Ausgerechnet der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Thomas Nord stellte jüngst scheinbar die Schicksalsfrage: Sahra Wagenknecht müsse umgehend die Fraktion verlassen, oder er würde austreten. Ausgerechnet Nord? Denn gegen Thomas Nord ist zur Zeit ein Verfahren mit dem Ziel des Partei-Ausschluss anhängig. Nord, der dem erstaunlichen Glauben anhängt, er sei für die PdL wichtiger als der Medien-Star Sahra Wagenknecht, hatte via Facebook seinen Genossen Michael von Klitzing, Kreistagsabgeordneter aus Cloppenburg, als „eine kleine dreckige Mistmade“ bezeichnet. Von Klitzing hat ihm deshalb „Nazi-Jargon“ vorgeworfen – denn die Nazis bezeichneten ihre Feinde gern als Ungeziefer, als Gewürm. Nicht genug damit, bezog Thomas Nord auch den Liedermacher Diether Dehm und den Friedensaktivisten Alexander Neu, beide Abgeordnete der Linkspartei, in seine Beschimpfungen mit ein. Nun liegt der Antrag auf Ausschluss des Pöblers bei der Bundes-Schiedskommission.

Was durchaus eine interne Angelegenheit der Partei sein könnte, weitet sich zu einer ernstzunehmenden politischen Affäre aus. Denn natürlich haben diverse Medien die Attacke des Herrn Nord begierig aufgegriffen. Nazi-Sprache in der Linkspartei: Das passt all jenen in den Kram, die ohnehin die LINKEN gern mit den RECHTEN gleichsetzen. Zudem hat sich der Verbal-Angriff von Thomas Nord mit seiner neuen Anti-Wagenknecht-Initiative als ein Teil einer Spaltungskampagne herausgestellt: Die angepöbelten PdL-Mitglieder Dieter Dehm und Alexander Neu zählen zu den Freunden von Sahra-Wagenknecht. Anders als Gregor Gysi. Der Egomane Gysi ist mit Sahra Wagenknecht befeindet, seit die in der Debatte um das Linken-Europawahlprogramm die EU als "neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" bezeichnet hatte. Auch wenn das den blanken Tatsachen entspricht, wollte Gysi unbedingt eine Abschwächung dieser Formulierung. Vor diversen Kameras erklärte der Alt-Star der Linkspartei: "Für uns linke Internationalisten gibt es kein Zurück zum früheren Nationalstaat. Wir müssen Befürworter der europäischen Integration sein." Zwar hatte keiner seiner Genossen für ein Zurück zum Nationalstaat plädiert, aber es war eine wirklich häßliche, bis heute nachwirkende Verleumdung.

Den Vorwurf des „Nationalismus“ handelt sich Sahra Wagenknecht in der innerparteilichen Diskussion nach wie vor ein, wenn sie eine Antwort auf die offene Flüchtlingsfrage fordert: Wie viel von den Millionen Menschen, die in Afrika als Ausweg aus ihrer sozialen Lage die Flucht nach Europa sehen, sollen denn nach Deutschland kommen? Als Wagenknecht die schwammige Forderung der Aktion #Unteilbar nach offenen Grenzen für alle als „weltfremd“ qualifizierte, war es ausgerechnet der Nazi-Sprech-Nord, der den Rücktritt von Wagenknecht forderte. Während Nords Drohung eher als heiße Luft bewertet wird, erscheint eine heimliche Aktion von Gregor Gysi als eher unheimlich für den Bestand der Partei. Gysi will in diesen Tagen mit einigen Vertrauten in Brandenburg beraten, wie man das Bündnis zwischen Wagenknecht und Dietmar Bartsch beenden könnte. Die beiden haben in den letzten Jahren als gleichberechtigte Fraktionsvorsitzende die auseinander strebenden Flügel der LINKEN zusammengehalten. Ein beachtliches Kunststück.

Gelingt Gysi die Trennung des Duos Wagenknecht-Bartsch, dann geht ein Plan auf, den der smarte Mann aus Berlin seit dem LINKEN-Parteitag in Göttingen (2012) hegt: Die Spaltung der Linkspartei. Schon Monate vor dem Göttinger Parteitag hatte Gysi in der Bundestagsfraktion jene schroffen Gegensätze zwischen Ost- und West-Mitgliedern ausgemacht, den der deutsche Medienapparat seit Monaten als Waffe gegen die Linkspartei nutzte: Es gäbe gute Reformer in der LINKEN, die kämen aus dem Osten und böse Revoluzzer, die wären aus dem Westen. Statt das gezielte Gewäsch der Medien zurückzuweisen, behauptete Gysi „Hass“ zwischen Ost und West in der LINKEN, um zu diesem Fazit zu kommen: „Dann wäre es sogar besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen." Erst mit einer fulminanten Rede von Oskar Lafontaine konnte damals die Spaltung vermieden werden: "Es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen“.

