Da gründen Leute einen Verein, sammeln Geld, verteilen es und regeln so die wirtschaftlichen Beziehungen untereinander. Welchem Zweck der Verein dienen soll - dem Züchten von Kaninchen, dem Spielen von Tennis oder dem bewaffneten Straßenraub - darüber schweigen sich die Vereinsoberen aus. Hauptsache die Kohle stimmt. Tatsächlich begann die EU, jenes Gebilde - das in diesen Tagen sein Ende nehmen könnte - mit Kohle, nämlich mit der 1951 gegründeten Montan-Union (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl). Die von Frankreich und Deutschland inspirierte Gemeinschaft der sechs Gründerstaaten übernahm die Kontrolle der kriegs- und wirtschaftswichtigen Güter wie Kohle und Stahl und übergab so einen gewissen Teil der nationalen Souveränität an eine supranationale Organisation. Das Volk, die eigentlichen Vereinsmitglieder, wurde nicht gefragt.
Nur wenig später, im Jahr 1957, wurden zwei weitergehende Organisationen gegründet: Die eine nannte man Euratom und die regelte die "rasche Entwicklung" der Kernindustrie. Von nun an flossen Steuergelder ohne Ende in die AKW-Forschung und die ersten Atommeiler. Parallel dazu wurde die EWG gegründet. Frankreich, Deutschland, Italien und die Beneluxstaaten sollten fortan mit einem freien gemeinsamen Markt, dem Wegfall der Zollschranken und dem freien Kapitalverkehr leben. Immer, wenn das Wort 'frei' inflationär gebraucht wird, sollte die Frage nach der 'Freiheit für wen' gestellt werden. Tat aber keiner. Obwohl die Vereins-Obrigkeit noch mehr Souveränität okkupierte als zuvor, wurden die Mitglieder, die Völker, nicht gefragt ob sie das so wollten. Zwar wurde dem Volk 1979, zwölf Jahr nach Gründung der EWG, großzügig ein Wahlrecht zugesprochen. Was die Deutschen von diesen Wahlen hielten, wußte der Volksmund: "Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa". Das war woanders kaum anders.
Es wurden immer mehr Staaten, irgendwann gab es eine gemeinsame Währung, die Opas in Brüssel konnten mehr Geld verteilen als je zuvor und das Ding nannte sich inzwischen auch "Union". Aber über die Vereinsregeln abstimmen, das durften die nun wirtschaftlich immer enger verzahnten Europäer nicht, obwohl die inzwischen 27 Staaten sich zu einer gemeinsamen Wirtschafts-, Außen-, Militär-, und Polizeipolitik verpflichtet hatten. Von der Vereinsführung scherte es niemanden, ob die Automobil-Arbeiter in Polen annähernd so viel verdienten wie die in Deutschland, ob es eine wenigsten ungefähr gleiche Bildungspolitik gab oder dass die Friseure in Budapest nicht einmal ein Zehntel von dem verdienten, was die in Paris mit nach Hause nehmen konnten. Wer wird denn, wenn es um Freiheit geht - Reisefreiheit, Zollfreiheit, Markfreiheit - nach sozialen Regeln rufen? Dass Freiheit Ordnung braucht, das war den Völkerchefs entweder nicht bekannt oder es ist ihnen, in der Eile, die ihre Freiheit mit sich brachte, einfach entfallen.
Jetzt allerdings kann die Marktfreiheit teuer werden: Allein 85 Milliarden Euro soll die Rettung der irischen Banken kosten. Die Sanierungskosten für Italien, Spanien, Portugal mag sich niemand vorstellen. Im kommenden Monat soll Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Auf der Tagung dieser Präsidentschaft stehen als Schwerpunkt die EU-Finanzen. Wer lacht da? Nur weil Ungarn von den Rating-Agenturen den "Ramsch-Status" bescheinigt bekommt? Aber die bisherigen Vereinspräsidenten haben doch auch immer darüber hinweggesehen, dass Frankreich Unternehmenssteuern in Höhe von 34 Prozent erhebt, während Österreich nur 25 Prozent nimmt und Irland mit 12,5 Prozent den Steuerwettbewerb nach untern anführte. Dass die "Union" weder eine Annäherung des Lohn-Niveaus, noch die der Steuersätze auch nur in Erwägung zog, dass in der EU-Wundertüte immer Äpfel und Birnen den selben Status hatten, dass den irischen Spekulations-Banken 85 Milliarden Euro geschenkt werden sollen, nur damit das nächste Land auch die Hand aufhält, das hat doch bisher niemanden gestört.
Ausgerechnet dem Wolfgang Schäuble, der seit Jahrzehnten zu jenem politischen Personal in Deutschland gehört, das jeden EU-Unsinn mitgemacht hat, fällt jetzt ein: "Als wir die gemeinsame Währung in den neunziger Jahren geschaffen haben, vereinbarten die nationalen Regierungen eine gemeinsame Geldpolitik. Aber wir haben damals keine politische Union geschaffen . . ." Und, so müsste der Finanz-Schäuble ergänzen: . . . keine soziale, keine kulturelle und erst recht keine demokratische Union. Immer noch liegt der unlesbare und unratifizierbare Verfassungsentwurf in irgendeinem Brüsseler Aktenkeller, immer noch hat das europäische Parlament viel zu reden und wenig zu sagen, immer noch ist die Union eine von oben, die mit einer Scheinwahl alle fünf Jahre von unten mühsam legitimiert wird. Das wird so bleiben, bis die EU Pleite geht. Ob die Völker als Insolvenz-Verwalter ein Interesse an einem bankrotten Unternehmen haben, wird sich zeigen.