Anna Netrebko ist "eine der bedeutendsten Sängerinnen unsrer Zeit" lässt Anna Netrebko über sich auf Ihrer Homepage schreiben. Und sie muss es ja wissen. Weil Anna Netrebko kräftig aus dem Halse singen kann, hat sie neulich einer anderen Dame, der Angela Merkel, einen Medienpreis überreichen dürfen. Die Merkel sei eine "wunderbare Frau" und "starke Politikerin", erklärte die Opernsängerin. Das zahlte die Merkel ihr heim: Sie sei von der Netrebko "immer wieder fasziniert", wußte sie zu sagen. Und so hätte es den ganzen Abend weitergehen können, wenn der Veranstalter nicht ein Erbarmen mit dem Publikum gehabt hätte und der Netrebko keine zwei Minuten für die gesprochene Laudatio eingeräumt hätte.

Der Veranstalter, das ist Karlheinz Kögel, dem gehören Reise- und Kommunikationsunternehmen und eine Nobelkneipe in Baden-Baden, das "Medici" ein "Eleganter Szenetreff an der berühmten Lichtentaler Allee". Wer, wie der Herr Kögel, Honorarkonsul solch berühmter Länder wie Baden Würrtemberg ist, der hält natürlich die Lichtentaler Allee auch für berühmt. Zu so einem wirklichen Kenner, der gerne dieser oder jener Partei ein paar Euros spendet, gehört natürlich auch das Bundesverdientstkreuz, das Verwundetenabzeichen aus dem Afghanistankrieg hat er noch nicht. Was nicht ist kann ja noch werden.

Weil der Kögel der Anna so rüde das Wort abgeschnitten hatte, musste sie den Rest ihrer Laudatio auf die Merkel singen, das immerhin kann sie ja. Und so hatte sie ein Lied von Richard Strauss gewählt: "Cäcilie".

"Wenn Du es wüsstest,
was bangen heißt in einsamen Nächten. . . "

singt die Netrebko unverfroren in der zweiten Strophe, genau wissend, dass die Merkel im Moment Nacht für Nacht um ihre Koalition bangt, in der jeder macht was wer will, aber nicht was er soll. Und so fährt die Sängerin systemkritisch fort:

"Umschauert vom Sturm, da niemand tröstet
Milden Mundes die kampfmüde Seele . . ."

Ja natürlich ist die Merkel umschauert, der Wind bläst ihr ins Gesicht, und warum sollte sie jemand trösten wollen? Hat sie sich doch diese Koalition von Herzen gewünscht, und milde Münder, dass hätte die Kanzlerin vorher wissen können, kennt ihre Regierung nicht. Nur Lautsprecher wie den Westerwelle und den Guttenberg. Doch statt Mitleid mit der geehrten Medienpreisträgerin zu haben, fährt die Netrebko höhnisch fort:

"Wenn du es wüsstest,
Was leben heißt, umhaucht von der Gottheit . . ."

Es ist der schlechte Atem einer scheinbar unendlichen Machtgeschichte, der die Merkel umhaucht und, dass ihr Leben in der Zeit des Krieges mit einer Menge Fragezeichen versehen ist, das hat sie sich selbst eingebrockt. Doch die Netrebko kriegt dann am Ende noch die Kurve und verläppert sich im Höflichen:

"Zu schweben empor, lichtgetragen,
Zu seligen Höhn . . . "

singt sie die Merkel an, und man kann nicht sicher sein, ob sie es wirklich gut mit ihr meint. Denn wer empor schwebt zu seligen Höhen, der ist nach allen christlichen Maßstäben - und die Netrebko kommt aus dem russisch-orthodoxen Krasnodar, nicht weit vom Schwarzen Meer - ziemlich tot. Auch wenn der Russe gemeinhin als hinterhältig gilt, eine Totenklage wird die Sängerin der Kanzlerin doch nicht gesungen haben. Oder doch? Eher ist zu glauben, dass Deutschland immer mehr zur pompösen Oper gerät, in der auf der Bühne kräftig politisch geprotzt wird, vom Schnürboden aus die Ackermänner die Fäden ziehen und die Mehrheit seiner Bewohner sich den Eintritt nicht mehr leisten kann.