Die Nachricht schockierte die Weltöffentlichkeit: Mitte September 2019 zerstörten ein paar ferngelenkte Drohnen mit einem Schlag die größte Ölraffinerie Saudi-Ara- biens in Abqaiq im östlichen Teil des Landes. Kein anderes Ereignis hätte der Welt so drastisch wie eindringlich vor Augen führen können, welche Konsequenzen ein US-Krieg gegen Iran auf die Weltwirtschaft und den Weltfrieden haben würde. Dieser Drohnenangriff hat gezeigt, dass Iran im Falle eines US-Krieges mit asymmetrischen Gegenangriffen reagieren könnte, und dass dann eine empindliche Beeinträchtigung der globalen Energieversorgung und der Weltwirtschaft kein abstraktes Szenario mehr bliebe. So gesehen ist es beinahe auch irrelevant, ob der Jemen oder der Iran selbst hinter der Militäraktion gestanden hat. So oder so hat sich der Drohnenangriff als eine äußerst wirksame Aktion gegen den drohenden Irankrieg herausgestellt. Kein Wunder, dass wir genau seit diesem Datum so gut wie keine weitere Kriegsdrohungen seitens der potenziellen Kriegskoalitionäre USA, Israel und Saudi-Arabien gegen Iran mehr hören. Kein Wunder auch, dass in den westlichen Medien die Kriegspropaganda schlagartig zum Stillstand gekommen ist. Trotzdem wäre eine Entwarnung fehl am Platz. Zum einen führen die USA ihren Wirtschaftskrieg gegen die iranische Bevölkerung weiter. Und zum anderen muss damit gerechnet werden, dass die Kriegstreiber an ihrem Projekt des Amerikanischen Jahrhunderts und der Schaffung eines Greater Middle East einschließlich eines Regime Change im Iran festhalten werden.

Offen ist allerdings weiterhin die Frage, wie die Sicherheit der Öltransporte im Persischen Golf gewährleistet werden kann, nachdem im Sommer 2019 im Zusammenhang mit Kriegsdrohungen der USA gegen Iran mehrere Öltanker zur Zielscheibe von Raketenangriffen geworden waren. Die USA nahmen die aller Wahrscheinlichkeit nach selbst geschürte Eskalation zum Anlass, weitere Kriegsschiffe in den Mittleren Osten zu schicken. Aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland wurde die Idee einer EU-Militärmission im Persischen Golf ins Spiel gebracht. Gegenüber allen diesen Vorstellungen zur Sicherheit der freien Schifffahrt im Persischen Golf, die sämtlich in der Tradition kolonialistisch-interventionistischer Strategien stehen, hat der iranische Staatspräsident Hassan Rohani bei der letzten UN-Generalversammlung Ende September 2019 mit der Allianz der Hoffnung ein regionales Sicherheitskonzept für den Persischen Golf vorgeschlagen. Dessen Kern besteht darin, dass sämtliche Anrainerstaaten des Persischen Golfes, also Kuweit, Katar, Bahrain, Arabische Emirate, Abu Dhabi, Saudi-Arabien, Oman, Iran und Irak, selbst die Sicherheit im Persischen Golf garantieren sollen. Während Russland und China auf Rohanis Vorschlag positiv reagierten, überzogen ihn sämtliche westliche Regierungen mit dem Mantel des Schweigens. Die vorgeblich unabhängigen Medien der westlichen Staatengemeinschaft haben den Vorschlag überwiegend ignoriert.

Hinter Rohanis Konzept verbirgt sich im Grunde die Idee der regionalen Kooperation und der gemeinsamen Sicherheit, die als Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) für den gesamteuropäischen Raum schon längst bekannt ist. Der IPPNW-Arbeitskreis Nord-Süd entwickelte in Anlehnung an die KSZE die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (KSZMNO). Seit Jahren plädieren iranische Spitzendiplomaten wie der ehemalige iranische Botschafter in Deutschland Hossein Mussavian und neuerdings auch der gegenwärtige Außenminister Javad Sarif selbst für eine regionale Kooperation und gemeinsame Sicherheit im Mittleren Osten, um die Sicherheitsprobleme der Region in die Hände der betroffenen Staaten zu legen.

Rohani erklärte bei der UN-Vollversammlung Ende September 2019 die Bereitschaft Irans, alle Differenzen mit den Golfstaaten auszuräumen, um das Projekt zusammen mit diesen Staaten zu verwirklichen. Das Konzept der Sicherheit der Transportroute für ein Drittel der globalen Ölversorgung durch die Anrainerstaaten des Persischen Golfes verdient meines Erachtens die größtmögliche Unterstützung durch die internationale Friedensbewegung und die Weltgemeinschaft. Es hat weit über die Frage der Sicherheit der globalen Ölversorgung hinaus auch das Potential, langfristig den Mittleren Osten und die Welt insgesamt friedlicher und sicherer zu machen.

»Erstens beginnen die Anrainerstaaten am Persischen Golf mit dem Projekt zum ersten Mal in der Geschichte, die eigenen Sicherheitsbedürfnissen selbst zu definieren und damit all jenen interventionistischen Intentionen äußerer Mächte einen Riegel vorzuschieben. Seit über 65 Jahren verursachen diese, unter dem Vorwand der Sicherheit der Welt-Energieversorgung, im Mittleren Osten durch eine Politik der Regime Changes, der Spaltung, des Wettrüstens und der Kriege die größten Unsicherheiten in der Region.

»Zweitens werden die Anrainerstaaten am Persischen Golf erstmalig mit der Aufgabe konfrontiert, die bisher zwischen ihnen – überwiegend durch äußere Interventionen – entstandenen Gräben zuzuschütten, die zwischen ihnen künstlich herbeigeführten Feindschaften und Feindbilder abzubauen und damit gleichzeitig auch fundamentale Voraussetzungen für eine innergesellschaftliche Demokratisierung in den mittelöstlichen Staaten herzustellen.

