Der "Unsterbliche" überschreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ihre ganzseitige Ode an den verstorbenen Helmut Schmidt. Und ihr Kommentator, Heribert Prantl, eigentlich ein Mann von Verstand, hält den einstigen Bundeskanzler für einen "Barbarossa der Neuzeit". Es fehlte nicht viel und der Hamburger Vor-Ort Langenhorn, Helmut Schmidts Wohnort, wäre zum mythischen Kyffhäuser gebläht worden. Im ganzen Land greifen Medien zu Glocken-Strängen und bebimmeln einen Mann, den die Hamburger in besseren Zeiten "ollen Sabbelkopp" genannt haben. Wer sich nüchtern und ohne die Sehnsucht nach einem guten König an Schmidt erinnern kann, der weiß, dass die vorrangige Begabung des Ex-Kanzlers in einem Sprachstil bestand, der auch den Wetterbericht als Nachrichten vom Jüngsten Gericht verkaufen konnte.

Der tiefe Wunsch der Deutschen nach einem König ist so neu nicht. Aber die aktuellen Zeiten machen den Wunsch drängender. Denn die Deutschen verlieren ihre Lichtgestalten und ihre Wertvorstellungen in großer Geschwindigkeit. Gestern noch hatten sie einen Kaiser, heute ist Beckenbauer nur noch ein kleiner FIFA-Bestecher. Gestern noch war der Volkswagen das Symbol deutscher Wertarbeit, heute rollt vor den entsetzen Augen der Deutschen nur noch ein blecherner Abgas-Betrug durch die Welt. Gerade noch konnte die Kanzlerin als Mutter Theresa der Flüchtlinge angebetet werden, schon kommt raus, dass ihr Innenminister an einer Flüchtlings-Abschreckungswaffe arbeitet. In solchen Tagen wird der Deutsche gern romantisch und wünscht sich die alten, scheinbar guten Zeiten zurück: Die halbwegs Harmlosen sehnen sich nach Helmut Schmidt, die Dresdner hätten gern den Führer zurück, der ja auch nur ein König war, wenn auch ein besonders böser.

Knapp unterhalb des Berliner Hofes, dort wo die Medien-Schranzen keinen Zutritt haben oder wollen, handeln die Kräfte der Finsternis. Dort ist kein König, keine Führung zu bemerken. Gerade eben wurde das muntere Eigenleben des Bundesnachrichtendienstes (BND) eher versehentlich enttarnt: Der hat einen deutschen Diplomaten bespitzelt. Diplomaten darf er, Deutsche nicht. Das autonome Leben des Dienstes wurde auch beim Beschnüffeln des französischen Außenministeriums deutlich: Dürfen darf er das, aber er sollte einen Auftrag haben. Da schweigt das Kanzleramt beredt. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hatte mal versucht, Uwe Mundlos anzuwerben, da war er noch nicht als NSU-Mörder bekannt, nur als Faschist. Das hat der Dienst solange verschwiegen wie es nur möglich und eigentlich strafbar war. Aber V-Leute gelten im Keller des Berliner Hofes als ehrbar. Rein, porentief rein war auch der Zufall, der den NSU zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter trieb. Die war keine Ausländerin, wie alle die anderen Opfer, die gehörte nicht zum braunen Mob, der von den Diensten ausgehalten wurde und dessen Akten so pünktlich verschwanden. Sie war nur genauso zufällig Mitglied der selben Polizeieinheit in der zwei Mitglieder einer Gruppe des rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) ihr Wesen trieben. Der Sumpf quillt aus allen Ritzen, aber die Regierung erklärt ihn zur gesunden Bio-Masse. Spätestens seit Schmidt nennt man das Praktizismus.

Als der heilige Schmidt noch Kanzler war, fiel ihm dieser Satz über Politik und Politiker aus dem Gebiss: "Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen." In diesem Satz steckt die ganze Bundesrepublik. Visionen werden von den jeweiligen Amtsverwesern nur als klinische Symptome begriffen. Dass jemand Vorstellungen vom Morgen hat, gilt als krank. Die Praktizisten machen jetzt, gleich, mal eben Politik und die ist immer alternativlos. Der NATO-Doppelbeschluss, die gnadenlose Aufrüstung der Bundesrepublik gegen den bösen sowjetischen Feind, fiel in die Schmidt-Regierungszeit. Diese Ankettung an die Interessen der USA setzt die Merkel-Regierung nahtlos fort: Als Drohnen-Abschussplatz und schnelle Eingreiftruppe auf dem Kiewer Maidan. Das, was sich in Berlin als Opposition ausgibt, LINKE wie GRÜNE, loben in ihren Nachrufen chorisch das Beharrungsvermögen des Verstorbenen, als müsse man nur lange genug irgendein Ziel verfolgen, dann habe man einen prima Platz in der Geschichte verdient.

