Kinder sterben. Werden umgebracht. Verlottern, verkommen, verrotten. »Deutschland, » sagt Frau Merkel in diesem Zusammenhang, »braucht eine Kultur des Hinsehens.« Wie sie sich bläht, die Politikersprache, wie ihr der stinkende Furz der Wichtigkeit entfährt. Eine Kultur brauchen wir, eine Kultur als Hinseh-Hilfe. Kinder bekommen kein Pausenbrot, Vater arbeitslos, Mutter nimmt Drogen. Kinder gucken Stunden am Tag fern, keine Lehrstelle wartet auf sie. »Natürlich,« sagt die Kanzlerin, »sind zunächst die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden gefordert.« Das Wort »ich« kann die Frau nur sagen, wenn sie über angebliche Erfolge erzählt. »Verantwortliche sind gefordert«. Es gibt Verantwortliche, aber die werden nicht gefordert.

An ihren Medien sollt ihr sie erkennen. Ihre Kulturforderung sonderte Frau Merkel in der »BZ« ab. Dem Berliner Schmuddelblatt zur Vermittlung von Einfachst-Lügen, dem Schwesterblatt der »Bildzeitung«. Jener »Bildzeitung«, die ein geklautes Foto der »Horror-Mutter« veröffentlichte. Scheinheilig breitet die »BZ« einen Kindermord- Fall über zwei Seiten aus. Unter dem weit aufgerissenen Mantel der Empörung: Voyeurismus. Auch hier Fotos, alle Kindergesichter sind dem Erkennen preisgegeben.

Vorne im Blatt wird Angst vor »Klimatokraten« erzeugt, jenen Staatsdienern, die demnächst Klimasünden kontrollieren sollen. Die Herrscher über arme, geduckte Bürger, die bald keine dicken Autos mehr fahren dürfen. Und unter den vier schlimmsten Klima-Katastrophen erwähnt das Drecksblatt eine Erdbeben im Iran. Da ist »Bild« schlauer, dort listet eine Redaktion von hoch bezahlten Betrügern Umweltsünden in China und anderswo-weit-weg auf und findet »Killerflammen« die den Regenwald zerstören. Da sind, würde Frau Merkel sagen, Verantwortliche gefordert. Killer oder Flammen.

Eine kaum bekleidete Frau »liebt es heiß« in der »BZ«. Die »Bildzeitung« fordert gleich »leg Dich hin«. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens. Ein »BZ«-Test fragt Sexkenntnisse ab: Was ist ein Hanseatischer Hinterlader? Eine möglich Antwort lautet: Ein homosexueller Mann aus Hamburg. Ein »Blut-Boxer« schlägt zu, eine Fußball-Legende wird von Hitler ausgezeichnet, ein Milliardär besucht Berlin, ein Eisbär hat Geburtstag. Sport wird als Melodram, Geschichte als lange her, unermesslicher Reichtum als natürlich und Tiere werden als Projektionsfläche für jene billigen Gefühle verkauft, die nicht in Verantwortung genommen werden können.

Die Springer AG, der stolze Besitzer der beiden Blätter für die Unterschicht, ist auch Besitzer der PIN AG. Jener Firma, deren Briefträger Hartz IV bekommen müssen weil sie von ihrem Lohn nicht leben können. Weil Frau Merkel die nächsten Landtagswahlen gewinnen will, hat sie widerwillig einem Mindestlohn für Briefträger zugestimmt. Die Antwort des Springerkonzerns: Er droht mit Massenentlassungen. Da werden sich die Kinder der Entlassenen freuen. Vati und Mutti haben dann mehr Zeit für sie und werden eine bezaubernde Kultur des Hinsehens entwickeln.

Familien, die in der dritten Generation arbeitslos sind entwickeln eine Kultur der Resignation. Eine verträgliche Gesellschaft lebt davon, dass man auch von unten nach oben kann. Eine gerechte Gesellschaft lässt die ganz unten nicht verkommen und die weit oben nicht auf den Gräbern armer Kinder tanzen. Die geforderte Kultur heißt Vollbeschäftigung. Aber da will Frau Merkel lieber nicht hinsehen.