Liebe Angela Merkel,
Sehr geehrter Herr Steinbrück,
das war damals so: Ich ging an einem Zeitungsladen vorbei und da sprang mir dieses Plakat ins Auge: in roter Schrift auf gelbem Grund sah ich die die Zahl 3 Millionen, daneben stand das Wort "Jackpot". Herr Biedermann, ein Zeitungshändler meines Vertrauens - ich kenne ihn noch aus meiner Schulzeit, als ich bei ihm Süßigkeiten kaufte, heute kaufe ich dort die FAZ, die verursacht keine Zahnschmerzen - sah mich an: "Wollen Sie auch mal, sagte er, ist eine grundsolides Unternehmen, gehört dem Staat". Gerade hatte ich ein paar Euros übrig, weil ich ein Riesenbündel der FAZ günstig an einen Altpapierhändler verkauft hatte. Der glaubte noch, er müsse Scherze machen und wollte wissen, wo ich denn jetzt meinen Kopf hinter verstecken wolle, jedenfalls hatte ich diese paar Euros in der Hand und gab sie dem Biedermann, um sie bei der Firma Lotto anzulegen.
Als ich Tage später nach meiner Rendite fragte, sagte der Zeitungshändler, es sei nichts reingekommen und das ginge im Moment vielen so, aber wer nichts wage, der auch nichts gewinne, und einmal sei keinmal außerdem seien es ja kleinere Beträge. Also prüfte ich meine Haushaltslage und, da ich ein eher konservativer Mensch bin, strich ich mir den Teller Spaghetti am Donnerstag, um den eingesparten Betrag in einen Lottoschein zu investieren. Der Jackpot lag jetzt bei 6 Millionen und Biedermann meinte, wenn ich meinen Einsatz vergrößern würde, dann seien auch die Chancen größer. Außerdem sei ja auch der Gewinn doppelt so hoch wie beim letzten Mal. Da hatte er recht. Aber mehr als einmal Spaghetti in der Woche wollte ich nicht streichen. Andererseits: Die Chancen waren schon verlockend.
Um mehr Kapital zur Verfügung zu bekommen, redete ich mit meiner Bank. Die hatte schon lange mein Giro-Konto gut und sicher verwaltet und mir bisher das Geld auch immer ausgezahlt. Im Gespräch mit dem seriösen Bankangestellten - ein Mann im weißen Hemd, immer mit Krawatte und so ein Vertrauen erweckendes Lächeln um den Mund - erklärte ich ihm mein Problem. Der junge Mann sah mich durch seine schwarzen Brillenschlitze an: Das Risiko ist groß, aber die Chancen auch, nehmen sie doch einen Kredit auf, stellen sie ihr Unternehmen auf eine breitere Grundlage, streuen sie das Risiko, indem sie die Möglichkeiten erhöhen. Das sah ich ein. Also nahm ich ein paar Tausend Euro auf, der größte Kredit, den ich je in Anspruch genommen hatte.
Vorher wollte ich aber noch das Unternehmen, dem ich meine Schulden anvertrauen würde, genauer unter die Lupe nehmen. Die Federführung aller staatlichen Lottogesellschaften lag bei der Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg. Schon der Sitz dieser Gesellschaft in Baden! und Württemberg!, dort wo die Knauser wohnen und die Gschäftlemacher aber auch Porsche und Daimler Benz, machte mir Mut: Solche würden mit meinem Geld schon ordentlich umgehen. Vorsitzender des Aufsichtsrates war ein Gundolf Fleischer, immerhin Staatssekretär und Mitglied des Landtages, auch dass ihn Oettinger, der Ministerpräsident, berufen hatte, schreckte mich nicht ab. Vom Geschäftsführer der Gesellschaft, Herrn Dr. Repnik, war "sein spröder Charme" bekannt "der im Verlaufe abendlicher Feierlichkeiten ausgeprägter Fröhlichkeit weichen kann". Wo ich herkomme, da bedeutet das, der Mann säuft ganz schön und wir dann ausfallend.
