Wie Zwillinge traten sie in Ankara auf: Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Der selbe Tag, die selbe Stadt: Sie hätten ihre jeweiligen Pressekonferenzen auch gemeinsam abhalten können. Stoltenberg sicherte der Türkei „die Solidarität des Bündnisses“ zu. Mogherini verstieg sich gar zur Unterstützung der Türkei bei „ihrem Engagement für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“. In den Gefängnissen der Türkei sitzen, im Ergebnis von Massenverhaftungen, die Opfer türkischer Menschenrechte. Dutzende Zeitungen sind im Gefolge der türkischen Form von Demokratie verboten. Zehntausende Lehrer und Hochschullehrer wurden ohne Grund und Verfahren entlassen, sicher weil die Türkei ein Rechtsstaat ist, den die Europäische Union unterstützt.

Ein synchroner Trick macht die Augenwischerei möglich: Im Mittelpunkt aller Kommentierung und medialer Verarbeitung türkischer Verhältnisse steht der misslungene Putsch. Dass lange vor dem Putsch alle Vorformen der Diktatur geprobt wurden, dass nach dem Putsch ein Erdogan-Rachefeldzug auch die trifft, die mit dem Putsch nichts zu tun haben, ist aus der öffentlichen Wahrnehmung nahezu verschwunden. Das soll eine Türkei reinwaschen, die in Syrien jeden Moment auf russisches Militär stoßen kann: Was ist, wenn türkische Panzer bei ihrer Jagd auf syrische Kurden auch nur versehentlich von russischen Raketen getroffen werden? Der Krieg zwischen der NATO und den russischen Streitkräften wäre nicht auszuschließen. Das ist der größte anzunehmende Unfall, der vor einem atomaren Konflikt denkbar wäre.

Schon lange ist die Türkei ein wesentlicher Vorposten der NATO im „Kampf gegen den Terror“. Ausgerechnet in Ankara wurde das „NATO Centre of Excellence Defence Against Terrorism“ 2005 gegründet und dort ist bis heute sein Standort. Auf der Website der Anti-Terror-Organisation prangt das Logo des türkischen Generalstabes neben dem NATO-Signet. Als das Zentrum im Juni 2005 eröffnet wurde, kommentierte der damalige NATO-Oberkommandierende in Europa, James Logan Jones jr., das so: “Wir haben über das spezifisch türkische Problem mit der PKK gesprochen. Die Türkei ist ein idealer Standort für unser Zentrum zur Bekämpfung des Terrors. Sie verfügt über die zweitgrößte Armee der NATO, liegt strategisch sehr günstig und hat mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Bekämpfung von Terroristen."

Natürlich ist ein Terrorist immer der, den die USA und die NATO dazu erklären. Deshalb wird vom NATO-Anti-Terrorzentrum in Ankara auch der Krieg in Afghanistan und der im Irak geführt. Aber die ausdrückliche Erwähnung des „türkischen Problems“ mit den Kurden macht nachdrücklich auf die Einmischung der NATO in einen innertürkischen ethnischen Konflikt aufmerksam. Natürlich auf der Seite der Kurden-Jäger. Auch wenn der Leiter des obskuren Zentrums ein türkischer Militär ist: Die Bundesrepublik Deutschland ist über ihre NATO-Mitgliedschaft selbstverständlich in grundgesetzwidriges Handeln außerhalb ihrer Grenzen und immer schön unterhalb der Information des Parlamentes verwickelt.

