Gegerbte Gesichter vor dem Supermarkt in Son Veri Nou: Deutsche Arbeitslose, Menschen, deren Traum vom ewigen Sommer auf Mallorca gescheitert ist, warten darauf, den Einkaufswagen vom Auto der Käufer wieder an den Stellplatz zu fahren. Das bringt einen Euro. Son Veri Nou ist kaum 20 Auto-Minuten von Palma, der Hauptstadt der Insel, entfernt. Der kleine Ort ist vollgestellt mit Protzkästen am Meer: Die größeren kosten um fünf, sechs Millionen, kleinere sind schon für zwei Millionen Euro zu haben. Man lässt peruanische Dienstmädchen einkaufen. Die haben selbst nicht genug, um den Arbeitslosen etwas abzugeben. Die, die abgeben könnten, zumeist Immobilienspekulanten, wohnen im Winter nicht auf der Insel. Zu kalt. Zu wenig mondän. Man lebt in Madrid oder Barcelona.

Eine goldglänzende Sonne beleuchtet die pittoreske Altstadt von Palma. Es geht auf Weihnachten zu. Blechern dringt der internationale Weihnachtsmusik-Terror aus den Lautsprechern an der Plaza Major: "I´m dreaming of a white Christmas". Ein Weihnachtsmarkt sucht verzweifelt nach Kunden. Um die tausend Krippenfiguren werden angeboten. Die Geburt Jesu steht, wie jedes Jahr, vor der Tür. Ochs, Esel, Maria, Josef: Alle und alles sind in allen Größen im Angebot. Auch der "Caganer" ist zu haben, die Bauernfigur aus dem 18. Jahrhundert, mit heruntergelassenen Hosen, scheisst in einer Ecke auf den Krippenboden. Immer schon haben die Katalanen und die Leute auf den Balearen diese Figur mit Gesichtern ihrer Politiker versehen. In den letzten Jahren taucht neben dem spanischen Ministerpräsident Mariano Rajoy immer häufiger der Kopf der Dame Merkel auf. Die heruntergelassenen Hosen stehen ihr.

Jeden Tag, so berichtet das deutschsprachige "Inselradio", werden vier Zwangsräumungen allein in Palma exekutiert. Vor ein paar Tagen hat ein Mann in der Calle Francisco Fiol y Juan versucht, sich das Leben zu nehmen, weil er exmittiert werden sollte. Er war nicht der erste, er wird nicht der letzte sein. In ganz Spanien stehen 350.000 Hausbesitzer vor der Zwangsräumung. Weil sie ihre Kredite nicht bedienen können. Während die Dame Merkel und andere Schönschwätzer behaupten, die EU würde sich von der Krise erholen, steigt zum Beispiel in Spanien die Zahl der Kreditausfälle. Seit Beginn der Krise haben mehr als vier Millionen Menschen ihre Arbeit verloren. Und der Internationale Währungsfonds teilt mit, dass die spanische Arbeitslosenquote nicht vor 2018 unter 25 Prozent sinken wird. Es wird ein teurer Kaffeesatz sein, aus dem die Experten lesen.

Die Deutschen wähnen sich, im Vergleich zu den Südländern, in einem Land der Seeligen. Warum nur? Im vergangenen Jahr gab es 25.000 gerichtlich registrierte Zwangsräumungen in Deutschland. Weitere 40.000 Räumungen wurden ohne Erlaubnis der Gerichte durchgeführt. Wer die Miete oder die Kredite nicht zahlen konnte, verließ noch während des Verfahrens seine Wohnung. Nicht selten wurde nachgeholfen. Ganze Regionen veröden, sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem jüngsten Armutsbericht. Mit einer 15,2-prozentigen Armutsquote, so der Bericht, "ist 2012 ein neuerliches, trauriges Rekordhoch erreicht." Gleichzeitig wächst, ob in Spanien oder Deutschland, der Reichtum der Reichen.