Doch trotz aller Bedenken: Der Dr. Repnik stellte sich als katholisch heraus, war gelernter Apotheker und Sozialminister einer CDU-Regierung. Diese Mischung aus katholischer Caritas, apothekerischer Sorgfalt und sozialministerlicher Führsorge sprach letztlich eher für den Mann und sein Unternehmen. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und den Kredit unter den Arm, um zu meinem Zeitungsladen zu gehen. Noch nie im Leben hatte Herr Biedermann so viele ausgefüllte Lottoscheine auf einmal gesehen. Aber, so sagte der Zeitungshändler, irgendwann sei es immer das erste Mal. Ich bat um Vertraulichkeit. Er sicherte sie zu. Als mir anderntags unsere Hausmeister zurief, er wolle was abhaben wenn es soweit sei, wußte ich, dass es mit der Vertraulichkeit von Biedermann nicht weit her war.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Und als ich dann am Samstag meinen Gewinn kassieren wollte, war nur Frau Biedermann da. Ihr Mann habe eine dicke Grippe und von einem Gewinn wüsste sie nichts. Nun stand ich da. Schwere Schulden bei der Bank, Spaghetti nur noch an vier Tagen und die rote Soße nur noch an zwei Tagen. Aber selbst wenn ich ganz aufhören würde zu essen: Die Schulden hätte ich nicht abzahlen können, ich hatte ja auf den Gewinn gesetzt. Als ich anderentags wieder an dem Zeitungsladen vorbeikam, war zu lesen, dass der Jackpot jetzt bei 12 Millionen läge. Mir ging es wirklich nicht um die Spaghetti, aber meiner Bank gegenüber fühlte ich mich doch verpflichtet.
Also ging ich bei Tante Margarete vorbei und pumpte sie an. Meinem Freund Frieder versprach ich die Rückzahlung binnen zweier Wochen, Helga meinte, es habe Zeit mit dem geliehenen Geld und meine Mutter drückte es mir in die Hand und sagte: Ich brauch es sowieso nicht, kauf Dir was Schönes. Eine ganze Reihe von Freunden und Bekannten investierten in mich. Also kaufte ich mich erneut bei der Lotto-GmbH ein. Denn, so stand es in den Zeitungen, irgendwann sollte der Markt ja wieder anziehen und wenn ein Unternehmen wie ich völlig am Ende ist, kann es nur wieder bergauf gehen. Und wenn ich die 12 Millionen bekommen hätte, dann wäre ich alle Schulden los und würde die Spaghetti mit Trüffeln aufbessern.
Leider wurde meine Gewinnerwartung enttäuscht und meine Bank wollte auch den Kredit nicht verlängern. Selbst Helga guckt schon so ungeduldig. Wenn ich also insolvent bleibe, reisse ich viele Leute mit rein. Deshalb denke ich, dass der Staat mir aus gesamtwirtschaftlichem Interesse helfen sollte. Auch weil meine Investitionen einem staatlichen Unternehmen galten, glaube ich, dass hier ein gewisser Anspruch auf Hilfe besteht. Ich bitte Sie also um eine Erhöhung meines Kapitals, damit ich wieder geschäftsfähig werde. Natürlich bin ich gern bereit, meine Jahresvergütung bei 500.000 Euro zu begrenzen, wie es Sie es neuerdings von den Bankchefs fordern. Mehr als den Kapitalhilfe-Regelfall, der im Moment wohl bei 10 Milliarden liegt, werde ich nicht benötigen. Auch verzichte ich selbstverständlich auf eine Dividenausschüttung bis der Gewinn eintritt. Und falls wir dann gemeinsam den nächsten Jackpot knacken, er steht zur Zeit bei 24 Millionen, würde ich mich gegen eine staatliche Teilhabe nicht wehren wollen: Herr Steinbrück als Vorsitzender meines Aufsichtsgremiums wäre mir schon recht. Er soll sich ja bei der IKB und der KfW schon ordentlich bewährt haben.
Falls wir den Jackpot diesmal nicht an Land ziehen können, versuchen wir es eben erneut: Der Markt wird es schon richten. Oder, wie unsere amerikanischen Freunde sagen: No risk, no fun.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Carla Bender