Das Muster war klar: Auf der einen Seite der unglaublich dumme und überhebliche Gouverneur einer spanischen oder englischen Niederlassung in der Karibik, auf der anderen Seite der kühne Pirat, der für die Freiheit, den Schatz oder sein Schätzchen diese wunderbare schwarze Anarchistenfahne aufzog, um dann alles niederzubrennen, was sich ihm in den Weg stellte. Je nach Generation war es Errol Flyn oder Burt Lancaster, der dem westdeutschen Jungen im Kino die immer gleiche Geschichte vom Underdog nahe brachte, der sich erfolgreich gegen die Obrigkeit auflehnte. Die armen Brüder im Osten konnten sich die teuren Hollywood-Filme nicht leisten. Aber gesamtdeutsch gab es da ja noch Klaus Störtebeker, den Chef der Likedeeler, der sich gegen das "Besitzbürgertum" auflehnte, wie es im Vorwort zu Willi Bredels Roman "Die Vitalienbrüder" hieß, im Osten wie im Westen verlegt. Zu den späten Erfolgen der deutschen Einheit zählte dann, dass Johnny Depps "Piraten der Karibik", von Chemnitz bis Krefeld in allen Kinos zu besichtigen waren.
Und nun dies: 500 Schiffe, meint die Bundeswehrführung müssten gegen die Piraten in Somalia eingesetzt werden. Und wer den obersten Bundeswehrer anschaut, der entdeckt gewisse Ähnlichkeiten des Doktor Jung mit den Gouverneuren der Karibik und wankt in seiner Loyalität zum internationalen Seerecht: Natürlich darf man keine Schiffe klauen. Und was mit den vergleichsweise harmlosen ersten Kaperungen begonnen hatte, droht sich jetzt auf unser, pardon, auf amerikanisches Öl auszuweiten und da versteht die Staatengemeinschaft natürlich keinen Spaß. Auch Peter Struck nicht, der immer schon unsere Freiheit am Horn von Afrika verteidigen wollte. Wie sich mehr und mehr herausstellt, meinte er die Handelsfreiheit, jene Chimäre, der wir die Finanzkrise verdanken und die, sicher nur temporär, von der Großen Koalition ein wenig zurück gedrängt werden soll. Und so muss man unseren Kampf gegen Piraterie, als Kampf gegen die Deregulierung und Privatisierung verstehen, gegen jene zügellose Umverteilung, die sich die somalischen Piraten auf ihre wahrscheinlich schwarzen Fahnen geschrieben haben.
Wie schön rasselt doch der Säbel der Staatsmacht, wenn es gegen unbekannte Piraten geht. Von den bekannten Piraten - vom unterhalb der Börsenregelungen spekulierenden Porsche-Konzern, über die Pleite-Chefs von Goldman Sachs bis zu den politisch Verantwortlichen einer Bayerischen Landesbank, die gerade den Bürger um mindestens zehn Milliarden Euro beraubt - sitzt immer noch keiner, geschweige er baumele an der Rahnock. Was sind, angesichts der Abermilliarden internationaler Rettungsringe für das Finanzunwesen, lächerliche 100 Millionen, die so ein gekaperter Öltanker wert ist? Schon könnte die Loyalität mit der EU-Flotte, die vor Somalias Küste operiert, ein wenig wanken, wüssten man nicht, dass das nur der Anfang ist: "Das ist ein sehr anspruchsvolles Vorhaben, das alle EU-Politiker sowohl mit Bescheidenheit als auch mit Entschlossenheit angehen“, sagte der britische Außenminister. Und sicher wird er sich nicht mit den Klein-Piraten vor Somalia bescheiden, sondern bald auch die in der Londoner City verfolgen lassen.
Die Chance zu einem viel größeren Schlag gegen internationale Piraterie ist allerdings auch vor Somalia gegeben: Denn seit 1991, dem Jahr in dem ein Lieblingsziel der Neoliberalen in Somalia Wirklichkeit wurde, als sich dort der Staat komplett auflöste, werden die Hoheitsgewässer des Landes nicht mehr überwacht: Um die 700 ausländische Fischerboote, sagt die UN-Ernährungsorganisation FAO, tummeln sich auf der Jagd nach Thunfisch, Hai und Shrimps vor der somalischen Küste, illegal versteht sich. Und sie kommen aus so honorigen Gegenden wie der USA, Russland und der EU. Die Gewinne aus diesen Fischzügen liegen weit über den lächerlichen Einkünften der einheimischen Piraten und auch die Kollateralschäden sind gering: Hie und da wurde mal ein somalisches Fischerboot versenkt, dieses oder jenes Netz gekappt, manchmal musste auch ein Somali über die Planke gehen. Die Bundeswehr, die seit 2002 am Horn von Afrika dauerhaft die Freiheit verteidigt, hat von diesen Vorkommnissen offenkundig nichts bemerkt.
Wenn also jetzt eine viel größere Flotte am Horn von Afrika operiert, dann zielt, so darf man annehmen, der Einsatz nur im ersten Schritt auf die ehemaligen somalischen Fischer und deren neuen, bewaffneten Fangmethoden. Nach und nach werden auch die räubernden Fischfabriken aus den entwickelten Ländern aufgebracht werden und dann, wenn der maritimen Freibeuterei eine Ende gesetzt wird, dann kommt die Kriegsmarine den Hudson hoch oder die Themse. Später navigiert sie dann über den Rhein bis nach Frankfurt und unser Franz Josef Jung wird das hessische Finanzräubernest ausräuchern, die Totenkopf-Flagge von den Türmen der Banken reissen und die Kaperbriefe in der Börse verbrennen: "Wo deutsche Interessen betroffen sind, werden wir dafür sorgen, dass auch eine Verurteilung stattfindet", versichert der Verteidigungsminister. Da bleibt dem Kino-Piraten-Fan nur ein beschämtes "bravo!"