Man muss nicht nach Spanien fahren, um die Ursachen der wachsenden Armut zu erkennen. Der jüngste Koalitionsvertrag von CDU und SPD verzichten auf jede Steueranhebung bei den Superreichen. Der Winter der sozialen Kälte breitet sich aus in Europa. Und den Berufseuropäern fällt dazu nichts anderes ein, als die jeweiligen Haushalte auf Kosten der Ärmsten zu sanieren. Ob Angela Merkel oder Mariano Rajoy: Sie scheissen auf die Armut. Und wenn ihnen nicht in den entblößten Arsch getreten wird, dann scheißen sie auch noch morgen.

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Viele Spanier haben ihr Häuser/Wohnungen ohne einen Cent Eigenkapital gekauft... Ihre Krokodilstränen über diese “Armen” sind unberechtigt; denn nur Super-Naive haben glauben können, daß das gut geht . . .

Jürgen Brauerhoch
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Vielen Dank für diese, bis auf den wunderbaren Brauch der Krippen-Caganer, unfrohe Weihnachtsansprache aus der südlichen Diaspora bzw. dem siebzehnten Bundesland Deutschlands! Dass Sie in diesem ablaufenden Jahr neben die ausblendenden,...

Vielen Dank für diese, bis auf den wunderbaren Brauch der Krippen-Caganer, unfrohe Weihnachtsansprache aus der südlichen Diaspora bzw. dem siebzehnten Bundesland Deutschlands! Dass Sie in diesem ablaufenden Jahr neben die ausblendenden, sensationsgeilen Bilder von gescheiterten mallorquinischen Biografien wie denen einiger deutscher „Hells Angels“ nun Ihre Bilder und Verknüpfungen vom organisierten materiell-sozialen Scheitern der Vielen hinzufügen, ist heilend.

Eines verbindet aber zumindest beide Gruppen; beide, die „Hells Angels“ und die Systemverlierer scheitern gewissermaßen vor dem Gesetz! Wenn das nicht bizarr ist? Die einen, weil sie monströse, böse Buben sind und die andern, weil sie von neoliberalen Caganern, also den bösen Buben und Bubinnen wie eben Rajoy und dessen Chefin Merkel, und diese wiederum von ihren Chefs aus der Finanzwirtschaft gejagt und z.B. per Zwangsräumung erlegt werden... – die, um das Bild zu runden, vielleicht von denselben Polizisten und Polizistinnen durchgesetzt werden, die gerade noch Frank Hanebuth in die Zelle chauffierten.

Als, wie Sie wissen bekennender, leidenschaftlicher Sprachgastroenterologin ist für mich die katalonische Figur des Caganers nachvollziehbarerweise ein ganz besonderes Leckerli! Endlich auch mal ein höchst progressiv zu nennender Brauch! Besonderen Dank dafür! Ich hoffe, Sie haben sich mit von heruntergelassenen Hosenanzugshosen scheissenden Merkels gut eingedeckt. Das ideale Weihnachtsgeschenk!

Donnerstag, 19.12.13, Tagesschau von 17h, ARD: nach reichlich bebilderten Berichten zum Wulff-Prozess, zur Bundestagsdebatte Rentenpolitik, zur EU-Finanzministereinigung bzgl. Bankenunion, Putin bzgl. Chodorkowski dann die dürre, nur verlesene Meldung vom Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (keine Bilder, keine Grafiken!), danach ein Bilderbericht von der Vermessung der Milchstrasse - und „ulrichwickertesk“: Das Wetter! Die drittletzte Meldung. Ohne Worte.

Diese Zwangsräumungen, die desahucios, sind ein spanischer Fluch, eine Pest, eine Seuche, ein kreischend-schreiendes Unrecht geworden, das an Grausamkeit in einer so genannten Demokratie wohl kaum zu überbieten ist! Jeder, der irgendwelche Verbindungen in dieses Land hat, kennt Menschen oder hat zumindest von ihnen gehört, denen diese Höchststrafe, das eigene Zuhause weggerissen zu bekommen, ertragen mussten und müssen. Und weiß, dass das auch Leben kostet. Aber darauf scheissen eben diese ideologisch besessenen Menschenschinder! Die ohnmächtige Wut, die diese Szenarien in Spanien auslösen, werden tief im kollektiven Gedächtnis dieses Landes haften bleiben – und wird dieses Land noch mehr verändern als es sich schon verändert hat. Wenn überhaupt in Europa, dann ist der Aufstand von Unten den Spaniern zuzutrauen! ¡Entonces: Hasta la victoria siempre, compañeros!

