Die veröffentlichte Meinung in Deutschland hält nahezu jede Kritik an Israel für antisemitisch. Da Antisemitismus eine besonders perfide Richtung des Rassismus ist und da Rassismus von allen anständigen Leuten abgelehnt wird, kann Israel nicht kritisiert werden. Eine solche Haltung macht den Staat Israel zu einem gottähnlichen Wesen. Denn nur Gott, so denken die Gläubigen aller Couleur, kann tun und lassen was er will, seine Entschlüsse bedürfen keiner Begründung und Schuld hat er auch nicht. Das ist für einen Staat eine feine Position. Sie verführt allerdings zum intellektuellen Schlendrian, zur geistigen Verrohung und zur moralischen Verkommenheit. Das könnte man als Israeli hinnehmen, wenn man, wie Gott das ja zweifellos kann wenn er will, Wunder tun könnte. Hier beginnt der kleine, aber entscheidende Unterschied zwischen göttlichen Möglichkeiten und dem doch ziemlich irdischen Israel: Die Palästinenser wollen sich einfach nicht in Luft auflösen.
Jenen im Gaza-Streifen lebenden Palästinensern, von Medien gerne pauschal als Hamas-Anhänger bezeichnet, ist nun, glaubt man dem Medienmainstream, ein glänzender PR-Coup gelungen: Die durch die gesprengten Mauern um Gaza fliehenden Menschen haben auf sich und ihre Lage aufmerksam gemacht. Mehr als es jede Rakete, die aus Gaza auf israelisches Gebiet fliegt je erreichen könnte. Es gab und gibt Hunger in Gaza, Unterernährung, Krankheiten, Elend. Glaubt man den Propagandisten des offiziellen Israel und ihren Stellvertretern auf Erden in den westlichen Redaktionen, dann liegt das an der Unfähigkeit der Palästinenser und an der Aggressivität der in Gaza regierenden Hamas. Denn die verhindere nicht, dass von Gaza aus Raketen auf Israel abgeschossen werden. Ehud Olmert, israelischer Ministerpräsident erklärte im September 2007: Es ist an der Zeit, dass sich die Hamas entscheidet, ob sie kämpfen oder sich um ihr Volk kümmern will. Es ist inakzeptabel, dass die Menschen in Sderot (israelische Stadt die regelmäßig aus Gaza heraus beschossen wird) jeden Tag in Angst leben, während die Menschen in Gaza ihr normales Leben weiterführen können.« Dem folgte die Totalblockade Gazas.
Das »normale« Leben der Palästinenser vor der Blockade in Gaza, einem Sand- und Dünenstreifen, qualifiziert die Welternährungsorganisation wie folgt: Rund 80 Prozent der Bewohner leben unterhalb der Armutsgrenze, jedes zweite Kind ist unterernährt. Die Ökonomie des Gaza-Streifens wird wesentlich von der Landwirtschaft bestimmt. Ohne Wasser keine Landwirtschaft. Über das Wassermonopol verfügt, durch die Besetzung der Golan-Höhen deren Quellen den Jordan speisen und auch das Grundwasser, der Staat Israel. Und während der durchschnittliche israelische Haushalt 250 Liter Frischwasser täglich verbraucht, liegt der Verbrauch palästinensischer Haushalte bei etwa 60 Litern. Die Weltgesundheitsorganisation beziffert den täglichen Minimalverbrauch mit 100 Litern. Soweit zur palästinensischen Unfähigkeit. Natürlich hat der Raketenbeschuss aus Gaza während der Blockade nicht aufgehört. Wie ohnehin militärische Operationen Israels die jeweilige Lage entweder gar nicht oder nur kurzzeitig entschärft haben.
Während Bewohner des Gaza-Streifens mit ihrer Hungerflucht aus dem Gaza-Ghetto angeblich Propagandabilder für die terroristische Hamas herstellten eine zynische Behauptung die, würde man Hungerbilder aus anderen Ghettos und anderen Zeiten damit belegen, sofort und zu Recht scharfe Proteste auslösen müssten leidet die israelische Regierung an einer Hamas-Amnesie. Die Hamas entstand aus dem palästinensischen Zweig der »Muslimbruderschaft«, einer streng religiösen aber in Israel nicht gewaltsamen Truppe, die in den siebziger und achtziger Jahren von den Israelis als Konkurrenz der weltlichen Fatah-Bewegung des Yassir Arafat eingeschätzt und hofiert wurde. Man erinnert sich: Die damals laizistische Fatah und der existierende Sozialismus hatten durchaus Berührungspunkte. Ähnlich wie im einstmals guten Verhältnis der USA zu den Taliban, zog es auch die Israelis zum »Feind ihres Feindes«, völlig unabhängig vom reaktionären Gehalt der Hamas-Politik. Dass dann diverse israelische Regierungen die palästinensische Regierung unter Arafat so lange und so gründlich demontierten, bis die Hamas die palästinensischen Wahlen gewinnen konnte, gehört zu dem was nicht kritisierbar ist. Zum einen weil es israelisches, also göttliches Regierungshandeln ist, zum anderen weil die Palästinenser Terroristen, also teuflisch sind. Wie schön wenn man es sich einfach machen kann. Wie lange, ist noch nicht raus.
Während Gaza noch gründlich eingemauert war, kam der amerikanische Präsident zu Friedensverhandlungen nach Israel. Ein Mensch aus Gottes eigenem Land, mit einer biblischen Mission fuhr ins heilige Land, um dem göttlichen Israel den Frieden zu bringen. Ein Wunder schien in Sicht. Natürlich war im Angebot von George Bush vom Status Jerusalems ebenso wenig die Rede wie von den israelischen Siedlungen im Westjordanland. Darüber, dass die palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren sollten, wurde nicht geredet und auch die Waffenstillstandsgrenzen von 1949, die immer Verhandlungsgegenstand waren, sollten nicht wieder hergestellt werden. Das war nicht nur weniger als Bill Clinton im Jahr 2000 angeboten hatte. Es war einfach ein Witz, der einem scheidenden US-Präsidenten Glanz und dem wankenden israelischen Ministerpräsidenten Halt verleihen sollte. Aus deutschen Medien war das kaum herauszulesen. Wir lachen nicht über Israels Regierung. Wir leben in einem ernsten Land. Wir haben den Judenmord ernsthaft betrieben. Deshalb wurde der Antisemitismus offiziell durch den Philosemitismus ersetzt. Das ist natürlich auch eine Form von Diskriminierung: Man darf den Israelis nicht einmal mehr beim Denken helfen. Solange das Wunder nicht einsetzt, müssen wir uns mit dem Wundern begnügen: Warum nur lösen die Araber sich nicht einfach auf?