Die Demokratiebewegung sucht noch nach einer neuen Perspektive. Zwar ist ihr bekannt, wogegen sie ist – die Einschränkung der Demokratie unter dem Vorwand des Gesundheitsschutz oder einer vorgeblichen russischen Bedrohung – aber wofür sie sich einsetzt, ist eher ungenau. Zur Zeit kursiert in der Bewegung ein Tip zu einem neuen Gesellschaftsentwurf: „Die humane Marktwirtschaft“ ist ein Buch von Peter Haisenko und Hubert von Brunn, das auf ein „Wirtschaft- und Finanzsystem zum Wohle aller Menschen“ orientiert.

Übermacht des Kapitals

Die Autoren beginnen mit einer Einschätzung des Status Quo, um dann daraus das Modell einer humanen Gesellschaft zu entwickeln. Sie beziehen im Text schon früh Stellung gegen eine Teilung der aktuellen Gesellschaft in Arm und Reich, wenn sie einen Reichtum, der nicht aus Arbeit entstanden ist, als „parasitär“ bezeichnen. Auch wenn sie feststellen, dass „die Übermacht des Kapitals gebrochen“ werden muß, um zu einem „wirklich demokratischen Staat“ zu gelangen, werden Hoffnungen auf eine radikale Alternative geweckt. Dass dann nicht die Frage nach dem Eigentum an Produktionsmitteln, der Ursache sozialer Ungleichheit, gestellt wird, ist bedauerlich.

Pappkameraden zu erkennen

Die Analyse der sozialen Verhältnisse erscheint ziemlich unscharf, wenn die Autoren behaupten, dass „die Bürger unseres Landes keine wirkliche Not zu erleiden“ hätten. Auch, dass „jeder der es will“ ein „Dach über dem Kopf“ habe, ist eine Annahme, die auf den Straßen deutscher Städte täglich widerlegt wird. Wenn dann in dieser Gegend des Buches die „sozialistische Doktrin von der universellen Gleichheit“ scharf zurückgewiesen wird, wird dies der Abgrenzung nach links dienlich sein. Dass es eine solche „Doktrin“ in der sozialistischen Wissenschaft nicht gibt, lässt den Pappkameraden unschwer erkennen.

Hochmittelalter ohne Kriege?

Um das gewünschte Thema – das „fließende Geld“ – historisch zu grundieren, gelangen die Autoren in die Zeit der „Brakteaten“, jener Münzen, die angeblich nicht gehortet wurden und in der es, folgt man den Autoren, keine kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben haben soll und in der es den Menschen so „gut ging wie nie“. Folgt man dem Zeithinweis ins Hochmittelalter ernsthaft, findet man von 1073–1075 den Sachsenkrieg Heinrichs IV, 1147 den Wendenkreuzzug, 1198-1215 den deutschen Thronstreit der Staufen und so fort.

Mehrheit der Bevölkerung im Zustand des Überflusses?

Wenn die Autoren im zweitem Teil des Buches zum Modell ihrer neuen Gesellschaft kommen, beginnen sie erneut mit einer oberflächlichen Annahme: „Heute jedoch lebt die bei Weitem überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im Zustand des Überflusses.“ - Die offizielle Zahl der Arbeitslosen liegt zur Zeit in Deutschland bei 2.696.000. Diese Zahl wurde entweder nicht recherchiert oder die Autoren haben vom Überfluss andere Vorstellungen als jene, die sich keine Kino- oder Konzertkarte leisten können, auch keine gesunden Lebensmittel und deren Kinder man an den Klamotten als Harzer erkennen kann.

Demokratische Strukturen der Marktwirtschaft?

Wesentliche Grundlage der „Humanen Marktwirtschaft“ ist das „fließende Geld“, das von einem „Wertspeicher“ begleitet wird. Für die wissenschaftliche Debatte wäre es nützlich gewesen, wenn die Autoren den Sozialreformer Silvio Gesell erwähnt hätten. Der war in der Münchner Räterepublik 1919 Finanzminister und gilt als einer der Erfinder des „Freigeld“, einem Vorgänger des „fließenden Geld“. Leider gelingt den Autoren an keiner Stelle eine plausible Erklärung der Vorteile des „fließenden Geldes“. Stattdessen müssen sie im Epilog noch zwei Falschbehauptungen unterbringen: Zum einen schreiben sie von „vorhandenen demokratischen Strukturen des freien Marktes“. Gerade die Demokratiebewegung wurde von der prügelnden Polizei der freien Marktwirtschaft und den mafiösen Justiz-Strukturen des freien Marktes eines schlechteren belehrt. Zum anderen behaupten sie mal eben, dass Marx vorhergesagt habe, „dass der Kapitalismus im Endstadium automatisch zum Kommunismus führen wird“. Diesen „Automatismus“ findet man nirgendwo im Werk vom Marx.

Momo-Bewegung und Geldreform

Wenn Haisenko und von Brunn mit ihrer schwärmerischen Theorie alleine wären, ließe sich dieser Abweg der Bewegung ignorieren. Aber die bei Michael Ende entlehnte Momo-Bewegung geht mit ähnlichen Theorien um: „Eine demokratische Geldreform könnte den ständigen Klassenkampf zwischen den Besitzenden und Besitzlosen sanft beenden und die soziale Schere wieder schließen.“ Andere Bereiche wie zum Beispiel das Bildungs-, Gesundheits- und Mediensystem würden sich mit den neuen gerechten Machtverhältnissen automatisch neu organisieren und verbessern, kann man im MOMO-Manifest lesen.

Über die Zukunft nachdenken ist sinnvoll

Dass die Bewegung über sich selbst und ihre Zukunft nachdenkt, ist sinnvoll. Noch sinnvoller wäre, wenn sie sich ein demokratisches Gremium schaffen würde; einen Raum für die Debatten, das Diskutieren der Ideen und der nötigen Arbeitsschritte in einem Kampf, der von der Verteidigung der Demokratie-Reste zu einer wirklichen Demokratie führen kann.