Man darf von einem gegebenen Anlass reden: Ein paar Karikaturen in einer dänischen Zeitung, eine Welle der Empörung in einigen islamischen Ländern und eine der Solidarität in europäischen Medien, die sich Sorgen um die Pressefreiheit machen. Pressefreiheit ist ein Grundrecht. Aber brauchen wir sie und wenn ja, wozu? Das will untersucht werden.

Die Freiheit »seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern« ist in der Verfassung verankert. Sie soll, da sind sich alle Gesetzeskommentatoren einig, die Vielfalt der Meinungen, die Grundlage der Demokratie sichern. Wer die deutschen Medien auf Vielfalt untersucht, zum Beispiel anlässlich der Entscheidung der Regierung, die Grenze für den Eintritt in das Rentenalter auf 67 Jahre anzuheben, wird eine verblüffende Entdeckung machen.

Die »Frankfurter Rundschau« findet den Müntefering-Vorschlag »sachlich nachvollziehbar«, die »Süddeutsche Zeitung« titelt »Die erste Reform«, der »Tagesspiegel« nennt es eine mutige Entscheidung, die »FAZ« erkennt eine »Blitzdebatte« ein Begriff, der seit dem deutschen Blitzkrieg völlig positiv besetzt ist, die "Welt" sieht nach dem Müntefering-Vorschlag die »SPD als Reformmotor der großen Koalition«, das ZDF schließt sich dem an: »Müntefering treibt große Koalition« und behauptet einen »nützlichen Zwang«, während die ARD, immerhin »Lob und Kritik« ausmacht.

Obwohl nachzurechnen ist, dass es sich bei der Anhebung des Rentenalters um eine faktische Rentenkürzung handelt, obwohl sich jeder Vernunftbegabte die Frage stellt, wann denn dann die vielen jungen Arbeitslosen einen Job bekommen, wenn die Alten länger arbeiten müssen, hat der deutsche Medien-Mainstream mal wieder eine »Reform« gefunden, die er gegen jeden Sinn und Verstand lobpreisen muss.

Sitzen in den Redaktionen nur Blöde, Leute, die nicht rechnen können? Nein, natürlich nicht. So ein Ressortleiter der Wirtschaftsseiten hat meist ein solides Studium hinter sich. Aber vor sich sieht er noch Jahre der Karriere und die will er sich nicht von der Wahrheit kaputt machen lassen. »Eine Zensur findet nicht statt«, sagt das Grundgesetzt, aber wenn der Wirtschaftsjournalist nun keinen Gesprächspartner in der Wirtschaft mehr findet und auch nicht mehr das Ohr seines Verlegers, dann ist das alltägliche Zensürchen fällig, die Schere im Kopf, die vorauseilende Lüge.

Auch wer die Schlagzeilen der letzten Tage über den »Muslimischen Terror« liest oder hört, der muss sich über die Meinungsvielfalt keine großen Gedanken machen, sie ist, Ausnahmen bestätigen die Regel, weitgehend ausgesetzt. Dass die NATO zeitgleich laut darüber nachdenkt, sich vom Nordatlantikpakt zum globalen Militärbündnis zu wandeln, ist natürlich Zufall.

Die Entwertung nationaler Regierungen durch die Globalisierung, ihre Hilflosigkeit gegenüber wirtschaftlichen und sozialen Fragen, braucht neue Themen, neue Feindbilder, neue Begründungen für staatliches Handeln. Da kommt der »Muslimische Terror« gerade recht. Wie schön, dass auch islamisch geprägte Regierungen ähnliche Legitimationszwänge kennen und sich deshalb »den Westen«, wer auch immer das ist, als Feind ausgesucht haben. Und wenn die Feindbilder nur lange genug an die Wand gemalt werden, dann treten sie manchmal aus dem Rahmen und führen Kriege miteinander.

Tatsächlich ist von fundamentalistisch geprägten Regierungen wenig Vernunft und noch weniger Meinungsvielfalt zu erwarten. In unserer schönen Heimat allerdings, so dachte man, sei eben Vielfalt und Pressefreiheit zu Hause. Ein Blick in Zeitungen und auf Bildschirme macht deutlich, dass wir den Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit garantiert, nicht mehr so dringend brauchen. Vielleicht sollte man einen guten Zusatz finden: Eine Zensur findet nicht statt, außer sie ergibt sich von selbst. Ansonsten sind wir ein Exportland: Freiheiten, die wir selten nutzen, sollen uns doch gefälligst andere abnehmen, diese Mohammedaner zum Beispiel.

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