Das Gesetz in seiner erhabenen Gleichheit
verbietet es Reichen wie Armen,
unter den Brücken zu schlafen,
auf den Straßen zu betteln
und Brot zu stehlen.
Anatole France

Wie ein gefällter Baum liegt er im erhellten Schaufenster des Vorraums der Berliner Volksbank, ein großer Mann auf einer schmalen Heizung. Lang genug dem Mann ohne Obdach ein Nachtlager zu sein. Es ist kühl am Kurfürstendamm. Ob sie in der Bank schon heizen? Passanten bleiben stehen, besichtigen den ausgestellten Menschen. Gehen dann schnell weg. Die genaue Zahl der Obdachlosen in Deutschland kennt man nicht. Mindestens sollen es 300.000 sein. Eine Stadt wie Mannheim hat so viel Einwohner. Über dem Kopf des Mannes hängt ein Plakat. "Berlin hat gute Karten" behauptet der Slogan. Gemeint sind die Kreditkarten der Bank.

Gleich gegenüber liegt der Schmuck- und Uhren-Laden Bucherer. "Man versehe mich mit Luxus", zitiert das Unternehmen den Dichter Oscar Wilde, "auf alles Notwendige kann ich verzichten". Der Texter des Unternehmenskatalogs fügt hinzu: "Wie Recht er hat". Aus den schicken Geländewagen, die auf dem glatten Asphalt der Straße geparkt sind, sticht ein strahlend weisser Hummer hervor. In seiner grün-gefleckten Tarn-Version ist er auf vielen Kriegsschauplätzen zu sehen. Er war im Irak dabei, auch in Afghanistan mag man ihn nicht missen. In seiner zivilen Ausgabe hat er beachtliche Ladekapazitäten. Ob sein Besitzer morgen den "Prunkvollen Schminkspiegel aus dem Schweriner Schloss" im Kunsthandel nebenan erwerben will? "Alle Objekte" versichert uns der Handel, "sind von sehr hoher Qualität und stammen aus teils höfischer Provenienz."

Voller Befriedigung verbreitet das "Weltwirtschaftsforum" in diesen Tagen, dass Deutschland im Wettbewerb der Standorte aufgeholt hat: "Ein Grund dafür ist, dass der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist", sagt die Sprecherin des Forums. Aber die "Kündigungsfristen und die Lohnfindung" sind dem Forum immer noch nicht flexibel genug. Im "Weltwirtschaftsforum" sind rund tausend globale Unternehmen versammelt. Keines sollte einen Jahresumsatz unter fünf Milliarden US-Dollar haben. Man trifft sich jährlich in Davos. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, im Februar 2009, waren die Teilnehmer des Treffens sprachlos. Jetzt reden sie wieder. Den gleichen Text wie vor der Krise.

Das Nachtradio berichtet von weiteren vierzig Milliarden Euro, die für die "Hypo Real Estate" bereit gestellt werden müssen. Die Immobilienbank hatte schon einmal über hundert Milliarden Steuergelder gebraucht. Sie gehört jetzt dem Staat. Dessen Bürger haften nun für die Finanzverbrechen einiger Vorstände. Eine Reihe von Vorständen klagt zur Zeit gegen ihre vorzeitige Entlassung und auf ordentliche Abfindungen. Keiner von denen steht bisher vor Gericht. Dass einer von ihnen obdachlos geworden wäre, ist auszuschließen.

Ein gut betuchtes Paar, sie Chanel, er Brioni, begutachtet den Mann hinter Glas. Er: "Der kriegt bestimmt jede Menge Hartz IV." Sie: "Ist doch kein Türke." Mit einem Schmunzeln gehen sie weiter. In diesem Herbst trägt man Sarrazynismus.