Jetzt hat er sie rausgelassen, die letzte Wahrheit über den Kapitalismus, der Kanzler Schröder: "Kein anderes System hat den Menschen mehr Freiheit, mehr Sicherheit und mehr Wohlstand bieten können" (SPD-Kongress zur Marktwirtschaft).

Natürlich stammt diese kühne These noch aus der zweigeteilten Welt, als es noch das scheinbar sozialistische und das wirklich kapitalistische Lager gab. Irgendjemand sollte dem "Modernisierer" Schröder mal erzählen, dass diese Zeit sei 15 Jahren passé ist. Egal, wir wollen ihn beim Wort nehmen. Korea bezeichnet sich noch als sozialistisch und Kuba und die VR China auch. Man muss nicht in die chinesischen Sonderwirtschaftszonen gehen, um heraus zu finden, dass der alte, scharfe Manchesterkapitalismus heute seine Heimat in China hat. In Korea gibt es ohne Zweifel eine Diktatur, was sie mit Sozialismus zu tun hat, weiss wahrscheinlich nicht mal Kim Il Jong. In Kuba ist zu besichtigen, was dabei heraus kommen kann, wenn die USA den Wunsch kleinerer Staaten nach Freiheit ignoriert.

Besonders frei ist das kapitalistische Russland, das kapitalistische Pakistan, das kapitalistische Ägypten und andere arabische Kapitalismen. Und so richtig superfrei ist der ebenfalls kapitale Sudan und andere afrikanische Böcke. Selbst solche "Schurkenstaaten" wie der Iran oder Syrien sind, trotz staatlicher Kerne, kapitalistische Länder. Die Zeit, die nach 9/11-USA auf ihre Freiheit zu untersuchen bleibt kaum, von religiöser Toleranz und Einhaltung des Völkerrechtes, was schon zur "Freiheit" gehören möchte, ist besser nicht die Rede.

Vielleicht kann man von einem Rechtsanwalt aus Hannover kein historisches Bewusstsein verlangen, von einem Kanzler werden gewisse Geschichtskenntnisse erwartet: Die letzten Westeuropäischen Diktaturen, Spanien und Portugal, wandelten sich erst Mitte der 70er Jahre. Keineswegs wurden die Schurken an der Spitze dieser kapitalistischen Staaten von ihren Nato-Partner verjagt, das musste die Bevölkerung schon selbst erledigen. Auch Hitler stand keinem sozialistischen Staat vor, die Zwangsarbeiter verreckten in sehr privaten Betrieben und das Zyklon B zur Ermordung der europäischen Juden wurde in einer Aktiengesellschaft hergestellt. Soweit zum Junktim "Freiheit und Kapitalismus."

Die Freiheit hat viele Seiten, Johannes Gottfried Seume zum Beispiel, meinte: Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freiheit..." Zwar ist Seume schon lange tot, aber weil der Kanzler es vor Jahren mal mit der sozialen Gerechtigkeit hatte, gewinnt der Schriftsteller an Aktualität. Und wenn jetzt noch diese Gerechtigkeitslatte als Maßstab für Freiheit angelegt werden würde, dann bliebe von Freiheit im Kapitalismus nicht viel übrig.

Gerhard Schröder, der als Juso mit der "Stamokap"-Fraktion verbandelt war, jener Gruppe in der SPD, die glaubte der staatsmonopolistische Kapitalismus sei ziemlich ungut, hat in seiner Amtszeit immerhin kräftig zum Abbau des Staates beigetragen. Zugunsten privater Unternehmen. Nun sollte man niemandem vorwerfen, dass er in seiner Jugend mutiger war als im Alter. Vielleicht ist Schröder einfach nur reifer geworden, altersweise: Denn Kapitalismus ist Freiheit. Und Schröder ist in der nächsten Legislaturperiode noch Kanzler.