Neulich in der NDR-Kantine, eine junge Frau weint in ihre Tagessuppe. Kommt Dr. Gniffke, der Chef von ARD-aktuell des Weges: „Was bekümmert Sie denn, junge Frau. Unsere Programm kann es doch nicht sein (kichert)“. Junge Frau, unter Schluchzen: „Über das Programm weine ich sonst immer. Aber heute habe ich mir mal ausgerechnet, wie meine Rente in 30 Jahren aussehen wird. Es ist nur zum Heulen!“
Dr. Gniffke, jovial: „Aber, aber, junge Frau. Das geht natürlich nur mit privater Vorsorge. Da müssen Sie schon mal selbst in die Tasche greifen!“ Junge Frau: „Und wenn nichts drin ist, in der Tasche?“ Dr. Gniffke: „Na, nur kein Alarmismus, unsere Kantine heißt nicht umsonst Kasino, da werden sie wohl Ihr Glück im Spiel versuchen müssen (kichert schon wieder)“. Auf der Flucht soll ihn der Teller Tagessuppe so gerade verfehlt haben.
Programmbeschwerde
Bsirske und "Fakten statt Mythen" (9.10.16 Tagesschau.de)
Werte Rundfunkräte, werter Herr Intendant,
in der "Rheinischen Post" hatte sich ver.di-Vorsitzender Bsirske dafür ausgesprochenden, den Rentenbeitragssatz (Arbeitnemer- und Arbeitgeberanteil) allmählich bis auf 26 Prozent anzuheben, um auch den Angehörigen der jüngeren Generation ein gutes Rentenniveau zu garantieren: "Es ist vertretbar, den Beitragssatz schrittweise Jahr für Jahr anzuheben, zum Beispiel um jeweils 0,2 Prozentpunkte".
Eine Vielzahl der kommerziellen Medien (Zeit, Spiegel, RTL u.v.a.) haben über diesen Vorschlag berichtet. ARD-aktuell verschwieg ihn, ein offenbar absichtliches Schweigen in der Absicht, soziale Probleme soweit wie möglich unter der Decke zu halten und den neoliberalen Kurs der Bundesregierung nicht zu stören. Die Propagierung einer aggressive Außenpolitik und das Kaschieren innerer sozialer Probleme, ARD-aktuell weiss das, gehören zusammen, sie sind die zwei Seiten einer Medaille.
Birskes Vorstoß zu ignorieren ist eine redaktionelle Fehlleistung, ein eindeutiger Verstoß gegen die Verpflichtung zur umfassenden Berichterstattung lt. Programmauftrag und Programmrichtlinien des NDR-Staatsvertrags. Bsirske repräsentiert immerhin die mitgliederstärkste deutsche Einzelgewerkschaft im DGB.
Dass dieses Verschweigen nicht versehentlich geschah, sondern Ausdruck des neoliberalen, konformistischen Grundverständnisses bei ARD-aktuell ist, zeigt der parallel bei Tagesschau.de veröffentlichte Beitrag:"Fakten statt Mythen" vom 9.10.16:
"Altersarmut, soziale Ungleichheit, Abstiegsängste: Die Sozialpolitik taugt zum Wahlkampfthema - weil sie jeden betrifft. Und genau deswegen trägt die Debatte auch oftmals alarmistische Züge - was vor allem Populisten nutzt."
http://www.tagesschau.de/inland/bab-soziale-ungleichheit-lammers-101.html
Wie so häufig, wenn in der Gesellschaft Besorgnisse über soziale Entwicklungen aufkommen, wird das Verkünden solcher Befürchtungen als "Populismus“ denunziert: Wer die Rentenentwicklung als Weg in die Altersarmut kritisiert, ist ein Populist und „Alarmist“. Zwar hatte Kassandra Recht, wie die Geschichte lehrt, und auch im Bezug auf die Renten spricht alles dafür, dass die Schwarzseher zu Recht eine Umkehr fordern. Doch was schert das ARD-aktuell?
Ohne einen eigenen Gedanken zu entwickeln, schreibt auch die Autorin des tagesschau.de-Beitrags aus anderen Veröffentlichungen ab, die vor mehr als zwei Wochen in den als neoliberal bekannten Mainstreammedien erschienen sind.
Zitiert wird Caritas-Chef Georg Cremer, der fragwürdigen Thesen zur Armut in einem kürzlich erschienen Buch vorstellte und dafür zwar wenig überraschendes Lob eines Regierungsmitglieds erhielt, jedoch erheblichen Widerspruch in Fachkreisen. Seine Positionen gelten in der Wissenschaft als Minderheitsmeinung ohne Gewicht. Rolf Rosenbrock, Chef des Paritätischer Wohlfahrtsverbandes, bezeichnete Cremer zutreffend als „neoliberal“.
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=29066
Der andere in tagesschau.de zitierte "Experte" A. Börsch-Supan ist ein Lobbyist und der Versicherungswirtschaft auf vielfältige Weise verbunden (Berater, Gutachter, langjährige gemeinsame Tätigkeit in der MEA). Er tritt grundsätzlich für eine Erweiterung der privaten Altersvorsorge ein. Deren Nachteile (hohe Verwaltungskosten, Abhängigkeit von der Kapitalmarktentwicklung und Unerschwinglichkeit für Niedrigverdiener) werden von ihm allenfalls am Rande erwähnt. Die gesetzliche Rente wird dagegen regelmäßig als unzureichend und problembehaftet gesehen. Ihren Ausbau/Stabilisierung lehnt dieser eindeutig pro domo redende und schreibende „Experte" ab. Dass ein so gestrickter Lobbyist Altersarmut als Ergebnis der Entwicklung der gesetzlichen Rente in Deutschland bestreitet, ist geradezu Voraussetzung seiner lobbyistischen Tätigkeit.
Bezugnahme auf solches "Expertentum“ lässt sich nur mit einer Zielvorgabe der "Tagesschau.de“ : das Fernsehpublikum soll eingeseift werden. Obwohl inzwischen selbst ein Klippschüler merken kann, dass ein kapitalgedecktes Rentensystem in Zeiten von Währungskrise und Nullzinsen seinen Sicherungschrakter einbüßt und auch in besseren Zeiten gegenüber dem gesetzlichen Rentensystem nur Nachteile aufweist.
https://lobbypedia.de/wiki/Axel_B%C3%B6rsch-Supan
Dieser Beitrag zeigt eindrucksvoll, dass die Redaktion ARD-aktuell intellektuell nicht in der Lage ist, einen unabhängigen, neutralen Standpunkt zu wichtigen gesellschaftlichen Problemen zu entwickeln, sondern nur das blind absondert, was Lobbyisten der „Flaggschiff“-Besatzung vorkauen. Wenn schon Grundkenntnisse der Sozialökonomie nicht vorausgesetzt werden können, so wäre es doch journalistisch zwingend gewesen, im Zusammenhang mit der Rentenproblematik auch andere als die genannten neoliberalen „ Experten“ zu Wort kommen zu lassen, z.B. Prof. Butterwegge. Es wären Reformansätze für die gesetzliche Rente zu diskutieren gewesen, zum Beispiel die Beitragspflicht für alle Arten von Einkommen, nicht nur aus Arbeit, sondern auch aus Vermögen, der Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze, Mehrsäulen-Finanzierung gem. Schweizer Modell usw. usf...
Fazit: Das Verschweigen der Bsirske-Ausführungen und die einseitige Darstellung von Frau Lammers auf tagesschau.de verstoßen gegen die Programmrichtlinien.
F.Klinkhammer und V. Bräutigam