Es ist Sommer. Jeder Sommer brennt ein Loch in die Medien. Manchmal blickt man in seine Zeitung und sieht doch durch sie hindurch. Man kann sie auch mit geschlossenen Augen lesen: Der Außenminister war irgendwo. Die Kanzlerin hat was gesagt. Der Verkehr verkehrt, meist mit sich selbst. Im Fernsehen: Nur Schnee, der von gestern, versteht sich. Das Radio macht Geräusche: Heute war in Ix ein Ypsilon. Oder auch: Wie ein Ix einem U etwas vormachte, die beliebte Reihe auf Hundert-Komma-Sonstwas. Der Sommer zieht sich, kaum begonnen, wie Kaugummi. Wenn nicht bald in Loch Ness etwas geschieht, wird der Sommer vergehen und wir auch. Ohne genachrichtet zu werden. Und doch könnte, durch eine Ritze der Nachrichten-Masche, eine kleine, zapplige Meldung gerutscht sein: Osama bin Laden wäre beinahe gesehen worden.

Können Sie sich noch an Osama bin Laden erinnern? Das ist der, über den anständige Leute keine Witze machen. Der Mann der sooonen Bart hat. Der Osama, der an allem Schuld ist: An keinem Öl vor allem. Der Mann, der den Terror erfunden hat und den wir, Sie und ich, auf Geheiß der USA seit Jahren suchen. Dessentwegen wir in Afghanistan sind. Und andere im Irak. Ist er nicht neulich in Teheran gesichtet worden? Betreibt er eine Teeschenke in Dubai? Eine Geisterbahn in Sidney? Einen gut gehenden Koran-Verlag in Oberammergau? Osama bin Laden, einst allgegenwärtig und allmächtig, ein moderner Gottseibeiuns, der Gottseidank nie gefunden wurde, scheint verschwunden zu sein. Aber in einer Gesellschaft, in der Elvis immer wieder neu geboren wird, in der Jim Morrison alle Nase lang wieder aufersteht, da kann Bin Laden nicht ewig verborgen bleiben.

Lange haben die USA schon Dörfer und Städte bombardiert, um dem flüchtigen Bin Laden eine gründliche Habhaft zu verpassen, in Guantanamo vielleicht. Dieses Bombardement ist eine ungemein praktische Methode: Man wirft, sagen wir in ein Dorf von dreihundert Einwohnern, eine mittlere Bombe. Weil dort, nach absolut korrekten Geheimdienstinformationen - Herr Schäuble ist ein ehrenwerter Mann - Osama bin Laden gesichtet worden ist. Von den dreihundert Einwohnern sind anschließend gute dreihundert tot. Bin Laden könnte unter ihnen gewesen sein. Und alle anderen waren natürlich auch Terroristen. Keiner von denen widerspricht. Dann taucht wieder ein Video auf: Osama grüßt aus dem Urlaub. So sind die Terroristen: Lassen uns glauben sie seien erledigt, um dann Postkarten aus Bad Tölz zu schreiben. Heimtückisch.

Nach den vielen Bombardements hat die amerikanische Behörde für Heimatschutz jetzt ein neues, raffiniertes Mittel des Terroristenfangs entwickelt. Den Online-Fragebogen. Wer immer in die USA will, und das wollen die Terroristen natürlich, muss ihn ausfüllen. Verschmitzt fragt die Behörde zum Beispiel, ob man in den USA »kriminellen oder unmoralischen Aktivitäten« nachgehen will. Wer jetzt reinschreibt, er wolle Präsident der USA werden, der hat schon verloren. Auch die Frage, ob man in Terror-Aktivitäten verwickelt ist, erscheint als eine Falle von luzider Intelligenz: Ich sehe Osama schon zögern, soll er sich bekennen, er ist ja eher der Bekenner-Typ, oder soll er sich verleugnen, wie einst Petrus den Herrn verleugnet hat (Die Folgen sind bekannt: Sie sind unter dem Namen »Kirche« in die Geschichte eingegangen). Die Fragen nach ansteckenden Krankheiten (ob ein ansteckendes Lachen wohl anmeldepflichtig ist?) oder die nach der jeweiligen Drogensucht wird Osama wohl verneinen können.

Wahrscheinlich wird Bin Laden nicht in die USA einreisen. Vielleicht ist er schon dort. Irgendwo im mittleren Westen, ohne Bart und Turban, sitzt er inmitten wiedergeborener Christen. Und obwohl 50 Millionen Dollar für Hinweise zu seiner Ergreifung ausgesetzt sind, werden ihn seine neuen Kumpels nicht verraten. Denn wenn er nun morgen gefunden werden könnte, oder noch schlimmer, sich mit einem Friedensappell an die Taliban wenden würde und die, hingerissen von der Rethorik ihres dunklen Meisters, gäben ihren Kampf auf? Wo wäre dann die wohlfeile Begründung für die vielen fremden Truppen in Afghanistan? Dahin. Bin Laden wird dringend gebraucht. Als Begründungszusammenhang. Als Feindbild. Als gefährliche aber scheue Nachricht. Noch dauert der Sommer an. Vielleicht meldet sich Osama bin Laden aus A. mit einer Botschaft: Er würde sich ergeben, aber nur dem George W. Bush persönlich. Der aber redet nicht mit Terroristen. Außer solchen, die ihm in den Kram passen. Also wird sie weitergehen, die Suche nach Osama bin Laden, dem Mann, den niemand finden will.