Der schwere politische Unfall Volker Kauder, zweimal hintereinander bereits "Bierbotschafter des Jahres", steuerte jüngst einen "Rückfall in die politische Steinzeit" zur angeheizten Atmosphäre des Ukraine-Konflikts bei. Natürlich meinte Kauder nicht den aktuellen Aufmarsch zum Gedenken an die brave, ukrainische "SS-Division Galizien" in Lemberg (Lwiw), die so tapfer an der Seite deutscher Truppen am Abschlachten von Juden und Polen beteiligt war. Auch die Minister der faschistischen Svoboda-Partei in der ukrainischen Putsch-Regierung waren ihm nicht steinzeitfällig. Seine Erregung galt vielmehr den von ukrainischen Oppositionellen gefangen genommenen Militärs, die als OSZE-Missionäre erst durch die Ukraine, dann durch die deutschen Medien geisterten. Mit dieser selektiven Wahrnehmung passte Kauder sich wunderbar der veröffentlichten deutschen Mehrheits-Meinung an.

Bis jüngst hatten die deutschen Medien eine nur schwer heilbare Neigung, die festgenommen NATO-Offiziere, unter ihnen vier Deutsche, als Teil der offiziellen OSZE-Beobachter-Mission zu verkaufen. In Wahrheit sind die in Zivil reisenden Militärs nicht im OSZE-Auftrag unterwegs. Vorgeblich wollten sich die NATO-Berufssoldaten unter Führung der Bundeswehr, so der Chef der Gruppe Oberst Axel Schneider, "ein Bild davon machen", "in welchem Zustand" die bewaffneten Verbände der Ukraine seien "und was sie leisten können, ob sie offensiv oder defensiv ausgerichtet sind". Das ist schön. Mitten in einem beginnenden Bürgerkrieg stolperte eine NATO-Observationsgruppe durch die Ukriane, um sich den Zustand der Landes-Armee anzusehen. Und ganz zufällig landen sie im ostukrainischen Slawjansk, in dem zwar keine Regierungsgtruppen stationiert sind, aber Anti-Euro-Maidan-Kräfte Gebäude besetzt halten. Ebenso zufällig findet der NATO-Bummel kurz nach einem Einsatz der Kiewer "Anti-Terror-Kräfte" gegen die Slawjankser Besetzter statt. Wo Anti-Terroristen unterwegs sind, müssen Terroristen sein, so lautet die offizielle Sprachreglung. Zwar galten die Aufständischen in Kiew als mutige Oppositionelle, aber Aufständische in der Ost-Ukraine, das weiß die ARD-Reporterin wie im Schlaf, sind nun mal Terroristen.

Eine ganz andere Terroristen-Furcht scheint die ukrainischen Juden zu quälen. Denn die israelische Einwanderungsagentur Jewish Agency und das israelische Ministerium für die Aufnahme von Einwanderern teilten mit, dass die Anzahl der jüdischen Emigranten aus der Ukraine in den letzten drei Monaten rasant gestiegen sei. Schon im Juli des letzten Jahres unterzeichneten 30 israelische Knesset-Abgeordnete einen offenen Brief, an den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz: Sie warnten vor der Svoboda-Partei - damals noch in der Opposition, heute in der Putsch-Regierung - die sei extrem antisemitisch. Sogar die Konrad Adenauer-Stiftung, die ihren Schützling Klitschkow später im Pakt mit der Svoboda gut aufgehoben sah, mochte früher noch feststellen, dass der Svoboda-Chef antisemitische Ressentiments, Fremdenfeindlichkeit und ukrainischen Isolationismus mobilisiere. Das gilt natürlich heute alles nicht mehr. Was stören uns ein paar ängstliche Juden, scheint der Mainstream zu denken, in dem das alles unbeachtet bleibt, wenn es um den fetten Happen Ukraine und um einen möglichen neuen Russlandfeldzug geht. Wer sich erinnern mag, dass es im Jahr 2000 EU-Sanktionen gegen Österreich gab als dort eine Koalitionsregierung mit dem Rechts-Nationalisten Jörg Haider installiert wurde, der kommt aus dem Augenreiben gar nicht mehr raus.

