Mit der Herzlichkeit eines Bügelautomaten lieferte der Bundespräsident seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit in Bremen ab. Versatzstück um Versatzstück wurde dem Baukasten für politische Festivitäten entnommen und im Bauchladen der Allgemeinplätze dargeboten. Nach der Pflicht - nachdem Wulff sich bei allen, von den Ungarn über Helmut Kohl bis zu George Bush für die deutsche Einheit bedankt hatte - sollte es zur heftig erwarteten Kür, dem Thema "Integration" gehen.

Doch noch bevor der Präsident seine Chance auf eine große Rede vertat, blockierte er mit seinem Satz "Zu viel Gleichheit erstickt die eigene Anstrengung und ist nur um den Preis der Unfreiheit zu haben" jeden möglichen Gedanken außerhalb der bekannten Schemata. Denn an eben der extremen Ungleichheit scheitert die häufig beschworene Einheit des Landes: An der Kluft zwischen Hartz IV und den Ackermännern, an den Abgründen zwischen den entvölkerten und deindustrialisierten Landschaften des Ostens und den Refugien Sylter Champagnerseeligkeit und nicht zuletzt am schroffen Unterschied zwischen der dekretierenden Macht und dem bislang ohnmächtigen Protest der Bürger gegen Stuttgart 21.

Ist es die Reise- oder die Redefreiheit, die, glaubt man Wulff, durch "zu viel Gleichheit erstickt" würde? Die Reisefreiheit jener Millionen Bundesbürger, deren geringes Einkommen schon die Fahrt mit der Straßenbahn zu einer finanziellen Grundsatzfrage macht? Oder ist es die Meinungsfreiheit derer, denen man mit den Billigshows des Privatfernsehen und den Volksdümmlichkeiten der öffentlich-rechtlichen Musiksendungen das Hirn ausbläst, bis sie glauben, dass die Freiheit von Arbeit ein Fortschritt ist? Wo mag Wulff in diesem Land "zu viel Gleichheit" sehen? Er hat es uns nicht verraten.

Verraten hat er uns, dass "unsere Verfassung und die in ihr festgeschriebenen Werte zu achten und zu schützen" sind, um sich dann um die konkreten, im Grundgesetz verankerten Werte, der Gleichheit aller vor dem Gesetz und das Diskriminierungsverbot herumzudrücken: Keiner verlangt von Wulff den Sarrazin namentlich zu erwähnen, aber dass er den Sarrazynismus der Mainstreamdebatte komplett ausklammerte, das war dann doch sehr weit weg von der gesellschaftlichen Wirklichkeit Deutschlands.

Hatte man gedacht, das häufige Beschwören der Vergangenheit und des Dauerzitates "Wir sind das Volk" könnte dem Bundespräsidenten einen Hinweis auf die Hunderttausende gegeben haben, die in den letzten Wochen gegen die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke oder gegen die Selbstherrlichkeit von Politik in Stuttgart demonstriert haben, so irrte man sich: Die tatsächliche vorhandene Spaltung des Volkes in Unten und Oben, in Dafürs und Dagegens, stand nicht in seinem Manuskript. Statt dessen bot er jene Formel vom Ende der DDR an, die mit "Wir sind ein Volk" die fette, sonntäglich-nationale Versöhnungs-Soße über die Probleme des Landes goss.

Dem Mann, dem einfiel George Bush zu danken, fiel nicht ein, über Afghanistan zu reden. Immerhin ist die größte Änderung nach der Deutschen Einheit jene, die deutsche Truppen in fremder Menschen Länder führt. Ein Akt der Aggression, von der man gehofft hatte, sie sei seit 1945 ausgestorben. Vielleicht zwinkerte die Kanzlerin während der Wulff-Rede deshalb immer auffällig fröhlich in die Kamera wenn sie im Bild war: Nehmt nichts ernst in dieser Rede, lautete die Zwinker-Botschaft, mein Christian macht ohnehin nur das, was ich sage. So gilt alle Hoffnung der Normalbürger dem Schluss-Satz der Bundespräsidenten-Rede: "Gott schütze Deutschland". Falls es ihn gibt, hat er alle Hände voll zu tun.