»Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun.« Das schrieb im ersten Jahr des Krieges, den wir den Zweiten Weltkrieg nennen, Claus Schenk Graf von Stauffenberg an seine Frau Nina aus dem besetzten Polen. Es handelt sich um jenen Stauffenberg, der in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre, den legendären Hitler-Attentäter, den Kopf einer nationalkonservativen Fronde gegen den »Führer«, das schrieb der Mann, dessen Name Straßen und Plätze ziert, der für eine Reihe von Filmen und Büchern gut ist, insbesondere aber für Gedenkreden.

Dem Stauffenberg im Rückblick die persönliche Moral abzusprechen, ihm eine gewisse Bewunderung zu versagen, seine herausragende Rolle in einer Gesamtlandschaft des deutschen Widerstandes zu negieren, wäre falsch und unehrlich. Allerdings nicht ganz so falsch und verlogen, wie aus den Verschwörern des 20. Juli 1944, den Vorbereitern des Attentates auf Hitler an eben diesem Tag, den einzigen deutschen Widerstand zu destillieren, ein Rührstück der besonders süßlichen Sorte zu komponieren, wie es seit Jahr und Tag eine deutsche Öffentlichkeit zelebriert, die das Rad der Geschichte gerne rechts rum dreht. Der Widerstand, so geht die Sage, war vornehm und edel, kam von oben und sollte uns allen ein Beispiel sei. Die Wahrheit ist: Der wesentliche Teil des Widerstandes kam von unten, war blutig und dreckig und begann bereits, als der deutsche Adel, die Reichswehroffiziere und die gebildeten Stände des deutschen Bürgertums noch auf ihren Gütern rumsaßen oder in ihren Salons, an ihren Orden spielten oder Klavier, und allesamt Hitler wählten.

Man darf Stauffenberg, das Klischee des Kampfes gegen Hitler, durchaus als prototypischen Vertreter jener Kaste begreifen, die dem verlorenen Ersten Weltkrieg nachweinte, im »Versailler Vertrag«, ein Vertrag im Ergebnis deutscher Aggression, das Hauptübel Deutschlands sah und nicht in im Krieg selber. Stauffenberg war an der militärischen Ausbildung der SA, der Knüppelgarde der Nazis, beteiligt und bei der Reichstagswahl im April 1932 sprach er sich für Hitler und gegen Paul von Hindenburg aus, so verstanden er und nicht wenige seiner Standesgenossen die Erneuerung Deutschlands. Noch im Dezember 1941 hieß Stauffenberg die Vereinheitlichung der Befehlgewalt des Oberbefehlshabers des Heeres und des Obersten Befehlshaber der Wehrmacht in den Händen Hitlers ausdrücklich gut: Hitler selbst sollte dem stockenden Vormarsch auf die Sowjetunion Beine machen. Nur wenige der Verschwörer des 20. Juli wandten sich vor dem Februar 1943 gegen die Nazis, erst nach der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad setzten bei vielen der Zweifel ein. Die Ahnung vom bösen Ende belebte den Hinterkopf der Herren.

Im Oktober 1943 überlegte Stauffenberg »Wenn es so weiter geht, bricht die Ostfront zusammen, bevor es gelingt, den östlichen und westlichen Feind gegeneinander auszuspielen.« Kleinlich und dumm wäre es, die frühen Erkenntnisse Stauffenbergs und seine Empörung über Nazi-Verbrechen im Osten zu verschweigen. Wer sich aber schlau glaubt, wie die offiziellen Gedenkredner- und -schreiber, und die Gruppe zur Vorbetreitung des Hitler-Attentats als eine Art Geburtshelfer des Grundgesetzes zu propagieren, der lügt so vor sich hin. Die Mehrheit der Verschwörer waren Feinde von Weimar, Feinde der parlamentarischen Demokratie. Nach einem »ehrenvollen Frieden« Österreich wieder frei zu geben, oder das den Tschechen geraubte Sudetenland, das stand nicht auf dem Programm der Herrenreiter. In den grundsätzliche Thesen Stauffenbergs, unmittelbar nach der Landung der Alliierten formuliert, findet sich das Bekenntnis, dass »Die vom Nationalsozialismus vertretenen Ideen größtenteils richtig gewesen; nach der Machtergreifung jedoch ins Gegenteil verkehrt worden (sind).« Und was uns nach dem angestrebten Regimewechsel erwartet hätte, das schreibt der Star des Widerstandes so auf: ». . . dass insbesondere die Wehrmacht in der Hand ihrer Führer ein verwendbares Instrument bleibt.«

Es gab den Widerstand der Arbeiterbewegung, den christlichen Widerstand, den Bündischen, den Jüdischen, sogar spontanen, unorganisierten Widerstand gab es in Deutschland. »So braun wie Scheiße, so braun ist Köln. Wacht endlich auf!«, stand auf einem Flugblatt der »Edelweißpiraten«, eine der kleinsten organisierten Widerstandsgruppen. Alleine dreitausend »Fälle« der bündischen Edelweißpiraten finden sich in den Akten der Gestapo. Kleiner als die Widerstandsgruppe des 20. Juli? Tatsächlich wurden die Mitglieder der »Edelweißpiraten« ohne Schauprozesse gehenkt. - Schon 1938, als Militärs wie Stauffenberg noch die Segnungen des Wehrmachtsoffiziers in Hitlers Diensten genossen, hatten sich 5.000 Deutsche auf der Seite der spanischen Republik den Kampf gegen den Faschismus aufgenommen. Der spätere Bundeskanzler Willy Brandt war als Berichterstatter unter ihnen, Schriftsteller wie Bredel, Renn und Weinert halfen der spanischen Republik gegen Franco und die von Hitler gesandten Luftwaffentruppen, um nach dem Krieg die DDR mit aufzubauen. Von den Spanienkämpfern haben 2000 nicht überlebt. Die Masse der Widerständler gegen die Nazis kam von unten: Rund 150.000 KPD-Mitglieder waren während der Nazizeit in Haft, geschätzte 20.000 von ihnen sind in den Folterkellern, den Zuchthäusern oder Konzentrationslagern ermordet worden. Kein kleiner Widerstand.

Die Sieger schreiben die Geschichte. Was waren das wohl für Sieger, wie beispielsweise Konrad Adenauer, der sich noch 1946 gegen eine finanzielle Unterstützung von Angehörigen der Widerstandskämpfer des 20. Juli wandte? Immerhin rang man sich 1963 durch, sich des Datums durch die Beflaggung von Dienstgebäuden zu erinnern. Der noble Widerstand der konservativen Art hatte sich als nützliche Entschuldigung des konservativen Lagers herausgestellt, das, außerhalb der kleinen Gruppe um Stauffenberg, bis zum letzten Gehenkten, bis zur letzten Patrone die Hitlerei unterstützt hatte. Die Sieger montieren auch gern die Straßenschilder ab: Wer zählt die Schilder, nennt die Namen jener Widerstandskämpfer, nach denen in der DDR eine Straße benannt war und die nach 1990 der Demontage zum Opfer fielen. Widerstand? Schön und gut. Aber bitte mit Stil und von oben. Man könnte sonst auf Ideen kommen.