Wöchentlich meldet sich der stellvertretende Chefredakteur des "Stern" mit seinem "Zwischenruf aus Berlin" und wöchentlich arbeitet er sich mit Fleiß zum ideellen Gesamtschmock der deutschen Medien hoch. Wie viele Figuren in der Branche hat er zwar von nix `ne Ahnung, schreibt aber über alles. Zum Beispiel weiß er Anfang August ganz genau, dass die von der CDU gewünschte "Erhöhung der Mehrwertsteuer richtig ist". Warum das so sein soll mag er nicht erläutern, lieber macht er sich Sorgen um die CDU. "Versagt sie, droht ihr Spaltung und Zerfall", denn "die Besten stehen abseits: Christian Wulff, Roland Koch, Friedrich Merz." Was Jörges auch nicht kapiert: Frau Merkel will den deutschen Wähler mit einem Kabinett Koch-Merz-Wulff nicht schrecken, sie versucht sich an die Macht zu schleichen.
Eine Woche später vermisst Jörges die "Erneuerung der SPD..., auf dem modernen Weg Tony Blairs", also doch deutsche Truppen in den Irak, also ein noch schlechteres Verkehrs- und Gesundheitswesen, also eine noch größere Kluft zwischen Arm und Reich? Hans-Ulrich, der einst einer relativ intelligenten Zeitung, der "Woche", vorstand, steht nun eher neben sich, immer noch von Sorgen um die CDU zerfressen: "Die Union selbst hat es in der Hand ob sie so endet. Deprimiert, ausgezehrt und mit zweitklassigem Aufgebot wie die SPD." Der Psychoanalytiker deutscher Politik legt in der nächsten Nummer des "Stern" die Linke auf die Couch: "Die Linke ist keine Ostpartei, sie ist eine gesamtdeutsche Partei der Frustrierten und Protestierenden." Das nennt man einen Abstoiber. Jörges macht sich immer noch Sorgen um Angela Merkel.
In der vierten Augustwoche ist der Mann vom anderen "Stern" aus seinen Depressionen raus und titelt jubilierend "Der Glücksfall Merkel". Während auf Berliner Merkel-Wahlplakaten die Aufkleber "Honeckers Rache" erscheinen, hofft Jörges auf die "systemsprengende Kreativität" der Kandidatin und konstatiert, dass "das Potenzial einer Kanzlerin Merkel zu leuchten" beginnt und nur, weil der "Kompetenzler Kirchhof" nun im Boot der CDU sitzt. In Hans-Ulrich Jörges Gehaltsgruppe sieht man der Kirchhofschen Steuersenkung mit leuchtenden Augen entgegen, attestiert doch das "Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung" dem Kirchhof-Konzept, dass von ihm "vor allem die Bezieher höherer Einkommen profitieren". In einem allerdings hat Jörges recht: Frau Merkel und Herr Kirchhof möchten das System der sozialen Marktwirtschaft sprengen. Früher hat sich der Verfassungsschutz um Systemveränderer gekümmert.
In der ersten Septemberausgabe des "Stern" zelebriert der Zwischenrufer den Abgesang auf Schröder: "Das Volk hat verstanden: Die (Sozialdemokraten) können nicht mehr, die wollen nicht mehr." Deshalb hält er auch das TV-Duell von Kanzler und Kandidatin für nebbich, denn: "Die Wähler wissen: Der (Schröder) hat keine Chance mehr." Das mag ja so sein, aber noch vor Monaten haben Jörges und die anderen sich am Tisch des Kanzlers gedrängt und die Brosamen aufgesammelt, die runter fielen, noch vor Monaten haben sie vor der Macht gesabbert, jetzt eilen sie, um "im letzten Augenblick auf den Zug der Sieger aufzuspringen."
Es ist immer unangenehm, die Wendehälse beim Wenden zu beobachten. Doch wie die "Edelfeder" Jörges im Wahlkampfendspurt eine lange, publizistische Schleimspur hinter sich herzieht, auf der die Merkel ins Amt rutschen soll, wie er, ohne jeden ökonomischen Sachverstand, die sozialen Probleme des Volkes ausblendet in dessen Mitte er lebt, das ist ebenso ekelhaft wie leider handelsüblich.