Von Fußballzwergen schreibt der Sportjournalismus, wenn er die kleinen Länder mit der geringen Fußballerfahrung charakterisieren will. Albanien gehört zu diesen Ländern oder Luxemburg. Im Kehrschluss wird dann meist aus der deutschen Mannschaft ein Riese, eine Truppe mit Riesen-Talenten, Riesen-Erfahrungen und Riesen-Chancen. Auch außerhalb des Fußballs hält die Mainstream-Presse das Deutschländchen zumindest für einen Geistes- und Wirtschaftsriesen. Im Spiegel dieser Medien gehören Frauen wie Merkel und Männer wie Röttgen seit der Klimakonferenz in Cancun unbedingt zu diesen Giganten. Ganz anders wird Evo Morales, der bolivianische Präsident gewertet. Er wird zum Zwerg erklärt.

Focus-Online bezeichnet ihn, wegen seiner Kritik an den Ergebnissen der Klimakonferenz, als Hund, der bellt während die Karawane weiterzieht. Die Deutsche Presseagentur schustert eine Scheinanlayse zusammen und ist sich sicher: "Man kann es sich leicht machen, wie Evo Morales". Und "Zeit Online" titelt strafend: "Bolivien blockiert Klimakompromiss". Denn Morales hatte während der Konferenz gewagt zu sagen: "Was hier bisher vor allem stattgefunden hat, ist eine Analyse dessen, was letztes Jahr in Kopenhagen passiert ist.“ Während doch die großartige deutsche Kanzlerin zu folgender Schlussfolgerung gekommen ist: "Wir haben heute in Cancun einen guten Schritt nach vorne gemacht".

Tatsächlich ist Deutschland mit seinen 82 Millionen Einwohnern, seinem Bruttoinlandsprodukt von 3,7 Billionen US-Dollar ein wirtschaftlicher Riese. Auf den Straßen des Landes parken große Autos, man ist Export- und Reiseweltmeister. Ganz sicher waren schon mehr Deutsche in Bolivien als Bolivianer in Deutschland. Der ökonomische Zwerg Bolivien, der mit seinen nur 11 Millionen Einwohnern, seinem Bruttoinlandsprodukt, das nur 39.78 Milliarden ausweist, kennt mehr Lamas als Autos und seine 33 Sprachen sind seiner Entwicklung fraglos hinderlich. Und doch ist die Wahrheit nicht an Geld gebunden.

In Cancun ist im Kern nur das Kyoto-Protokoll fortgeschrieben worden. Jenes sonderbare Umwelt-Schriftstück, in dem China noch als Entwicklungsland gilt, und das die USA nie unterschrieben haben. Alles was in Cancun notiert wurde, basiert auf einer Freiwilligkeit, die schon im Jahr zuvor in Kopenhagen ungenau und unzureichend analysiert wurde. Ein wirksamer Klimaschutz, so erklärt der Umweltverband BUND, ist erneut vertagt worden. Das in Mexiko verabschiedete Dokument ist ein einziger Konjunktiv: Die Industrieländer 'sollten' Pläne vorlegen, sie 'sollten' Mittel bereitstellen, sie 'sollten' einen Fonds organisieren. Konkrete Zahlen und Verantwortungen fehlen.

Evo Morales meinte, man sei nach Cancun gekommen „um den Völkern der Welt Hoffnung zu geben, um zu zeigen, wie wir den Planeten Erde retten können“. Und dann forderte er darüber hinaus, dass die reichen Länder ihre Hilfen für die Entwicklungsländer auf die Beträge aufstocken, die sie heute für Militär und Sicherheitskräfte ausgeben. Das kann natürlich die wirtschaftlichen Riesen nicht freuen. Sie mögen überhaupt nicht, wenn Zwerge mitreden. Und dann sagt der bolivianische Präsident auch noch: „Wir [müssen] tiefgründig die Krise des Kapitalismus kritisieren, die zur Klimakrise führt.“ So ein böses Wort wie "Kapitalismus" käme dem deutschen Umweltminister nicht in den Sinn. Ihm fällt zur Konferenz in Cancun ein: "Das ist wirklich ein großer Erfolg."

Zwar stehen die Merkels und Röttgens auf den Schultern eines Riesen. Aber es nutzt so wenig. Reichtum ist wie Anabolika: Die Muskeln wachsen, das Gehirn bleibt wie es ist. Rund 300.000 Menschen sterben jährlich durch die Folgen des Klimawandels, stellt die UN fest. Natürlich sterben sie in den armen Ländern. Vielleicht gaben die Bolivianer deshalb zu Protokoll, der Abschlusstext der Konferenz stelle einen "hohlen und gefälschten Sieg dar, der ohne Konsens zustande kam, und seine Kosten werden in Menschenleben gezählt". Das Land mag arm sein. Seine Vertreter sind reich an Verstand.