Eine Million Flüchtlinge, zwei Millionen Flüchtlinge, wer bietet mehr? Wie auf dem Jahrmarkt werden die Zahlen ausgerufen. Bisher prophezeit der ungarische Ministerpräsident, Viktor Orban, mit hundert Millionen vermuteten Vertriebenen in naher Zukunft, die meisten. Brav berichten deutsche Medien über eine zum Teil vorbildliche, zivile Willkommens-Kultur. Fast plakativ schweigt die Tag für Tag wogende Medienberichterstattung über die Ursachen des Flucht-Tsunamis. Während die ersten Seiten und die ersten Minuten noch den Flüchtlingen gehören, geht das übliche Geschäft hinter den Schlagzeilen weiter. Die Europäische Zentralbank und die US-Notenbank Fed drucken immer mehr Geld und Geld, um das üblich-üble Finanzgeschäft zu bedienen. Und während nach dem Finanzkollaps 2008 zumindest in den Feuilletons vor lauter Schreck und Geldverlust über ein Ende des Kapitalismus gerätselt wurde, wirft die apokalyptische Völkerwanderung bisher scheinbar keine Systemfrage auf, sondern nur die Frage danach, ob denn genug Turnhallen zur Verfügung stünden.

Das große Schweigen, die übergroße Heuchelei lässt die Frage nach der Verantwortung für die Flüchtlingsströme kaum zu. Dass lange vor den Schleppern Profit gemacht worden ist, mit billigen Rohstoffen, mit teuren Waffen, auf einem Markt brutaler Ausbeutung, darüber schweigt der Apologeten-Chor des Kapitalismus. - Über 80 % der Weltbevölkerung leben von weniger als 10 US-Dollar am Tag. Der Hunger in der Welt nimmt zu. Aus den aktuellsten Schätzungen der FAO (Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) geht hervor, dass 923 Millionen Menschen Hunger leiden. Die FAO schätzt außerdem, dass zwischen 2003 und 2007 die Anzahl unterernährter Menschen um 75 Millionen gestiegen ist.

Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sind die Instrumente, die, unter dem Deckmantel einer Förderung des Welthandels zum Wohle aller, bislang nur die Interessen ihrer Kapitalmehrheitseigner (der Industrieländer) durchgesetzt haben.
So wurden die meisten Entwicklungsländer im Laufe der 1980er und 1990er Jahre im Gegenzug für Kreditzahlungen sogenannten "Strukturanpassungsprogrammen" unterworfen, die als eines von vielen Elementen die Liberalisierung des Außenhandels vorsahen. Eine "Liberalisierung", die nichts anderes bewirkte als die Märkte für die Konzerne in den USA und Europa zu öffnen. Das Ergebnis: Es stieg die Arbeitslosigkeit, es nahmen Armut und Ungleichheit zu, die nationalen Produktionskapazitäten wurden abgebaut.

Länder, die sich dem ökonomischen Diktat der reichen Staaten verweigerten, die versuchten, die Ungleichheit des Welthandels zu mildern und eigene Wege zu gehen, wurden als Diktaturen gebrandmarkt und in das Regime-Change-Programm der USA aufgenommen. Der Maßstab dafür, was eine gute Diktatur ist und was eine schlechte, reicht bis in die elektronische Sprachregelung: Wer bei Google das Begriffspaar Syrien/Diktatur eingibt, erzielt rund 400.000 Treffer, das Begriffspaar Saudi Arabien/Königreich erreicht den Traumwert von 700.000 Ergebnissen. So belegt der PageRank-Algorithmus der Suchmaschine nichts anderes als eine Medienwirklichkeit, deren Interesse an der Wahrheit völlig beliebig ist: Der syrische Staat wird den Medienkonsumenten als Diktatur serviert, während die saudische Repressionsmaschine als orientalische Märchendynastie verkauft wird.

Noch während an einer menschelnden Oberfläche von der Integration der Flüchtlinge geredet wird, haben die Profit-Maximierer ganz andere Ziele: "Flüchtlinge befristet vom Mindestlohn ausnehmen" fordert der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates Michael Bahlsen und leckt sich schon die Lippen beim Anblick neuer Billig-Löhner. Denn davon, da ist sich die Wirtschaft sicher, kann es nie genug geben. Auch wenn die Lohnstatistik feststellt, dass schon in den letzten fünfzehn Jahren die Hälfte der in Deutschland Beschäftigten um 17 Prozent weniger verdient haben als im Jahr 2000 während das Gewinneinkommen der Unternehmer um 70 Prozent geradezu explodierte.