Noch scheint die Begünstigung einer Putsch-Regierung in Kiew nur aus dem radikalsten Propaganda-Feldzug seit den 60er Jahren und ein paar wirtschaftlichen Sanktionen zu bestehen. Doch wer die Zeichen einer von den USA gesteuerten Einkreisung Russlands deuten kann, dem wird Angst und Bange: Für Juni plant die NATO eine neue groß angelegte Marineübung in der Ostsee. Das teilte Pentagon-Sprecher John Kirby am Dienstag mit, ohne dass vom NATO-Mitglied Deutschland ein Einspruch gegen diese antirussische Aktion zu hören gewesen wäre. Das rumänische Militär wird unweit der Grenze zur Ukraine aufgestockt. Wie das Verteidigungsministerium des Landes mitteilt, wird eine Militärübung geplant, an der auch US-Militärs teilnehmen werden. Und in Georgien werden Freiwillige zur Teilnahme am Militäreinsatz gegen die Anhänger der Föderalisierung in der Ost-Ukraine geworben. Das Gerücht, Volker Kauders Sympathien für die korrupten ukrainischen Eliten hinge damit zusammen, dass er den Vorschlag eines Gesetzes gegen die Korruption bei Bundestags-Abgeordneten abgelehnt hat, ist eher verharmlosend. Kauder gehört zu jener Mehrheit im Bundestag, dem die devote Nähe zu den USA allemal lieber ist als eine gewisse Unabhängigkeit deutscher Aussenpolitik, die allerdings Verstand voraussetzt und Mut.

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Mein Vorschalg für den Schmock des Monats
Ihre Nachricht: Barbara oertel von der taz für http://www.taz.de/Kommentr-Ostukrine/!137441/

Viele Grüße und Danke für das Blog.

Tom Müller
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Tut mir leid wenn ich diese oder jene Zuschrift wiederhole, aber die RATIONALGALERIE ist einfach brillant!

Hilde Meiersohn
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Wie kommt es nur, dass man in einem Land wo der Philo-Semtismus zur "Staatsräson" gehört, so wenig von den Anti-Semitischen Verhältnissen in der Ukraine erfährt?

Frieder Obermann
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Es ist kein nützlicher Antisemitismus.

Uli Gellermann
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Der beitrag zu russland und ukraine - sehr gut, auch die erwähnung des interviews mit krone-schmalz. danke.

Heidemarie Salevsky
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Letzte Woche war ich in Lemberg. Die jüdischen Einrichtungen sind - im Gegensatz zu Berlin - nicht bewacht. Ich sprach mit letzten Zeitzeugen, die - wie die meisten anderen Alten - über geringe Renten klagen, aber nicht über Antisemitismus....

Letzte Woche war ich in Lemberg. Die jüdischen Einrichtungen sind - im Gegensatz zu Berlin - nicht bewacht. Ich sprach mit letzten Zeitzeugen, die - wie die meisten anderen Alten - über geringe Renten klagen, aber nicht über Antisemitismus. Erschütternd sind bettelnde Rentner! Einige müssen sogar mit Brot versorgt werden...
Alle Intellektuelle, die ich traf, hielten Svoboda für maßlos überschätzt und politisch kraftlos. Im Gegensatz zu anderen Denkmälern lagen in Lemberg an der Bandera-Plastik keine Blumen, sie war auch kein Treffpunkt. Der Mann der Stunde ist Taras Schwetschenko.
http://de.wikipedia.org/wiki/Taras_Schewtschenko
An dessen Denkmälern treffen sich - ob in Lemberg oder Brody - viele, um zu gedenken und sich auszusprechen. Ansonsten dominieren religiöse Symbole, was - so meine Gesprächspartner - nicht nur an Ostern läge.
Es gibt in Lemberg sogar einen kitschigen Schtetl-Tourismus. Auf den Maidans - in jeder größeren Stadt scheint es einen zu geben - gedenkt man den Toten von Kiew, darunter 3 Juden. Nirgends fand ich eine Beschmierung, nirgends ein Nazisymbol.
Es gibt nicht wenige Juden, die Antisemitismus sagen, aber soziale Not meinen. Einige traf ich, als ich in die besetzten Gebieten in Palästina reiste.

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Achim Engelberg
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Das scheint mir weder das Video vom SS-Gedenkmarsch noch die artikulierten Sorgen Kiewer Rabbiner noch die Ausrufung des Faschisten Bandera zum Helden der Ukraine zu relativieren. Hinzu kommen ukrainische Intellektuelle wie Marina Weißband, die...

