So richtig gross ist er nicht, der saarländische Oskar. Aber Körpergrösse, das wissen wir seit Napoleon, ist kein Indiz für Ungefährlichkeit. Auch die Bataillone, die Oskar kommandiert, wirken, außerhalb des Ostens der Republik, nicht Ehrfurcht gebietend: Nur hie und da haben sie im Westen, in den redlichen deutschen Stammlanden, die Fünf-Prozent-Grenze überschritten. Doch glaubt man der ehrbaren Öffentlichkeit, dann ist Oskar Lafontaine bereits jetzt, lange vor der Erlangung eines Regierungsamtes, die böse dunkle Macht im deutschen Märchenwald, das Wesen mit dem Pferdefuß, der Hexer mit der spitzen Nase.
Solche Unwesen müssen, um ihre zaubrische Macht über Menschen, also Wähler, zu erringen, lügen. Und der SPD-Fraktionschef Peter Struck nannte deshalb den Lafontaine im Bundestag einen Lügner. So wie man das Kreuzzeichen schlägt, um die Geister zu bannen, so fluchte Struck dem Oskar nach. Denn der hatte behauptet, dass die Vereinigung von KPD und SPD in der sowjetischen Besatzungszone nicht ausschließlich unter Zwang erfolgte. Nun stand damals, wie wir wissen, hinter jedem Sozialdemokraten ein sowjetischer Soldat und SPD-Führer wie Grotewohl (DDR-Ministerpräsident) und Buchwitz (Präsident des sächsischen Landtages) wurden mit vorgehaltener Waffe in ihre Ämter gezwungen. Also darf Lafontaine als überführt gelten.
Doch nicht nur Politiker kämpfen den tapferen Kampf gegen Oskar den Dämon. Auch Journalisten, Meister der Objektivität, wie Ulrich Deppendorf und Joachim Wagner, versuchten im ARD-ZDF-Sommerinterview dem Meister der Täuschung die Maske herunterzureißen. Mit scharfen Fragen, ob denn Lafontaines Frau ein Ministeramt bekommen solle, oder jener nach der Internet-Zensur in China, als wäre die Linke eine Satelliten-Partei der chinesischen KP, trieben sie den gefährlichen Mann zum Offenbarungseid: Er nannte den Irak-Krieg, den die deutschen Haupt-Medien sehr lange ganz prima fanden, tatsächlich "völkerrechtswidrig". Da hatten sie ihn und Wagner konnte triumphierend ausrufen: "Das ist eine demagogische Verfälschung!". Und zwar jener Art, die vor UNO-Gremien und internationalen Gerichtshöfen jederzeit wasserfest wäre, wenn man die USA jemals unter Anklage stellen könnte.
Als die garantiert überparteiliche Zeitung "Bild am Sonntag" mal eine Umfrage in Auftrag gab, stellte das von ihr besoldete Institut Emnid die dringend gebotene Frage, ob die Deutschen den Lafontaine für gefährlich hielten. Und tatsächlich halten 39 Prozent der Deutschen den Gottseibeiuns der Sonntagsreden für "eher gefährlich". Das, so Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner, beweise: "Die Menschen haben Angst, dass Lafontaine Zukunft und Wirtschaft des Landes zerstört". Aber leider sind nicht alle Deutschen so scharfsinnig wie der Emnid-Mann. Denn tatsächlich halten, in der selben Umfrage, fast fünfzig Prozent den früheren SPD-Chef für "eher ungefährlich". Deshalb durfte auch in der "Bild-Zeitung" ein gewisser Helmut Schmidt den Lafontaine mit Hitler vergleichen.
Die Gefährlichkeit erkannt, Gefahr gebannt, so denkt ein ganzer Reigen von Politikern. Wie Roland Koch: "Stramm auf DDR-Kurs" sieht er den Lafontaine, Dirk Niebel von der FDP scheut keine Tautologie, denn er weiß, dass der Wählerverderber Oskar nichts anderes ist als die "Kommunistische Fortsetzung der SED". Herr Bosbach von der CDU entdeckt "Marxismus pur", während er doch Marxismus nur "on the rocks" mag. Denn der eher gefährliche Lafontaine hatte, so las man, die Enteignungsfrage aufgeworfen. Ausgerechnet in einer von der Zeitschrift "Capital" moderierten Debatte habe der linke Mann die Enteignung der Schaeffler-Gruppe gefordert, nur weil die gerade mit zehn Milliarden die Continental AG kaufen wollte.
Und sie schreiben es alle, die Gespenster-Jäger: Es steht im "Spiegel", der "Süddeutschen", dem "Tagesspiegel" , der "Rheinischen Post", der "Bild-Zeitung" und in der Provinzpresse soll es einen solchen Nachhall gegeben haben, dass die ersten hundert schwäbischen Unternehmer, den Rucksack mit ein paar Aktien auf dem Rücken, die Heimat in Richtung China verlassen haben. Wer dann die Video-Aufzeichnung der Diskussion selbst sichtet, ist enttäuscht: Da sagt Lafontaine, dass er sich nicht vorstellen kann, dass die Schaefflers ihre Milliarden ganz allein zusammengescheffelt hätten, er sähe da noch Mitarbeiter und die seien über die Jahre von den Schaefflers "enteignet" worden, das hielte er für grundgesetzwidrig. Na gut, das Wort Enteignung kommt vor, aber sonst ist das ja enttäuschend, das entspricht ja so gerade dem alten sozialdemokratischen Kanon von vor der Agenda 20/10, der Mann bettelt ja nur um Gerechtigkeit. Wo bleibt das Messer zwischen den Zähnen, die Kalaschnikow unter dem rechten Arm und die rote Fahne in der linken Hand?
Der Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels, Berater des Vatikan, schrieb jüngst in der "FAZ": "Zu den wenigen Politikern, die sich in Deutschland noch auf die katholische Soziallehre berufen, gehört Oskar Lafontaine". Und tatsächlich beruft sich der Absolvent einer katholischen Klosterschule auch schon mal auf Papst Joannes Paul II, der über den Kapitalismus gesagt hatte: "Die menschlichen Defizite dieses Wirtschaftssystems heißen Ausgrenzung, Ausbeutung und Entfremdung". Und wenn er über Umverteilung redet, lässt sich Lafontaine gerne vom Herz-Jesu-Sozialisten Blüm verteidigen, der eine "durchkapitalisierte Gesellschaft" für "eine bodenlose Gesellschaft hält."
Lafontaine, wir wissen es, ist das Rotkäppchen und der Wolf gleichzeitig: Mit dem sozialen Fresskorb unter dem Arm soll die deutsche Großmutter angelockt und den Reißzähnen der SED ausgeliefert werden. Und wenn an dieser Verschwörung der Vatikan beteiligt ist, dann fehlen, bei Betrachtung der deutschen Medien, nur noch die Juden und die Freimaurer, um die Bedrohung von innen, den Dolchstoss von hinten und die rote Gefahr so richtig komplett zu zeichnen. Doch wenn der dämonische Oskar und seine Genossen so weitermachen, zum Beispiel mit einem ordentlichen Wahlergebnis in Bayern, dann wird man auch diese Wähler-Scheuchen wieder auf die Politikfelder stellen und so den Kampf gegen den Terror dahin leiten, wo er traditionell hingehört: Zum Kampf gegen den roten Terror.