Weil die Gewinne exorbitant sind und das Geld billig, geht in diesen Tagen ein Deal der verschwiegenen Art vor sich: Die Backpulver-Dynastie Oetker kauft sich in die Firma ESG ein. ESG, das war jenes Unternehmen, das damals den Perma-Absturz des Kampfflugzeugs "Starfighter" verhindern sollte. Heute macht der Rüstungsladen seine 250 Millionen Euro jährlich immer noch im Waffengeschäft: Man "betreut" das Transportflugzeug Transall C-160, das Militär-Flugzeug Fiat G.91 und den Kampf-Hubschrauber Bell UH-1D. Die Oetkers haben einen Riecher für profitable Geschäfte. Denn dort, wo die Mehrheit der Flüchtlinge herkommt, wird nach wie vor Rüstungsgerät aller Art umgesetzt. So fressen die Reichen die Armen in einer ganz eigenen Verwertungskette auf: Einmal als Betrogene internationaler Marktbedingungen, dann als Opfer der Rüstungskonzerne, um sie nicht zuletzt in den Willkommens-Ländern erneut zum Objekt der Profit-Gier der Lohn-Drückerei zu machen.

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Genau. Du sagst es!

Arnulf Rating
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Alle Mann an Bord sprach der Kapitän,wir haben genügend Kojen, auch für Proviant ist gesorgt, und wenn nicht, dann ist noch reichlich Platz in den Ladeluken, auch im Zwischendeck.
Schnell war der Proviant verbraucht, die Sanitären Anlagen...

Alle Mann an Bord sprach der Kapitän,wir haben genügend Kojen, auch für Proviant ist gesorgt, und wenn nicht, dann ist noch reichlich Platz in den Ladeluken, auch im Zwischendeck.
Schnell war der Proviant verbraucht, die Sanitären Anlagen verstopft und unbrauchbar, und so wird es auch in ganz Europa zugehen, denn die Weichen wurden bereits gestellt.

Früher habe ich immer gerne einen Pudding von Oetker genossen doch nachdem dieser auch noch ins Kriegsgeschäft eingestiegen ist bekomme ich nur noch Würfelhusten!
Konzerne,sind es, beherrschen die politischen Ebenen.
Danke an U.G. mal wieder für diese hervorragenden Gedankengänge.

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Pat Hall
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Dem ist nichts wesentliches mehr hinzuzufügen, ausser dass sich mittlerweile auch in dieser schmutzigen Affäre die letzte Charaktermaske des politischen Establishments dazu berufen fühlt selbige gänzlich fallen zu lassen.
In diesem Fall bei...

Dem ist nichts wesentliches mehr hinzuzufügen, ausser dass sich mittlerweile auch in dieser schmutzigen Affäre die letzte Charaktermaske des politischen Establishments dazu berufen fühlt selbige gänzlich fallen zu lassen.
In diesem Fall bei Claudia Roth frei nach dem Goetheschen Motto `wer nie sein Brot im Bette aß, der kennt auch nicht, wie Krümel pieksen´.
Hier der Link, sehenswert das Filmchen:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=MiHjeFbTc7w

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Simone Birgersson
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Ja, ja, die alte Leier: Der Kapitalismus ist an allem Schuld. Bringt das einen Arbeitsplatz für die Flüchtlinge?

Gert Anheuser
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@Gert Anheuser

ich hätte da zwei Fragen:

Ist Uli Gellermann dafür zuständig Arbeitsplätze zu schaffen?

Was würde denn Ihrer Meinung nach Arbeitsplätze schaffen?

S. Hauptkorn
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Dr. Oetker und Bahlsen?

Schade, von denen kaufe ich nach Möglichkeit ohnehin schon seit Jahren nichts.

Da war ich mal wieder der Zeit voraus...

Benny Thomas Olieni
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Man nennt sie auch das Back-Pack.

Uli Gellermann
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14 millionen muslime geben zu, dass ihre religion zu streng ist, siehe völkerwanderung.

caroline bischoff
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15.8.15 WDR Fernsehen Reihe "Baustelle Deutschland" Thema "Asyl". Der Moderator Jürgen Becker in seinem Beitrag: "Ich glaube das ist wie in der Geschichte, wo ein Banker, ein BILD-Leser und ein Flüchtling zusammen an der Theke sitzen, und sie...