Das scheint mir weder das Video vom SS-Gedenkmarsch noch die artikulierten Sorgen Kiewer Rabbiner noch die Ausrufung des Faschisten Bandera zum Helden der Ukraine zu relativieren. Hinzu kommen ukrainische Intellektuelle wie Marina Weißband, die sowohl Svoboda als auch den Rechten Sektor aus taktischen Gründen verharmlosen und deren politischem Verstand ich für keine 5 Cent traue.

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Uli Gellermann
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Meine Hochachtung für Ihr erhellendes Tun.

Barb Kirkamm
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Danke für diese wohltuenden Erläuterungen. Mir erschließt sich bis heute nicht, was hier in diesem Lande los ist. Diese sesselfurzenden Politkasper und ihre Medienhuren schütten stündlich ihren Sprechdurchfall übers Volk. Ständig werden sie beim...

Danke für diese wohltuenden Erläuterungen. Mir erschließt sich bis heute nicht, was hier in diesem Lande los ist. Diese sesselfurzenden Politkasper und ihre Medienhuren schütten stündlich ihren Sprechdurchfall übers Volk. Ständig werden sie beim Lügen und denunzieren erwischt und dennoch scheint es weder einen Staatsanwalt noch sonst irgend ein Gericht zu interessieren, dass es sich hier um Volksverhetzung handelt. Hier wird ein souveräner Staatsmann dämonisiert (kennen wir ja ) und provoziert, dass man Augen- und Ohrenkrebs bekommt. Mir graut vor dieser Bande und ich befürchte, dass die sehr wohl wissen was sie da tun. Und wenn man, wie ich, pausenlos von gehirngewaschenen Idioten umgeben ist dann verliere ich den Glauben an die Menschen.

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Moyra Mangold
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Vielen Dank einmal mehr für diesen aufklärenden Artikel! Die Erinnerung an Österreich/Haider finde ich übrigens dabei äußerst wichtig!

Je verzweifelter, je morastiger, je unglaublicher die Dinge um uns und um Sie werden, desto besser schreiben...

Vielen Dank einmal mehr für diesen aufklärenden Artikel! Die Erinnerung an Österreich/Haider finde ich übrigens dabei äußerst wichtig!

Je verzweifelter, je morastiger, je unglaublicher die Dinge um uns und um Sie werden, desto besser schreiben Sie, desto mehr kommt diese Ihnen eigene, spezielle Ironie jenseits der Albernheit und Selbstzweck hervor und verleiht Ihrer Sprache kraftvolle Flügel. Eine der wenigen Verlässlichkeiten in diesen irren Zeiten. Leserin Hilde Meiersohn hat somit absolut Recht.

Ach ja, wenn auch an anderer Stelle: Innigen Dank für Ihre Kurzbewertung von Marina Weißband! Diese Göre geht mir nämlich ganz schrecklich auf den Zeiger!

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Reyes Carrillo
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Danke für den klaren Beitrag Herr Gellermann,ich möchte mich dem Kommentar von Moyra Mangold vollstens anschließen

Pat Hall
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Chapeau,ein weiterer sehr guter Beitrag !
Es kommt doch immer wieder auf den Blickwinkel an,wer wem wo nützt und warum.
Österreich hat eben nun mal leider nicht die Ressourcen zu bieten wie die Ukraine.Öl,Gas,Kohle.
Hätten die das in dem Umfang,wäre...

Chapeau,ein weiterer sehr guter Beitrag !
Es kommt doch immer wieder auf den Blickwinkel an,wer wem wo nützt und warum.
Österreich hat eben nun mal leider nicht die Ressourcen zu bieten wie die Ukraine.Öl,Gas,Kohle.
Hätten die das in dem Umfang,wäre ein Haider auch nicht zum grossen "Rechtspopulisten" aufgeblasen worden sondern wie in anderen Fällen als nützlicher Idiot installiert.
Aber das ist ja eh alles nur Verschwörungstheorie,nicht wahr?
Die Ukraine ist auch in anderer Hinsicht interessant:früher hiess das schlicht KAUFEN,heute nennt man so was "Milliardenhilfen"
Das Land ist bereits jetzt gekauft,die Verantwortlichen sind derzeit dabei,den Kuchen unter sich aufzuteilen.Mal schauen,wer was abbekommt.
Das kann und werde ich dann hier nachlesen ;)

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Zuvielnachdenker Rodin
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