Spätestens seit der „Erklärung der NATO und der Europäischen Union über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ vom 16. Dezember 2002, mit der die „strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und der NATO bei der Krisenbewältigung“ zementiert wurde, hat sich die EU zum verlängerten Kriegsarm der NATO erklärt: „Während die NATO die Basis für die kollektive Verteidigung ihrer Mitglieder bleibt, wird die EU zusätzlich zu den Instrumenten, die ihr bereits zur Verfügung stehen, durch die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) in die Lage versetzt, unabhängig Krisenbewältigungseinsätze durchzuführen.“ Man muss natürlich das Wort „Krise“ immer durch das Wort „Krieg“ ersetzen, dann wird die Ungeheuerlichkeit dieses Dokumentes deutlich: Neben und an den nationalen Parlamenten vorbei werden Kriegseinsätze von EU und NATO geplant. Als Fußnote dieser EUR-Lex findet sich dieser Satz: „Die Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU fand erstmals Mitte der 90-er Jahre in den westlichen Balkanstaaten statt.“ Das Blut, das bei der Liquidierung Jugoslawiens geflossen ist, quillt aus den Zeilen der Eurokratie zur Besiegelung der NATO-Partnerschaft.

Immer wieder wurde und wird der Austritt Deutschlands aus der Europäische Union erwogen. Zumeist sind es wirtschaftliche und soziale Überlegungen, die diesen Gedanken befördern. Vor allem die unterschiedlichen Sozialstandards in der EU und die Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung haben bisher dieses Nachdenken genährt. Zunehmend kommt die Militarisierung der EU, ihre fatale Partnerschaft mit der NATO hinzu: Die Kurden-Jagd ist längst eröffnet. Die EU macht den Gewehrträger. Deutschland liefert die Munition. Es ist an der Zeit nicht nur „Raus aus der NATO“ zu fordern. Ein „Raus aus der EU“ lässt sich inzwischen mit den selben Argumenten belegen.

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Mich überzeugt die Rationalgalerie immer wieder durch ihre Recherchearbeit. Was sie zum Thema Kurden und Nato ausgegraben haben ist schon erstaunlich. Dafür meinen besten Dank.

Petra Cibulski
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Die EU ist in den Tentakeln des transatlantischen bündnisses gefangen,das ist &war schon immer so.
Was diese sogenannte Elite betreibt ist Kriegestreiberei anstatt Frieden zu fördern.
Wann wird die EU in der Lage und gewillt sein Frieden auf Erden...

Die EU ist in den Tentakeln des transatlantischen bündnisses gefangen,das ist &war schon immer so.
Was diese sogenannte Elite betreibt ist Kriegestreiberei anstatt Frieden zu fördern.
Wann wird die EU in der Lage und gewillt sein Frieden auf Erden zu schaffen ?

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Pat Hall
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Mit Ihrer Forderung nach einem Austritt aus der EU spielen sie das Spiel der AfD. Linke wie Sie tun zwar immer internationalistisch, sind aber doch sehr begrenzt. Problemlösungen sind nur im europäischen Rahmen denkbar.

Peter Kamphausen
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Zu welchem Kontinent gehören eigentlich Russland, die Ukraine, Belorussland, Norwegen, Island, die Türkei und der Vatikan?

Uli Gellermann
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Unten auf Ihre Site haben Sie eine dicken Hinweis auf den Aufruf zur Demonstration "Die Waffen nieder" am 8.X.2016 in Berlin stehen. Da werden Sie im Text nicht mal den Satz "Raus aus der NATO" finden. Geschweige denn den Satz "Raus aus der EU"....

Unten auf Ihre Site haben Sie eine dicken Hinweis auf den Aufruf zur Demonstration "Die Waffen nieder" am 8.X.2016 in Berlin stehen. Da werden Sie im Text nicht mal den Satz "Raus aus der NATO" finden. Geschweige denn den Satz "Raus aus der EU". Für mich sieht diese Aktion wie die typische Erklärung einer Kompromissgeburt aus: Die Fürsten der Friedensbewegung haben sich so lange geeinigt, bis der Inhalt aus dem Aufruf raus war. Ich werde trotzdem hingehen. Und mit den Zähnen knirschen.

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Georg Frerichsen
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Besser knirschend dabei als jammernd zu Hause.

