"Gute deutsche Häuser stehen an der Oranienburger Straße in Berlin. Nur zaghaft blicken ihre Fenster auf die Straße. Denn ihre gemütlichen roten Spitzdächer werden von einem orientalischen Bau, dessen goldverzierte Kuppel protzend die Traufhöhe sprengt, düster verschattet. Nicht weit davon, im Scheunenviertel, war einst das Straßenbild von exotischer Schrift geprägt. Männer mit Bärten, langen Locken, die von der Stirne herabhingen und dunklen Hüten auf den dunklen Haaren, beherrschten die Szenerie. Billige Geschäfte drängten sich dort, man mochte glauben, einen der schmutzigen Basare des Nahen Ostens zu besuchen. Kein Zweifel, in diesem Teil von Berlin wie auch in manchen anderen guten deutschen Städten hatte sich eine Parallelgesellschaft entwickelt." So oder so ähnlich hätte der tapfere deutsche Schriftsteller Ralph Giordano über die Synagoge an der Berliner Oranienburger Straße und das nahe gelegene, von ärmlichen Ostjuden geprägte Scheunenviertel schreiben können.

Warum man über Juden heute so nicht schreiben kann, ohne im Feuilleton öffentlich gesteinigt und privat geächtet zu werden, ist bekannt. Ralph Giordano hätte das damals, als nicht wenige Deutsche dem Brand der Synagogen applaudierten und dem Verbrennen ihrer Nachbarn tatenlos zusahen, auch schwerlich schreiben können. Nach der widerlichen Nazi-Terminologie galt er als Halbjude, war zeitweilig untergetaucht und konnte seine Mutter so gerade vor der Deportation retten. Es ist der Giordano mit dieser Erfahrung, der den geplanten Bau einer Moschee in Köln als "Kriegserklärung" beschreibt, der, im Zusammenhang mit der islamischen Minderheit in Deutschland von "Parallelgesellschaft" redet und den Islam als "archaische Hirtenreligion" bezeichnet. Über die üblichen Rechtsradikalen hinaus findet Giordano mit diesem gefährlichen Gerede auch in der "Christlich Demokratischen Union" jede Menge offener und verdeckter Anhänger.

Die Bildung von Intellektuellen ist zuweilen sehr selektiv. Denn natürlich entspringt das Christentum, wie auch der Islam, der durchaus archaischen, jüdischen "Hirtenreligion". Wer das frauenfeindliche Alte Testament, in dem alle drei Religionen wurzeln, mit seiner Vielweiberei, seinen mörderischen Racheschwüren und seiner genozidalen Homophobie (Sodom ist gemeint, Herr Giordano) kennt, der weiß um die dort angesammelte Brutalität und Einfalt. Auch das vordergründig so sanftmütige Christentum hat im Zentrum seines Kultes ein Menschenopfer: Christus erlöst, sagen die Christen, die Menschheit durch seinen Tod am Kreuz. Deshalb müssen seine Epigonen bis heute bei der "Wandlung" genannten kultischen Handlung, das "Fleisch und das Blut" ihres Meisters essen und trinken. Kein Wunder, dass diese obskure Religion, von den Kreuzzügen bis zum Irak-Krieg, als Vorwand für jede denkbare Bestialität tauglich war und ist.

Wenn Ralph Giordano eine einsame, verwirrte Stimme wäre, gäbe es keinen Grund sich mit ihm auseinanderzusetzen. Aber der Schriftsteller steht inzwischen einem Chor von Verwirrten vor. Seine Stimme erreicht die ARD-Abendnachrichten, den "Stern", den "Spiegel" und was noch. Und jeder weiß: Hätte der NPD-Vorsitzende von Großfresshausen den selben mörderischen Unsinn verbreitet, nichts davon wäre gedruckt oder gesendet worden, die Redaktionen hätten das Gewäsch mit Recht als fremdenfeindlich und rassistisch abgetan. So aber, mit dem Namen eines ausgewiesenen Antifaschisten verziert, hinter der Deckung eines kaum zu tadelnden Lebenslaufes, lässt es sich klammheimlich freuen. Dass es andere deutsche Intellektuelle, von Enzensberger bis Alice Schwarzer, ähnlich halten wie Ralhp Giordano, wenn sie das Kopftuch mit dem Judenstern gleichsetzen (Schwarzer) oder den Islamismus als "einzige gewaltbereite Bewegung" verstehen (Enzensberger) ohne über die gewalttätige USA auch nur nachzudenken, wirft Fragen auf.

Es gab einmal einen intellektuellen Reflex, der nahm aus Prinzip für die Schwächeren Partei: Für die Armen gegen die Reichen, für die Fremden gegen die Heimischen, für die Dummen gegen die Schlauen. Keineswegs musste man die Dummen, die Fremden oder die Armen besonders mögen, für die Parteinahme reichte ein einfaches Gerechtigkeitsempfinden aus. Das ist ziemlich aus der Mode gekommen: Der Spott über die Unterschichten gehört längst zum Partygeschwätz der gebildeten Stände, der türkische Machismo ist unverzichtbares Accessoir intellektuellen Hochmutes und der Hartz IV-Empfänger ist dem Studienrat ferner als diese reizenden toskanischen Nachbarn in Poggibonsi. Man hat sich eingerichtet im Land der Besserverdiener und Besserwisser, man gehört dazu. Und Witze über Frau Merkel, die christlichen Bollwerks-Angela, die Kämpferin gegen die Eroberung Europas durch die Türken, sind endgültig passé.

Wer so redet, so schreibt wie Giordano, der predigt Hass. Auch die Drohung gegen Andersdenkende ist ihm nicht fern, wenn er in einem "Zeit"-Interview pathetisch fragt: " Was, Germania, ist hier falsch gelaufen?", um zu folgern: "Damit komme ich zu jenen professionellen Multikulti-Illusionisten, xenophilen Anwälten aus der linksliberalen Ecke: Sie sind im Auge zu behalten." Und er leistet, gewollt oder ungewollt, dem Krieg in Afghanistan Schützenhilfe. Denn natürlich gehört zum Propaganda-Arsenal der Afghanistan-Kriegsbefürworter der gefährliche Islam, der angeblich einen Terroristen nach dem anderen gebiert und dem wir deshalb mit unseren mutigen Truppen am Hindukusch Einhalt gebieten müssen. Wer so schreibt, erklärt Krieg.