So ähnlich sehen es auch die Wähler der LINKEN: In einer aktuellen Umfrage des INSA-Consulere Instituts fühlen sich 80 Prozent von ihnen in ihren Interessen von Sahra Wagenknecht vertreten. Nur zehn Prozent der Befragten sind der Meinung, sie vertritt deren Interessen nicht. 46 Prozent der Umfrageteilnehmer glauben, Dietmar Bartsch verträte deren Interessen, 22 Prozent geben an, er vertritt ihre Interessen nicht. Bezüglich Katja Kipping geben 40 Prozent der Umfrageteilnehmer an, diese nähme ihre Interessen wahr, 30 Prozent fühlen sich in ihren Interessen nicht von Katja Kipping vertreten. Katja Kipping sowie Dietmar Bartsch sind bei den Linke-Wählern deutlich unbekannter als Sahra Wagenknecht. Wohl auch deshalb hat der Landesausschuss der LINKEN Niedersachsen schnell beschlossen, jedem Abwahl-Antrag von Frau Wagenknecht – der SPIEGEL spekulierte anläßlich des kläglichen Versuchs von Thomas Nord darüber – eine Absage zu erteilen.

Die Schicksalsfrage von Thomas Nord – „Sie oder ich“ – wird die Geschichte kühl mit einer Gegenfrage beantworten: Wer war eigentlich Thomas Nord? Die Frage nach dem OB und dem WANN und WIE der Spaltung der LINKEN wird in den nächsten Monaten geklärt sein. In die jüngere Geschichte Deutschlands ist die PDS-LINKE bereits jetzt positiv einzuordnen: Sie war ein wichtiger Versuch, die Niederlage der Linken – vom Zerbröseln der DDR, dem Verfall der SPD und der Anpassung der GRÜNEN – in eine Wiedergeburt zu wandeln. Temporär war dieser Versuch durchaus erfolgreich. Und Gregor Gysi war lange Zeit wesentlich daran beteiligt. Heute wird der Mann nun zum schrecklichen Beispiel dafür, dass man mit dem Hintern prima das umwerfen kann, was man mit den Händen aufgebaut hat.

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Ein brillantes Stück Journalismus! Danke Herr Gellermann.

Petra Keller
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Wer weiß, welche Antwort die Geschichte auf die Frage bringen wird, wer/was von der "Linken" überhaupt links war?

Klaus Madersbacher
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Danke, Uli Gellermann, für diese Analyse. Hatte den Streit auf Facebook zwar mitbekommen, ohne dass jedoch die Hintergründe wirklich deutlich wurden - jetzt ist das ganze durchsichtig geworden.

Was wäre die Medienlandschaft ohne die Rationalgalerie!

Abel Doering
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CDU-Kanzlerkandidat in Spe Merz liess ja kürzlich laut SPON verlauten, dass er sich durchaus eine enge Zusammenarbeit mit den inzwischen so bürgerlich gewordenen Grünen vorstellen könne. Besonders zwischen ihm und Cem Özdemir gäbe es da grosse...

CDU-Kanzlerkandidat in Spe Merz liess ja kürzlich laut SPON verlauten, dass er sich durchaus eine enge Zusammenarbeit mit den inzwischen so bürgerlich gewordenen Grünen vorstellen könne. Besonders zwischen ihm und Cem Özdemir gäbe es da grosse weltanschauliche Überschneidungen. Man kenne sich mittlerweile ja auch besser. Dass man sich aus der Atlantikbrücke kennt, und dass die dort gelernte USA-Hörigkeit der Grund für die weltanschaulichen Überschneidungen ist, verschweigt SPON natürlich. Man kann angesichts der von Uli oben so scharf dargelegten Vorgänge natürlich nur spekulieren, aber Gysi scheint auch ein Aspirant für die Mitgliedschaft in diesem Club zu sein.

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Marc Britz
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Lieber Uli,
danke, eine wichtige Zusammenfassung und Langzeit-Entschlüsselung für das Kurzzeitgedächtnis dieser Medien-Gesellschaft.

Marius van der Meer
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DEM EINST VON MIR GESCHÄTZTEN
INS POESIEALBUM GESCHRIEBEN

Gysi, Gysi, warum hast Du uns verlassen?
Vergeben geht nicht, denn Du weißt wohl, was Du tust!
Du verträgst nicht, hinter Sahra zu verblassen.
Dein Verdrehervorwurf: einfach nicht zu fassen!
Du...

DEM EINST VON MIR GESCHÄTZTEN
INS POESIEALBUM GESCHRIEBEN

Gysi, Gysi, warum hast Du uns verlassen?
Vergeben geht nicht, denn Du weißt wohl, was Du tust!
Du verträgst nicht, hinter Sahra zu verblassen.
Dein Verdrehervorwurf: einfach nicht zu fassen!
Du bläst ins falsche Feuer, Gregor! Zündeln rußt!

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Lutz Jahoda
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Die Frage im Kern ist doch, wessen Geschäft besorgt Herr Gysi eigentlich? Ist ihm an der Sache (der Linken) gelegen oder was treibt ihn denn. Mir kommt da rückschauend seine kurze Karriere als Berliner Wirtschaftssenator in den Sinn. Hier hätte...