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Reyes Carrillo
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Warum reisen Sie auch nach Mallorca? In Deutschland können Sie genug Bettler vor den Supermärkte sehen.

Fred Dörfler
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Gibt es die Figur des Caganer wirklich oder haben Sie die erfunden?

Irina Schmitt
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Der Caganer ist eine alte Krippenfigur aus der katalanischen Kultur. Sie ist ein Symbol für den Kreislauf der Natur und soll den Boden düngen. Von Rajoy und Merkel ist das nicht zu erwarten.

Uli Gellermann
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Endlich mal eine Weihnachtsgeschichte, die sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzt. Danke!

Werner Berghausen
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ZU JÜRGEN BRAUERHOCH

Einen kurzen Moment zögerte ich - und wollte schon ganz tief unten in mir Luft holen, als ich Ihren Scheiß las... Aber dann gleich wusste ich: Etwas Besseres zur Illustration dieses Artikels konnte gar nicht passieren als...

ZU JÜRGEN BRAUERHOCH

Einen kurzen Moment zögerte ich - und wollte schon ganz tief unten in mir Luft holen, als ich Ihren Scheiß las... Aber dann gleich wusste ich: Etwas Besseres zur Illustration dieses Artikels konnte gar nicht passieren als Ihre – so gesehen – geradezu (ungewollt) brillante Bestätigung des asozialen Phänomens an sich. Deshalb: Danke, Sie Krippenscheißer!

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Reyes Carrillo
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Das Beispiel Mallorca ist deshalb so interessant, weil hier die Extreme so dicht beieinander liegen. Fast möchte man von einer Koexistenz reden, denn sehr Arm und sehr Reich waren hier seit jeher Nachbarn. Nur war dies in der Vergangenheit...

Das Beispiel Mallorca ist deshalb so interessant, weil hier die Extreme so dicht beieinander liegen. Fast möchte man von einer Koexistenz reden, denn sehr Arm und sehr Reich waren hier seit jeher Nachbarn. Nur war dies in der Vergangenheit weniger sichtbar. Wer es jedoch wissen wollte, konnte auch früher schon in die dritte oder vierte Reihe hinter der Playa de Palma schauen, oder sich Stadtteile von Palma wie Camp Redo oder die Armensiedlung Son Riera anschauen. Mallorquiner nennen den Stadtteil Son Gotleu von Palma schon scherzhaft "Korea" weil sich die diversen gestrandeten Ethnien dort regelmässig Scharmützel liefern. Mit der Krise ist aber der Verfall weiter mallorquinischer Bevölkerungsteile zu beobachten, die sich in der Vergangenheit auf der sicheren Seite wähnten, weil sie, quasi als die Hausherren, sichere Posten in der Verwaltung oder als selbständiger Handwerker, Gastronom oder Einzelhändler hatten und etwas abschätzig auf die Saisonarbeiter blickten, die in der Saison für kleines Geld anderen einen billigen Urlaub (und den Hoteliers einen garantierten Gewinn) ermöglichten und außerhalb der Saison von einem erbärmlichen Arbeitslosengeld leben mussten. Diese Abgrenzung geschah übrigens zu einem wesentlichen Teil auch über die Sprache, das Mallorquin (einer regionalen Variante des Catalan).
Richtig interessant wird es aber erst dann, wenn die mit ca. 800 000 Bewohnern heillos überbevölkerte Insel die Folgen der sich in ganz Europa ausbreitenden Krise zu spüren bekommt oder in Folge des bevorstehenden Peak Oil die Flugreisen unbezahlbar werden. Derzeit boomt der Tourismus noch, unter anderem auch wegen der anhaltenden Unruhen in anderen Teile der Welt - der Deutsche möchte halt wissen, was ihn im Urlaub erwartet!
Ich wage hier schon einmal einen bis 2020 eintretenden Exodus zu prophezeien und empfehle jedem, der mit dem Gedanken spielt sich eventl. dort eine Immobilie zu kaufen, noch ein bißchen damit zu warten. Wer sich dann immer noch mit diesem Gedanken beschäftigt, der wird am Ende zu Ausverkaufspreisen zuschlagen können.

