Nichts geht über Börsennachrichten. Kursverläufe lösen eine unwiderstehliche Spannung aus, das Auf und Ab der Wirtschaft macht doch mehr her als das ewig gleiche Parlando der Politik. Hauptversammlungen, wie jene jüngst bei Daimler-Chrysler, sind die wahren Dramen: Gelingt es dem großen Vorsitzenden das Steuer herumzureißen? Wird er ausreichend Beschäftigte entlassen können, damit es für saftige Gewinne reicht? Wer verkauft wen und wann? Und: wer wird alles für dumm verkauft?


Es gab Zeiten, da waren die Börsennachrichten nur mühsam aus Spezialblättern zu erfahren, bestenfalls standen sie, relativ klein gedruckt, auf den Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen. Diese Phase ärmlicher Berichterstattung ist endlich vorbei. Längst haben die Hauptversammlungen die allgemeinen TV-Nachrichten erreicht, Börsenkurse beherrschen die Lauftitel vieler Sender, Radios beglücken den Bürger schon am frühen Morgen mit Börsen-Experten-Gesprächen: "Glauben Sie, dass der Dax weiter schwanken wird?" - "Nun, der Dax kann im Tagesverlauf noch eine gute Performance abgeben. Aber wir werden die Entwicklung des Nikei-Index genau im Auge behalten müssen. Alles ist möglich."

Aber der wirkliche und wahre Höhepunkt unseres Verhältnisses zur Aktie wird werktäglich, abends fünf vor acht , auf dem Ersten Programm zelebriert: Die "Börse im Ersten". So sieht Grundversorgung aus, da werden einem die Rundfunkgebühren mit Zinseszins zurückgezahlt. Seriös wirkende TV-Sprecher geben ihr Wissen preis und predigen den Markt: "Solange der Ölpreis in der Höhe ist wie er ist, wird der Markt sich weiter nach unten bewegen." Der Markt ist zum Götzen geworden, er verlangt täglich seine Opfer, seiner Verkündigung ist zu lauschen, sein Name ist zu preisen.

Der moderne Sender, erst recht der öffentlich-rechtliche, der in Konkurrenz zu den Privaten besonders modern wirken will, achtet auf die Quote. Dokumentarfilme kommen, wegen des geringen Zuschauerinteresses erst nach 23.00 h ins Programm. Kulturjournale nicht vor 22.00 h. Solche Sendungen klettern doch nie über fünf Prozent am Markt, da wird der Intendant doch nicht die Prime-Time drauf verschwenden. Rund um 20.00 h kommen nur Quoten um 20 Prozent auf den Tisch.

Das "Deutsche Aktieninstitut" vermerkt rund 7 Prozent Aktienbesitzer in der Bevölkerung über 14 Jahren. Bereinigt um die Belegschaftsaktionäre (wer lang genug bei Bertelsmann oder VW oder ähnlichen Konstrukten war, konnte günstig ein paar Aktien erwerben) sind es nur noch 5,2 Prozent. Für diese läppischen fünf Prozent Quotenerwartung räumt die ARD einen der besten Sendeplätze. Denn warum soll jemand ohne Aktien sich für den Dow Johns interessieren. Nicht nur Quote wird hier geopfert, es ist auch die beste, zugleich teuerste Zeit für TV-Werbung, die der Börse und ihrer kleinen Anhängerschaft zur Verfügung gestellt wird.

Sicher, mancher, der gar keine Aktien hat oder nur noch die Seifenblasenpapiere aus der Zeit der "new economy", guckt auch. Es gilt in manchen Kreisen als schick über die Börse zu reden. Aber mehr als fünf Prozent Realquote, bereinigt um jene Zuschauer die anschalten weil gleich die Nachrichten kommen, erreicht der Sender nie und nimmer. Und so geht es auch den Radios und den Zeitungen. Wenn es nicht um Quote, um Auflage geht, kann es nur um Ideologie gehen. Wir sollen lernen, die Aktie zu lieben und zu ehren. Und tatsächlich ist ihr Einfluss auf unser Leben beträchtlich: Ein guter Krieg belebt das Börsengeschäft und Massenentlassungen lassen die Laune auf den Märkten bis zur Champagnermarke steigen. Da feiert man doch gerne mit, wenn man nicht gerade selbst entlassen oder von Krieg überzogen worden ist. Prost Dax.

Kommentare (0)

Einen Kommentar verfassen

0 Zeichen
Leserbriefe dürfen nicht länger sein als der Artikel
Anhänge (0 / 3)
Deinen Standort teilen
Gib den Text aus dem Bild ein. Nicht zu erkennen?
Bisher wurden hier noch keine Kommentare veröffentlicht