15.8.15 WDR Fernsehen Reihe "Baustelle Deutschland" Thema "Asyl". Der Moderator Jürgen Becker in seinem Beitrag: "Ich glaube das ist wie in der Geschichte, wo ein Banker, ein BILD-Leser und ein Flüchtling zusammen an der Theke sitzen, und sie sollen zwanzig Kekse untereinander aufteilen. Wie geht das? Ganz klar. Der Banker nimmt sich neunzehn und sagt dem BILD-Leser, pass auf, dass der Flüchtling dir den Keks nicht wegnimmt."
Es gibt längst Überlegungen zu Alternativen.
Joseph Huber plädiert für eine Vierte Gewalt neben Gesetzgebung, Regierung und Justiz, die Monetative. Sie wird zuständig für die Geldschöpfung aus dem Nichts. Diese orientiert sich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger: Gesundheit, Sicherheit, Resepkt, Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur, Freundschaft, Muße, wie Robert und Edward Skidelsky die sieben Basisgüter nennen, zu denen alle Menschen Zugang haben müssen.
Der österreichische Finanzwissenschaftler Franz Hörmann argumentiert für einen "Kooperativen Indivdualismus", dessen Grundprinzip er am Abfahrtslauf erläutert: Heute gibt es bei sportlichen Wettkämpfen einen Sieger wie im Wirtschaftsleben: Der Gewinner sackt alles ein. Die Alternative dazu bezieht alle Teilnehmenden an Wettbewerben ein: Alle gewinnen, sobald sie im jeweiligen Bewerb ihre eigene bisherige Bestleistung übertreffen.

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Heinrich Triebstein
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Wenn es eines Beweis bedurfte, wie schlecht es der BRD-Wirtschaft geht, dann lag er bis vor kurzem in Bild-Kampagnen wie "Deutschland hilft". Wenn selbst der Springer-Verlag nicht primär an braune Instinkte appelliert, muss ich den...

Wenn es eines Beweis bedurfte, wie schlecht es der BRD-Wirtschaft geht, dann lag er bis vor kurzem in Bild-Kampagnen wie "Deutschland hilft". Wenn selbst der Springer-Verlag nicht primär an braune Instinkte appelliert, muss ich den Fachkräftemangel ernst nehmen.
Nun haben wir ohnehin eine Merkel-Regierung, die fast schon so ewig erscheint, wie die von Kohl. Die muss auch nicht besonders über Rassismus gestärkt werden.
Aber SPD und FDP fällt dann doch noch ein, wie sich die ständige Medienpräsens der Flüchtlinge gegen die soziale Frage nutzen lassen.
Meine zweitliebste Feindin – nach von der Leyen – Andrea Nahles ließ gerade verkünden lassen, "wegen der Flüchtlinge" werde die Zahl der Erwerbslosen wohl steigen. Und da sind wir Langzeiterwerbslosen ja auch schon vom Mindestlohn ausgeschlossen.
Die FDP in Niedersachsen ist laut Lokalpresse alarmiert von Vorschlägen Wohnungsleerstand für die Unterbringung von Flüchtlingen zu enteignen. Auch hier wird schon mal vorsorglich die Konkurenz der Verlierer des Kapitalismus intoniert.
Bleibt nur die Antwort auf die Frage von S. Hauptkorn an Gert Anheuser. Arbeitsplätze lassen sich über eine Ausweitung des öffentlichen Sektors und Staatsmonopole in der Daseinsvorsorge (Gesundheit, Energie, Wohnen, Verkehr, Kommunikation, etc.) schaffen. Der Bedarf in Krankenhäusern oder bei der Sanierung von Infrastruktur reicht locker für Erwerbslose und Flüchtlinge. Finanzierbar ist dies über Vermögens- und Kapitalsteuern.
Wer ein Problem mit Flüchtlingen hat muss sich einer Alfabethisierungskampagne zu Fluchtgründen unterziehen. Da haben wir die vom "Westen" inszenierten Kriege und die "ganz normale" Insolvenz von Bauern in Afrika oder Asien zugunsten von Monsanto, Shell oder Nestle.
Eigentlich müsste Gert Anheuser all dies auch wissen.


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Dario Vo
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Danke, Ulli Gellermann, für diesen wie immer investigativen, informativen und inhaltsreichen Artikel mit dem treffenden Titel: "Reich frisst Arm" (vgl. Jean Ziegler: `kannibalische Weltordnung´) Wir werden ihn sehr gerne weiter verbreiten.

Helene+Ansgar Klein
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