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Marcel Sastre y Schmidt
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Wenn hier von Uli Gellermann und Kollegen die üblen Machenschaften von Mächtigen und oder Möchtgernmächtigen angeprangert werden, kann das helfen, Alternativen zu finden und zu diskutieren zu einem Wirtschaftssystem in dem Papp-Regierungen...

Wenn hier von Uli Gellermann und Kollegen die üblen Machenschaften von Mächtigen und oder Möchtgernmächtigen angeprangert werden, kann das helfen, Alternativen zu finden und zu diskutieren zu einem Wirtschaftssystem in dem Papp-Regierungen installiert werden, die nach den Regeln dieses Systems funktionieren, und ihre fragwürdige Existenz und bescheidene Teilhabe an den Brosamen, die von der Herren Tische fallen, für überaus wichtig erachten, weil sie dann doch etliche Nebensachen entscheiden dürfen und immer wieder mal fast so wichtig genommen werden wie Popstars oder Spitzensportler.

Das alles bestimmende System der Gelderzeugung durch die Banken dümpelt dahin von Krise zu Krise, mit ständigen Kriegen und mehreren Tausend von Hungertoten stündlich. Die Verelendung der Mittelmeerländer ist ein Kollateralschaden in diesem Prozess. Dass das zu erwartende Folgen des exponentiellen Wachstums sind, wird verschleiert, sowohl von den sogenannten Regierungen als auch vom Mainstream der abhängigen Medien.

In dieser Situatuion ist es für mich traurig, wenn Kommentatoren auf dieser Seite sich und die Autoren bekämpfen und mit scharfen Worten angehen und sogar beleidigen. Im Internet ist es so leicht, sich auf Kosten anderer scheinbar zu profilieren. Aber wen bringt das weiter?

Haben nicht alle hier schreibenden Menschen ähnliche Bedürfnisse und auch ähnliche Fernziele wie:
Mehr Gerechtigkeit,
mehr Frieden,
mehr Wohlstand für alle . . .

Wie wäre es da mit Gandhi? "Sei du der Wandel, den du in der Welt sehen willst."

Dazu passt auch die Episode, als Gandhi gefragt wurde: "Was halten Sie von der Zivilisation des Westens?" "Hm, keine schlechte Idee!"
Man könnte hier damit anfangen...

http://www.pachizefalos.de/forum/thread.php?board=15&thread=7

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Rainald Irmscher
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Endlich mal ein "Weihnachtsartikel", der die allgemeine Weihnachtsdusseligkeit durchbricht. Da sag ich nur: Stille Nacht allerseits!

Ralf Wegner
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ZUM LESERBRIEF VON JÜRGEN BRAUERHOCH
So argumentieren gewöhnlich diejenigen, die sich einbilden, es so viel besser zu wissen (oder gar selber vom Ist-Zustand profitieren) - das eigene Gewissen mit billigen Argumenten dieser Art ("selber schuld")...

ZUM LESERBRIEF VON JÜRGEN BRAUERHOCH
So argumentieren gewöhnlich diejenigen, die sich einbilden, es so viel besser zu wissen (oder gar selber vom Ist-Zustand profitieren) - das eigene Gewissen mit billigen Argumenten dieser Art ("selber schuld") zu beruhigen - Also auf alles scheißen, was sich in der Rezession verfangen hat.

So braucht man natürlich auch nicht weiter darüber nachzudenken, daß hinter
all dem ein verdammt teuflisches - auf Ausbeutung beruhendes System stecken könnte. So haben wir es z.B. mit einem immer weiter um sich greifenden Phänomen zu tun, von dem man ja glaubte, daß es längst ausgerottet sei: all überall die Lohn-SKLAVEREI - die n u r in einem solchen System gedeihen kann! Auch "selber schuld" - Allerwertester Herr Brauerhoch?

Hochmut kommt vor dem Fall!

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Brigitte Mensah-Attoh
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