Der Deutschen Selbstbild ist aus Sekundärtugenden gebastelt: Pünktlich, pflichtbewusst, diszipliniert, fleißig, ehrlich, sauber und ordentlich, zuverlässig, sparsam, so sehen sie sich. Das alles sind Eigenschaften, mit denen sich auch der Sumpf als Reliquie verkaufen lässt. Wenn nur Bio draufsteht.

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Dass Sie selbst im Tod so unversöhnlich sind, ist abstoßend.

Gerd Rabenhorst
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Abstoßend erscheint mir eine besinnungslose Heiligsprechung des ehemaligen Kanzlers in den Medien.

Uli Gellermann
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Und ich habe schon befürchtet den ruft der HERR niemals zu sich. Gott sei dank, hat er sich eines Besseren besonnen. Oder war es gar sein Gegenspieler da unten ! Egal, Hauptsache es ist vollbracht !

Aleksander von Korty
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Was fällt mir dazu ein? Gerade habe ich mir Ernst Toller "Eine Jugend in Deutschland" bestellt. Freue mich darauf. Will mich nur noch mit Leuten beschäftigen, die mir gefallen. Von der Sorte gibt es viele. Sie helfen das erste konsequente Nein zu...

Was fällt mir dazu ein? Gerade habe ich mir Ernst Toller "Eine Jugend in Deutschland" bestellt. Freue mich darauf. Will mich nur noch mit Leuten beschäftigen, die mir gefallen. Von der Sorte gibt es viele. Sie helfen das erste konsequente Nein zu formulieren. Danach wird alles leicht. Die tägliche Motivation für diese Welt ist überlebenswichtig. Ein Teil will ich hier zurückgeben.

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Karl Döll
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GELLERMANN-EKG
EHRLICH - KLAR - GUT

Lutz Jahoda
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Helmut Schmidt: Pionier des Atlantik-Brücke - Unwesens, ein Banken- und US-Quisling, wie er im Buche steht, deshalb auch seine gegen sehr massiven Bürger-Protest durchgesetzte Aufrüstung Deutschlands mit amerikanischen Marschflugkörpern gegen...

Helmut Schmidt: Pionier des Atlantik-Brücke - Unwesens, ein Banken- und US-Quisling, wie er im Buche steht, deshalb auch seine gegen sehr massiven Bürger-Protest durchgesetzte Aufrüstung Deutschlands mit amerikanischen Marschflugkörpern gegen Rußland.

Und wie hielt er es eigentlich mit den ebenfalls für Deutschland potentiell in der Selbstzerstörung endenden "Atomkraftwerken"?

Ein Fassaden-Christ, denn sein "Praktizismus" und seine Ablehnung von Visionen, eines Gesprächs über Zukunfts-Vorstellungen, waren durch seine Überzeugung untersandet, die Bergpredigt könne nicht zur Grundlage der Politik gemacht werden.

Wenigstens hat er einen Teil seines reichlichen Gehaltes via Tabaksteuer an die Allgemeinheit zurückerstattet.

Gott sei ihm und seinem markigen Gequatsche gnädig, falls er sich nicht schon genervt abgewandt haben sollte. Denn wie "Der Postillon" letztens schrieb:
"Gott weiß nicht, was er noch machen soll. Er ist fertig mit der Welt." ; - )

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Benny Thomas Olieni
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Ihre Bemerkung zu GRÜNEN und LINKEN "Das, was sich in Berlin als Opposition ausgibt, LINKE wie GRÜNE, loben in ihren Nachrufen chorisch das Beharrungsvermögen des Verstorbenen" ist boshaft und durch nichts gerechtfertigt!

Ilse Bergmann
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Die LINKE:
"Doch wir haben an Helmut Schmidt über Parteigrenzen hinweg geschätzt, dass er von ihm als richtig erkannte politische Projekte auch gegen innerparteiliche und gesellschaftliche Widerstände immer mit beeindruckendem persönlichen Einsatz...