Die Frage im Kern ist doch, wessen Geschäft besorgt Herr Gysi eigentlich? Ist ihm an der Sache (der Linken) gelegen oder was treibt ihn denn. Mir kommt da rückschauend seine kurze Karriere als Berliner Wirtschaftssenator in den Sinn. Hier hätte er nämlich nach sehr kurzer Zeit Farbe bekennen müssen und davor hat er sich mit der Flugmeilenaffäre "bravourös" gedrückt. Jedenfalls sehe ich das mittlerweile so. Und dann ist da noch das Schicksal der linken Kräfte in Deutschland insgesamt. Immer gespalten, nie im richtigen Moment auf der Höhe der Zeit. Wobei ich dabei durchaus und sogar besonders die gewesene DDR und ihr historisches Versagen sehe. Denn wir hatten, und Gysi war da wohl auch nicht ganz unbeteiligt, denn er war Teil des dortigen Establishments, spätestens seit Honnecker nichts besseres zu tun, als uns abzugrenzen, auch eine Form der Spaltung der Linken. Ich als "einfacher" Ex-DDRler, der keinerlei Kontakte in den Westen hatte sehe es heute mit Entsetzen, wie die DDR-Oberen alles aus dem Westen verteufelt und dabei auch die zweifellos vorhandenen progressiven Kräfte brüskiert haben. Jeder und ich betone es nochmals jeder nichtfamiliäre Kontakt westwärts wurde mit dem Verdikt der feindlichen Kontaktaufnahme belegt und ich komme nicht umhin, dies auch Personen vom Schlage Gysis anzulasten, da diese es als Teil des Apparats besser gewußt haben. Hier nur ein kurzer Ausschnitt zu den Wurzeln Gysis aus Wikipedia.
"Klaus Gysi, studierter Ökonom, trat 1931 der KPD bei und arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR. Er war unter anderem als Geschäftsleiter des Aufbau Verlags tätig, später als Botschafter in Italien, als DDR-Kulturminister und Staatssekretär für Kirchenfragen. Er war auch für die Staatssicherheit als IM Kurt tätig. ... Die Eltern von Gregor Gysi hielten sich während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland auf. Das Paar war im Auftrag der KPD im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und heiratete 1945; die Ehe wurde nach 14 Jahren geschieden.
Irene Gysi war im Kulturministerium der DDR für den Austausch mit dem Ausland zuständig und leitete später die ostdeutsche Filiale des Internationalen Theaterinstituts."
Wer anders also als Gysi konnte es besser wissen wer seinerzeit beispielsweise im Westen progressiv im Sinne der linken Kräfte war. Aber etwa gegen den regierungsoffiziellen Strom auftreten? Das konnte in der DDR schnell jedenfalls Vorteile kosten! Deswegen hat man das regelmäßig tunlichst unterlassen! Und jetzt noch immer das Gleiche. Jetzt sogar die ausdrücklich betriebene Spaltung der Linken anstatt wie angezeigt Werbung um die fortschrittlichsten aufrichtigen Kräfte, die es ja sicher auch in der SPD gibt. Und auf diese Weise werden die Linken in Deutschland noch immer am schnellsten marginalisiert, verwunderlich ist nur, wie das immer wieder funktioniert!

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Otto Bismark
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Interessantes Detail vielleicht noch:
Ex-Stasi-Mann Nord, der jetzt offenbar den Hypermoralisten gibt, ist mit der Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach verheiratet, die Wagenknecht in einer reichlich peinlichen Szene auf dem letzten...

Interessantes Detail vielleicht noch:
Ex-Stasi-Mann Nord, der jetzt offenbar den Hypermoralisten gibt, ist mit der Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach verheiratet, die Wagenknecht in einer reichlich peinlichen Szene auf dem letzten Parteitag angepöbelt hat. Breitenbach gehört zu der berüchtigten Berliner Reformer-Clique um das Brüderpaar Wolff (der eine als Finanzsenator verantwortlich für die große Wohnungsprivatisierung). Dass da ein Einsamer schwer mit sich gerungen hat und zu dem Schluss gekommen ist: "Ich kann nicht anders", ist von daher noch unglaubwürdiger. Es ist sicher ein Komplott. Der Berliner Reformerflügel fühlt sich gerade sehr stark.

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Hanns Hartz
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Ein sehr informativer Kommentar! Noch besser wäre er, würde in ihm Sahra Wagenknechts Name richtig geschrieben werden.
Sahra schreibt sich mit bekanntlich mit -h- in der Mitte. Das ist die persische Schreibweise.

Andreas Wehr
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Danke für den informativen, sachlichen und gehaltvollen Artikel, der der Aufklärung und der besseren Einordnung des Themas dient.
Die Geschichte der Eltern von Gysi sagen erstmal über ihn nichts aus; außer dass er sich schämen sollte, doch...

Danke für den informativen, sachlichen und gehaltvollen Artikel, der der Aufklärung und der besseren Einordnung des Themas dient.
Die Geschichte der Eltern von Gysi sagen erstmal über ihn nichts aus; außer dass er sich schämen sollte, doch Opportunisten hat es und wird es immer geben.
Einiges an Kommentaren werde ich auch in Zukunft, wenn möglich ignorieren.

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Ulrike Spurgat
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