Straßen und Plätze kann die Querdenker-Bewegung schon kräftig füllen. Ihre politische Wirkmächtigkeit zeigt sich am deutlichsten im Gegenwind, der ihr entgegenbläst: Bis hin zum Antisemitismus werden ihr alle möglichen negativen Etiketten aufgeklebt. Aber wie die Bewegung – außerhalb ihrer Ablehnung des Corona-Regimes – politisch tickt, war bisher nicht erforscht. Der Augenschein bei den politischen Aktionen sagte dem Beobachter: Die Bewegung bildet sozial und politisch einen Querschnitt der Bevölkerung ab. Vor allem will sich die Mehrheit der Aktiven bei Befragen unbedingt in der „Mitte“ sehen. Ein Glaubensbekenntnis, das den Menschen, die häufig zum ersten Mal in ihrem Leben ihre politische Haltung auf der Straße artikulieren, eine gewisse Sicherheit im Rückgriff auf ihre früheren Haltungen verspricht. Denn immer noch können viele gar nicht fassen, dass sie sich mit der Staatsmacht anlegen.

Studie zum politischen Profil der Querdenker

Der Basler Soziologe Oliver Nachtwey hat eine erste Studie zum politischen Profil der Querdenker auf den Debatten-Tisch gelegt und die FAZ hat sie in einer sonderbar gekürzten Fassung veröffentlicht. Nachtwey ist – erkennbar an seinen Veröffentlichungen in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, der „taz“ und der „Jungen Welt“, dem links-grünen Spektrum zuzurechnen. Seine Befragung in Querdenker-Telegram-Gruppen ist nicht repräsentativ, zeigt aber fraglos politische und soziale Richtungen auf: Das Durchschnittsalter der Befragten beträgt 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur, 34 Prozent einen Studienabschuss, der Anteil Selbständiger ist deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Zum Wahlverhalten: Bei der letzten Bundestagswahl haben 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt. Der AfD hatten 14 Prozent ihre Stimme gegeben. Dass der bisher zugängliche Teil der Studie das Verhältnis der Querdenker zu SPD und CDU nicht ausweist, ist bedauerlich. Aber da das ermittelte Wahlverhalten nicht weit vom Ergebnis der Sonntagsfrage zur nächsten Bundestagswahl liegt, darf man bei den Befragten ähnliche Neigungen zu SPD und CDU vermuten: Die Querdenker sind in ihren politischen Sympathien der Normalbevölkerung sehr ähnlich. Mit einer Ausnahme: Bei der nächsten Bundestagswahl wollen laut Nachtwey 30 Prozent der Befragten der AfD ihre Stimme geben.

30 Prozent der Befragten wollen die AfD wählen

Trotz andauernden außerparlamentarischer Aktivitäten der Demokratie-Bewegung, die weit über die Querdenker hinausgehen, weisen die ermittelten politischen Haltungen auf eine beharrliche Nähe zum parlamentarischen System hin. Ein System, das bisher jede oppositionelle Bewegung an die Fleischtöpfe der Parlamente führte und zur Stabilisierung der bürgerlichen Demokratie nutzen konnte. Die aktuellen politischen Wirren in Sachsen-Anhalt geben Hinweise auf diese Stabilität: Die CDU hat dort eine deutliche Neigung zwecks Machterhalt mit der bisher oppositionellen AfD zu koalieren, und die AfD erwidert diese Neigung. - Auch wenn 30 Prozent der von Nachtwey Befragten bei den nächsten Bundestagswahlen AfD wählen wollen: Klassisch rechts sind sie eher nicht. In der Nachtwey-Befragung sagen 64 Prozent der Befragten, man solle Kindern nicht beibringen, auf Autoritäten zu hören. Und der Nationalsozialismus wird seltener verharmlost als in der Gesamtbevölkerung. Wenn in der Studie behauptet wird, „dass unter den Querdenkern – zumindest verdeckt – antisemitische Stereotype verbreitet sind“, wird man das als Alibi-Bemerkung verstehen müssen, zumal es keinen Abgleich mit dem in Deutschland üblichen Antisemitismus gibt: 23 Prozent der Bevölkerung stimmten zum Beispiel der Aussage zu "Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss" (Bertelsmann-Studie).

Eine Bewegung, die von links kommt, aber nach rechts geht

Die Autoren der Nachtwey-Befragung kommentieren ihre Arbeit zu den Querdenkern mit einem sibyllinischen Satz: „Es ist eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich.“ Dieser Kommentar weist nachdrücklich darauf hin, dass die Studie eine Momentaufnahme ist, deren Bestand sich aus der Entwicklung der Bewegung erweist oder widerlegt. Vor allem macht er darauf aufmerksam, dass sich die organisierte Linke – Gewerkschaften, Linkspartei und GRÜNE – bisher komplett von der Bewegung fern hält und damit jede Chance auf Einfluss verspielt hat. Allerdings ist die politische Annäherung an die Bewegung kompliziert: Es gibt kaum feste Strukturen, dauerhafte Gremien zeichnen sich nicht ab, und die einzig bekannte Führungsfigur, Michael Ballweg, ist politisch eher naiv.

Normative Unordnung

In einem Kommentarsatz der Nachtwey-Studie liegen Hoffnung und Problem gleichermaßen: „Kennzeichnend für die Querdenker-Bewegung sei die starke „normative Unordnung“. Aus kreativer Unordnung kann durchaus ein schöpferischer Neubeginn werden. Leider ist auch ein unproduktives Chaos denkbar. In den nächsten Monaten wird deutlich werden, welchen Weg die Bewegung nimmt. Sowohl alte wie neue politische Formationen werden versuchen, die Demokratiebewegung zu beeinflussen. Bei den alten Gruppierungen herrscht, bis auf die AfD, die als „neu“ auftritt, bisher Ablehnung vor. Der immer noch starken parlamentarischen Orientierung käme eine neue Parteigründung entgegen: Die „Basisdemokratische Partei Deutschland“ begreift sich als politischer Arm der außerparlamentarischen Demokratiebewegung. Ihre Positionen sollten untersucht werden.

Und wer sich selbst klug machen will, der kommt z. B. am 12. 12.  2020 nach Frankfurt-Main:

https://kenfm.de/querdenken-demonstration-am-12-12-2020-in-frankfurt-main/