Scheinbar verblüfft, hie und da sogar empört, schauten Teile der deutschen Medien auf das Ergebnis der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen: Da hatte die Gewinner-Partei FDP – Gewinner, weil in ihr viele Gewinner aus der Steuervermeidung sitzen und weil sie gerne Gewinner-Koalitionen zur Sicherung von Pöstchen eingeht – obwohl sie bei der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 nur auf 5,005 Prozent der Stimmen kam, den Job des Ministerpräsidenten ermogelt. Kräftig geholfen hatte dabei die AfD und die CDU hatte Schmiere gestanden.
Während bei der Spuren-Suche nach den Ursachen der AfD-Gewinne immer kräftig auf den Osten eingeschlagen wird, fällt kaum auf, dass der Mann, der jetzt in Thüringen die AfD salonfähig machen wird, aus dem Westen kommt: Thomas Kemmerich von der FDP, als erfolgreicher Gegenkandidat zum LINKEN Bodo Ramelow aufgestellt, wurde in Aachen geboren und kam als Wende-Gewinnler aus dem Westen in den Osten und wandelte 1991 eine Produktionsgenossenschaft (PGH) des Friseurhandwerks profitabel zur Friseur Masson GmbH um. Nun ist er gerade dabei, die vielen Versprechungen der bürgerlichen Parteien "nie und nimmer" mit der AfD zu koalieren, in die Tonne zu treten und knüpft dabei an braune FDP-Traditionen an.
Gern werden die Sechziger mit ihrer 68er Phase als ziemlich progressiv gewertet. Doch wer sich diese Zeit der Bundesrepublik näher betrachtet, wird kräftige braune Spuren finden. Nur mühsam hatten die westlichen Alliierten ihr Stück Deutschland entnazifiziert: Weder wollte man ernsthaft der Groß-Industrie und der Hochfinanz an den Kragen, die Hitlers Machtergreifung unterstützt hatten, noch wurde der Beamtenapparat gründlich gesäubert. Und auch in den neuen Parteien der Bundesrepublik fanden sich immer wieder erhebliche Reste der Nazi-Zeit. Ein Muster von brauner Kontinuität war der Ritterkreuzträger und ehemalige Regimentskommandeur der Nazi-Wehrnacht Erich Mende. Er wurde zum Bundesvorsitzenden der FDP und setzte brav eine FDP-Tradition fort, die mit dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss einen Gründervater schätzte, der 1933 im Reichstag jenem Ermächtigungsgesetz zustimmte, das der NSDAP den Weg zur Macht bahnte.
Von Thomas Kemmerich ist nichts unmittelbar Braunes bekannt. Er gehört nur zu den vielen Politikern der Bundesrepublik, die einen Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus vehement bestreiten würden. Was Kemmerich allerdings nicht bestreitet: "War mit Lindner permanent im Kontakt“; der smarte Besserverdiener und FDP-Chef Christian Lindner war also über den Trick, mit dem Parlament und Öffentlichkeit veralbert wurden, informiert, wie zweifellos auch die thüringische CDU-Führung in das Schurkenstück verwickelt war. So hebelt man den Parlamentarismus aus und macht ihn zu einer Lachnummer. Frau Merkel hatte faktisch jüngst die Weichen gestellt: Als es um eine mögliche Koalition der Thüringer CDU mit der LINKEN ging, fiel ihr ein: „Deshalb gibt es ja eine Beschlusslage, wonach die CDU mit der Linkspartei nicht zusammenarbeitet.“ Ohne zumindest eine erklärte Tolerierung der Linkspartei war bei den Mehrheitsverhältnissen im Thüringer Parlament genau das möglich, was jetzt scheinheilig beklagt wird: Die Aufnahme der AfD in den Reigen der „demokratischen“ Parteien.
Nun hat Thomas Kemmerich angekündigt, vielleicht zurückzutreten und vielleicht den Landtag in Erfurt aufzulösen zu wollen. Der öffentliche Druck war scheinbar zu stark, auf die Kumpanei von CDU und FDP. Aber Teile der Thüringer CDU haben die Auflösung des Landtags schon abgelehnt. Es werden Wetten dafür angenommen, dass sich mit den Alibi-Worten „demokratische Verantwortung“ jemand finden wird, der die Thüringer Farce zu einer staatspolitisch notwendigen Aufführung erklärt. Und selbst wenn der FDP-Mann zu seinen Versprechen stehen sollte: Der AfD wurden die Weihen eines seriösen Gesprächspartners zuteil, ein Partner, der die anderen Parteien prima aufmischen kann.
Die AfD hat ihre erheblichen parlamentarischen Positionen mit der PEGIDA-Bewegung auf der Straße erkämpft. Sie hat sich erfolgreich als Opposition verkleiden dürfen. Nicht selten hat sie dabei einen Platz einnehmen können, den zuvor die LINKE inne hatte. Jetzt sondieren Linke, SPD und Grüne in Thüringen die Möglichkeit eines Misstrauensvotums gegen den FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. Dass die AfD nichts anderes als die Nachgeburt der CDU ist, dass sie in wirtschaftlichen und militärischen Fragen den Kurs der GroKo fährt und sich konsequent zum Freund Israels erklärt, solch inhaltliche Fragen spielen in der öffentlichen Empörung keine Rolle. Man bleibt formaldemokratisch. Da kann das Lachen schnell im Halse stecken bleiben.