Uli Gellermann
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......da schließe ich mich an diesem Montag gerne @ Petra Cibulski an.
Dein unermüdlicher Einsatz, für Frieden, Freiheit, Völkerverständigung muss immer und wieder erwähnt werden.
Nicht nur raus aus der NATO; auch raus aus einer EU, die durch ihr...

......da schließe ich mich an diesem Montag gerne @ Petra Cibulski an.
Dein unermüdlicher Einsatz, für Frieden, Freiheit, Völkerverständigung muss immer und wieder erwähnt werden.
Nicht nur raus aus der NATO; auch raus aus einer EU, die durch ihr immer stärker werden @Peter Kamphausen die Völker und deren Interessen nicht mal mehr zur Kenntnis nimmt. Und wenn, dann als störendes Moment, denn von Demokratie ist lange keine Rede mehr. Machterhalt, Cliquenwirtschaft, Kapitalinteressen vertreten, um nur einige zu nennen, ist auf der EU Fahne zu lesen. "Freude schöner Götterfunken." Wer damit wohl gemeint ist.

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Ulrike Spurgat
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Herr Kamphausen und Herr Galerist, was ist mit den Staaten Albanien, Mazedonien, Serbien, Schweiz? Gehören die nicht auch zum Europäischen Kontinent. Und selbst Israel wird mitgerechnet, zumindest beim European Song Contest ! ! !
Nun, wie dem auch...

Herr Kamphausen und Herr Galerist, was ist mit den Staaten Albanien, Mazedonien, Serbien, Schweiz? Gehören die nicht auch zum Europäischen Kontinent. Und selbst Israel wird mitgerechnet, zumindest beim European Song Contest ! ! !
Nun, wie dem auch sei, Selbstverständlich ist der Kontinent größer und umfassender, als die Europäische Union. Mir scheint die Forderung nach Austritt aus der EU zwar nachvollziehbar und verständlich, bei deren Handlanger-Politik für die kriegstreiberische NATO und keineswegs ein Zeichen für rechte AfD- Komplizenschaft. Aber andererseits auch nicht sehr realitätsnah und Erfolg versprechend. Zumal die EU von Mehrheiten ihrer Bevölkerung noch weniger als militaristische Bündnis wahrgenommen wird, als das sogenannte Verteidigungsbündnis NATO. Da muss der Ansatzpunkt für Austritts-Forderungen bleiben. Und es muss klar gemacht werden, dass dieses Militärbündnis nicht gegen Terror hilft,sondern ihn befördert und es ansonsten keine militärischen Bedrohungen der EU-Staaten gibt, es also überflüssig und kontraproduktiv ist! Zumal ich mir im 21. Jahrhundert nationale Lösungen in dieser immer globaler werdenden Welt für internationale Probleme nur schwerlich vorstellen kann.

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Aleksander von Korty
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Mehr muss man zur EU nicht sagen https://soundcloud.com/acidpauli/fuck-the-eu

Heiko Leidner
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DAS NEUE NATO-WÜRFELSPIEL

Mogherini klingt süß, wie hingeflötet,
Stoltenberg, Jens klingt schon eher nach Horn.
Da reiten zwei, aneinandergelötet,
ihr Dienstauftrag lautet: Wer Kurden tötet,
rückt, ohne zu würfeln, zehn Felder nach vorn.

Ein...

DAS NEUE NATO-WÜRFELSPIEL

Mogherini klingt süß, wie hingeflötet,
Stoltenberg, Jens klingt schon eher nach Horn.
Da reiten zwei, aneinandergelötet,
ihr Dienstauftrag lautet: Wer Kurden tötet,
rückt, ohne zu würfeln, zehn Felder nach vorn.

Ein spannendes Spiel um Jagen und Haschen,
von NATO-Experten lustig erdacht.
Verwickelt, verfilzt, verknotet in Maschen,
mit Möglichkeiten, sich reinzuwaschen,
gegenwartsnah, auch für Kinder gemacht.