»Drittens und nicht zuletzt könnte das Konzept der gemeinsamen Sicherheit am Persischen Golf, wenn die Golfanrainerstaaten dies erfolgreich verwirklicht hätten, als Folie einer Perspektive für die gesamte Region des Mittleren und darüber hinaus irgendwann auch des Nahen Osten dienen und nutzbar gemacht werden.

Eine solche Perspektive, die langfristig die einzig mögliche für den Mittleren und Nahen Osten ist, erklärt vielleicht auch das absolute Desinteresse und sogar die totale Ignoranz westlicher Eliten und Medien, die Rohanis Vorschlag gegenwärtig entgegengebracht wird. Offensichtlich befindet sich die westliche Staatengemeinschaft immer noch ziemlich tief im eigenen kolonialistisch geprägten Sumpf und ist daher unfähig, die Idee der Selbstbestimmung der Völker ernstzunehmen. Gerade deshalb ist die internationale Friedensbewegung aufgefordert, den Ball aus dem Iran aufzunehmen und die Weltöffentlichkeit für einen neuen Weg der selbstbestimmten Sicherheit im Mittleren und Nahen Osten zu gewinnen.

Auch für Iran als eine de facto regionale Großmacht bringt eine aus dem Inneren der Region entwickelte Sicherheits-, Kooperations- und Friedensperspektive, die erfolgreich sein will, eine Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen mit sich: Die kleineren Golfstaaten wie Katar, Emirate, Kuwait, Abu Dhabi und Oman haben zu Recht die Befürchtung, für Hegemonialinteressen der starken Golfstaaten instrumentalisiert zu werden. Deshalb müssten sich die größeren Golfstaaten Iran, Saudi-Arabien und auch Irak unmissverständlich für das Prinzip „Ein Land – eine Stimme“ in allen aufzubauenden Institutionen und Organen stark machen. Zu den Good-Will-Maßnahmen der größeren Golfstaaten, allen voran Iran als Initiator des Projektes, gehört auch, allen betroffenen Staaten bilaterale Nichtangriffspakts-Abkommen und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Vertragsstaaten anzubieten.

Iran wäre nicht zuletzt gut beraten, den Golfstaaten eine gemeinsame Strategie für den langfristigen Ausstieg aus dem fossilen Pfad zu unterbreiten, um an den unumgänglich gewordenen internationalen Klimaschutzprogrammen konstruktiv mitzuwirken und sich auch für die Umstellung der eigenen Volkswirtschaften auf die postfossile Ära mit größtmöglicher Planungssicherheit vorzubereiten. Ein solches Anliegen dürfte in der Weltöffentlichkeit nicht nur auf große Sympathie stoßen, sondern sie auch noch für die Grundidee der gemeinsamen Sicherheit am Persischen Golf mobilisieren.

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Dieser Artikel ist ein sehr guter Anfang für das neue Jahrzehnt. Fangen wir bei Null wieder und sorgen für Frieden!

Bleibt jetzt noch zu wünschen, dass diejenigen, die überhaupt nichts mit Frieden und dergleichen was anfangen können, wie der von...

Dieser Artikel ist ein sehr guter Anfang für das neue Jahrzehnt. Fangen wir bei Null wieder und sorgen für Frieden!

Bleibt jetzt noch zu wünschen, dass diejenigen, die überhaupt nichts mit Frieden und dergleichen was anfangen können, wie der von den USA dominierte Westen, sich zurückhalten oder zur Zurückhaltung gezwungen werden, weil das die Sprache ist, die sie verstehen.

Wenn ich dann noch lese, dass neben den USA auch GB, F und DE einen EU-Militär-Einsatz zur Sicherung des Seeweges überlegten (Mission ist falsch und sollte sofort übersetzt werden in das, was es ist: Krieg) - also auch "Blut für Öl" können wir hier wieder aktiv werden und dagegen demonstrieren.

Wer weiß? Das Jahr ist gerade mal ein paar Stunden alt.

Danke lieber Uli Gellermann, dass Sie uns diesen Artikel zum Anfang des Jahres schenkten.

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Karola Schramm
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Danke für diesen Kommentar! Da die USA die Welt als ihr Dominium betrachten, sind ihnen aufmüpfige Staaten im Wege. Am meisten aber ist Russland im Focus. Das muss als Langzeitziel neutralisiert werden. Nach m.M. ist das auch der Grund für alle...

Danke für diesen Kommentar! Da die USA die Welt als ihr Dominium betrachten, sind ihnen aufmüpfige Staaten im Wege. Am meisten aber ist Russland im Focus. Das muss als Langzeitziel neutralisiert werden. Nach m.M. ist das auch der Grund für alle militärischen Aktionen der USA im Nahen Osten. Zwar sind Turkmenien, Armenien und Aserbaidschan keine russischen Teilrepubliken mehr, aber als Aufmarschbasis würden sie dicht an Russland liegen. Willy Wimmer stellt sogar die Behauptung auf, dass mit allen Mitteln ein Treffen vonTrump und Putin verhindert werden muss. Trump habe sogar gesagt, dass er auf einen eigenen Dolmetscher verzichten wolle.
Hier kann man Willy Wimmers Einschätzung nachlesen: https://de.sputniknews.com/kommentare/20191210326107930-nato-wimmer-kommentar/

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Uschi Peter
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Die These von Herrn Wimmer ist ohne jeden Beweis. Sein Kommentar hat mit dem Artikel von Mohssen Massarrat nichts zu tun.

Uli Gellermann
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