Kühl und scheinbar unbeteiligt schreibt der emeritierte Professor der Universität Leeds über "menschlichen Abfall", über jene Gruppen von Menschen, die aus allen Rastern, allen sozialen Beziehungen gefallen, gedrängt worden sind. Schon immer habe die Moderne diesen Abfall produziert, führt Bauman aus, aber zur Zeit der Kolonialisierung konnten die temporär nicht Verwertbaren, die Überflüssigen über den Rand der modernen Welt in die nicht zivilisierten Räume drängen. Räume, in denen zwar auch bereits Wesen lebten, wie den beiden Amerika und Australien, deren menschlicher Wert aber noch stärker in Zweifel gezogen wurde als der des Menschenmülls, den man dorthin verschob: die Kriminellen, die Huren, die religiös oder politisch Andersgläubigen, der Auswurf der beginnenden Industrialisierung.

Diese Zeit, so Bauman, hat ihr Ende gefunden, seit der globale Markt jeden Teil der Erde erreicht hat, seit "das menschliche Leben bis in den letzten Winkel der Erde dem Warentausch, der Kommerzialisierung und der Monetisierung unterworfen" wurde. Zwei neue, große Haufen menschlichen Abfalls sieht der Autor: Zum einen jene Ströme von Entwurzelten in den weniger entwickelten Ländern. Deren traditionelle Arbeit und deren Produkte, von der internationalen Rationalisierung überflüssig gemacht worden sind. Denn was soll schon ein Korb aus Stroh, in Stunden geflochten, noch wert sein, wenn es Körbe aus Plastik gibt, die von Industrierobotern in Sekunden ausgespuckt werden. Was soll die Arbeit von mit der Hand ackernden Maisbauern noch wert sein, wenn es extrem ertragreiche Hybridpflanzen aus Industrielabors gibt und hoch effiziente Pflanz- und Erntemaschinen. Diese Wertlosen, denn ihre Arbeit hat nach den Gesetzen des Marktes keinen Wert mehr, versuchen die Orte ihrer Niederlagen zu verlassen und drängen in jene Gebiete, in denen es scheinbar noch genug gibt: Arbeit, Essen, soziale Strukturen.

Doch auch in den Metropolen des Westens, dort wo die Robotermaschinen und Industrielabore ihre Heimat haben, ist die Zeit der Sinnstiftung, der Gesellschaftsbildung durch Arbeit an ein Ende gekommen: Bauman sieht immer mehr permanent "Überflüssige" und unterscheidet sie von den früheren Arbeitslosen: "Der Begriff `Arbeitslosigkeit´ bezeichnet offenkundig einen vorübergehenden und anomalen Zustand". Während die "industrielle Reservearmee" ja deshalb so hieß, weil man sie bei passender Gelegenheit und Konjunktur wieder in die Produktionsschlacht führen wollte, gelten die Überflüssigen von heute "vor allem als finanzielles Problem. Sie müssen `versorgt´ werden." Selbst wenn die Versorgung mit billigem Essen, schlechter Kleidung und miesem Wohnen noch so gerade gelingt "bedeutet dies noch lange nicht, dass das soziale Überleben gesichert ist". Tatsächlich bietet das zur Zeit herrschende Marktsystem keine Perspektive auf Recycling der Millionen Menschen in den westlichen Ländern (von denen, die aus den armen Kontinenten kommen, ganz zu schweigen): In den Vorstädten von New York, London oder Paris finden sich Familienverbände, in denen schon die dritte Generation ohne Arbeit ist, Berlin bleibt vorläufig mit der zweiten Generation noch abgeschlagen.


Zunehmend gilt der Menschenmüll als lästige, nicht mehr verwertbare Masse, die nur noch unter dem Blickwinkel der Kosten betrachtet wird: "Warum sollten diese plötzlich aus der Gesellschaft ausgeschlossenen Arbeitnehmer die Regeln des politisch-demokratischen Spiels respektieren, wenn die Regeln so offensichtlich missachtet werden?" In dem Maße, so Bauman, wie der Staat seine klassische Aufgabe als Mittler zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Besitzern an Produktionsmitteln und Arbeitskraftverkäufern aufgibt, in diesem Maße zerbricht die gesellschaftliche Übereinkunft, nach der man sich an Regeln zu halten hat: Die Folgen sind in Kriminalität, lokalen Vorstadt-Bürgerkriegen oder blutigen Stammes-Konflikten sichtbar.

Auch die offiziellen Parolen, die vom "Wohlstand für alle" (Ludwig Erhard) der 50er Jahre über die "Wohlfahrt für viele" der 90er zur "Selbstverantwortung und Risikobreitschft" des neuen Jahrtausend mutiert sind, spiegeln den Zerfall vermeintlich gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele. "Die dringendste Anforderung, der sich jede Regierung zu stellen hat, die den Abbau und das Hinscheiden des Sozialstaates verwaltet, besteht deshalb im Finden oder Erfinden einer neuen Legitimationsformel, mit der sich die Durchsetzung staatlicher Autorität und die Forderung nach Disziplin begründen lassen." Und wie immer sind die USA mit ihrer Formel des "Kampfes gegen den Terror" allen weit voraus. Wer sich erinnern mag, wie nach dem Anschlag auf das World-Trade-Center hinter jedem Baum ein Terrorist und in jedem Brief der Kampfstoff Antrax vermutet wurde, wie bis heute die Terror-Hysterie zu Staatsdoktrin erklärt wird, der wird Bauman zustimmen müssen, wenn er zitiert: "Wenn Regierung und Medien der Zahl an Toten, die der Straßenverkehr Tag für Tag fordert, ähnlich viel Aufmerksamkeit widmeten, würden wir vielleicht, vor Angst gelähmt, gar nicht mehr in unsere Autos steigen."

Nicht in allem konnte ich Bauman zustimmen. So zum Beispiel, wenn er jener Produktion, die über die bäuerliche, die einfache Reproduktion hinausgeht, Zerstörung und Müll als ihr grundsätzlich innewohnend attestiert. Auch der Grundton der Unumkehrbarkeit der Verhältnisse, der sein Buch bestimmt, blieb mir ähnlich fremd wie seine einfache Übertragung gesellschaftlicher Verhältnisse auf die privaten. Aber das ändert nichts daran, dass Zygmunt Baumann ein wunderbar altmodisches Buch geschrieben hat: Es glättet nicht, es regt an, es wirft auf und verpflichtet zum Weiterdenken.