Die LINKE:
"Doch wir haben an Helmut Schmidt über Parteigrenzen hinweg geschätzt, dass er von ihm als richtig erkannte politische Projekte auch gegen innerparteiliche und gesellschaftliche Widerstände immer mit beeindruckendem persönlichen Einsatz und großer Beharrlichkeit vorangetrieben hat."

Die GRÜNEN:
"In vielen schwierigen Situationen hat er mutige Entscheidungen getroffen, wo andere längst aufgegeben hätten."

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Uli Gellermann
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@ Gerd Rabenhorst
Dass Sie selbst im Tod so unversöhnlich sind, ist abstoßend.

Selbstverständlich wäre es pietätlös, in einem ausliegenden Kondolenzbuch Ungutes über einen Verstorbenen zu schreiben. Das verbietet einfach der Anstand und das Wissen...

@ Gerd Rabenhorst
Dass Sie selbst im Tod so unversöhnlich sind, ist abstoßend.

Selbstverständlich wäre es pietätlös, in einem ausliegenden Kondolenzbuch Ungutes über einen Verstorbenen zu schreiben. Das verbietet einfach der Anstand und das Wissen um die Trauer der Angehörigen. Aber hier liegt kein Buch aus.

Womit ich meine, dass man einen Mann der Geschichte, in welcher Helmut Schmidt nun zweifellos erwähnt werden wird, durchaus ehrlich be- und auch verurteilen darf. Denn nicht automatisch erlangt ein verstorbener Politiker den Heiligenstatus verliehen und hätte dann als „tabu“ hinsichtlich Kritik und objektiver Betrachtung seiner Vita zu gelten.

Alles andere wäre Heucheltum und falsch verstandene „Memory“.

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Ingrid Böhm-Duwe
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Schaut man genauer hin, ist es wie beim ganzen Staat: Wo immer man den Mythen-Teppich ein wenig anhebt - stinkt es.

Jens Wolfahrt
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Solche "gehen ein" ... in die deutsche Helden-KANZLER-Verehrung: Klugscheisser HELMUT als Ex-NAZI-WEHRMACHT-OFFIZIER und MACHT-MUTTI ANGELA als Ex-DDR-FDJ-SEKRETÄRIN! Beiden ist als KANZLER "gemein" ihre USA-HÖRIGKEIT und RUSSEN-FURCHT ... und...

Solche "gehen ein" ... in die deutsche Helden-KANZLER-Verehrung: Klugscheisser HELMUT als Ex-NAZI-WEHRMACHT-OFFIZIER und MACHT-MUTTI ANGELA als Ex-DDR-FDJ-SEKRETÄRIN! Beiden ist als KANZLER "gemein" ihre USA-HÖRIGKEIT und RUSSEN-FURCHT ... und beiden eint ihre POLITIK: Ich hänge meine Fahne in den (WEST"-)Wind!

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Hans Rebell-Ion
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Wieder einmal! Elf Tageszeitungen auf meinem Tisch. Alle Titelseiten nahezu identisch - das gibt es nicht nur, wenn einer wie Helmut Schmidt gestorben ist.
Wer fällt aus der Reihe? Natürlich: der "Postillon". Er titelt: "Helmut Schmidt hat...

Wieder einmal! Elf Tageszeitungen auf meinem Tisch. Alle Titelseiten nahezu identisch - das gibt es nicht nur, wenn einer wie Helmut Schmidt gestorben ist.
Wer fällt aus der Reihe? Natürlich: der "Postillon". Er titelt: "Helmut Schmidt hat endgültig mit dem Rauchen aufgehört".
Danke!
Klar, Schmidt hat Kante gezeigt und auch seinen Spezialdemokraten öfter die Leviten gelesen! Gelegentlich hörte man von ihm vernünftige Sätze in Sachen Außenpolitik, ABER: Das nur und ausschließlich lange nach seiner Amtszeit!

Nun bin ich durchaus fast geneigt, ihm den NATO-Doppelbeschluss zu verzeihen. Wenn ich indes lesen muss, welchen Eierköppe den Toten jetzt für sich vereinnahmen ... nee, in diese Schar der Trauernden will ich mich nicht einreichen. Je ne suis pas Helmut ;-)

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Michael Kunczak
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Uli Gellermann
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