Mithelfer der Nazis gewesen, und zwar vor allem OUN-Kämpfer. Die Vizevorsitzende der Obersten Rada, Irina Geraschtschenko, nannte Rivlins Äußerungen unangebracht. Der Parlamentsabgeordnete Oleg Ljaschko verlangte von Rivlin gar eine Entschuldigung für seine Äußerung, unter den Ukrainern hätte es viele Nazi-Mithelfer gegeben.
Dass ARD-aktuell erneut über die besorgniserregenden rechtsextremen und faschistischen Strukturen und Tendenzen der Ukraine schweigt und wichtige Informationen sogar bei einem so wichtigen Erinnerungstag wie Babij Jar unterdrückt, passt zum Konzept des "Flaggschiffs". Bezogen auf Deutschland und deutsche Verhältnisse tut man so, als sei man gegen Rechtsextremismus. Beim Blick auf die Ukraine sind Schweigen und Verharmlosung angesagt. Eine Heuchelei, die in den Programmrichtlinien nicht vorgesehen ist.
F. Klinkhammer und V. Bräutigam