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Lutz Jahoda
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"Problemlösungen sind nur im europäischen Rahmen denkbar."
Irrtum, Herr Kamphausen. Die Lösungen dieser Art von Problemen sind nur im globalen Rahmen denkbar. Solange die EU sich versteht als ein Zusammenschluß, um die Probleme besser "in ihrem,...

"Problemlösungen sind nur im europäischen Rahmen denkbar."
Irrtum, Herr Kamphausen. Die Lösungen dieser Art von Problemen sind nur im globalen Rahmen denkbar. Solange die EU sich versteht als ein Zusammenschluß, um die Probleme besser "in ihrem, europäischen Sinne" zu "lösen", gehört sie nicht zu den Problemlösern sondern zu den Problemtreibern. Wie die USA, die Nato und leider Gottes viele andere auch - diese nur eben weniger wirksam. "Krisenbewältigungseinsätze" ist der Euphemismus schlechthin. Gegen derlei Naturkatastrophen, die da über uns hereinbrechen, hilft bekanntlich nur der - selbstverständlich humanitäre - Einsatz der Streitkräfte.

Nun kann man natürlich sagen, wenn die bösen Buben sich zusammenrotten, um auf dem Pausenhof die Mitschüler zu drangsalieren, muß man sie eben auseinanderbringen. Besser sie schlagen sich gegenseitig die Köppe ein, als der friedliebenden Mehrheit. Aber so einfach sind die Verhältnisse eben auch nicht. Und wenn ein Bündnis sich auflöst, sitzen die Rambos immer noch in ihren Sätteln. Die führenden Cliquen und ihre Interessen bleiben die gleichen, auch wenn wir aus der EU austreten - gerade in Deutschland.

Dennoch kann es durchaus Menschen, Länder geben, die darin einen Vorteil sähen. Ob ich dieser Bewertung jeweils zustimmen würde, ist noch einmal eine andere Frage. Die würde ich dann lieber im Einzelfall entscheiden.

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Detlev Matthias Daniel
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NATO heißt North Atlantic Treaty Organization ?Organisation des Nordatlantikvertrags?. Der Nordatlantikvertrag regelt das kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Die NATO ist, dem Vertrag nach ein Verteidigungsbündnis...

NATO heißt North Atlantic Treaty Organization ?Organisation des Nordatlantikvertrags?. Der Nordatlantikvertrag regelt das kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Die NATO ist, dem Vertrag nach ein Verteidigungsbündnis der Anrainerstaaten des Nordatlantiks. Bereits der Name ist eine Lüge! Die NATO ist ausschließlich an Angriffskriegen beteiligt und betreibt einen aberwitzigen Waffenkonsum. Seit ihrer Gründung wurde keiner ihrer souveränen Mitgliedstaaten angegriffen, oder irre ich mich da? Hochrüstung und archaische, militärische Muskelspiele haben nie zum Frieden beigetragen, sondern immer nur der ehrliche, konsequente, respektvolle Dialog mit den Nachbarn. Das ist genau das, was speziell unsere derzeitige Bundesregierung speziell dem großen Russland verweigert und damit konsequent dem Frieden auf unserem Kontinent in unerträglicher Weise schadet. Bündnisfälle kann man konstruieren. Nur warum die NATO nach 9/11 in Arabien einmarschiert ist, konnte zumindest mir bisher keiner schlüssig erklären. Na gut: die Verschwörungstheoretiker halt, die behaupten, es ginge um Öl und Gas. Das sind Rohstoffe, die aus Sicht aller anderen rein zufällig und ungerechterweise ausgerechnet dort mehrheitlich vorkommen, wo Allah groß ist und seine Verehrer leicht zu besiegen. Und wo bitteschön ist, von Afghanistan und Irak aus betrachtet, gleich noch mal der Nordatlantik? Etwa noch eine Lüge in den nur vier Buchstaben (NATO)? Das muss man erst mal hin bekommen!

Vielleicht listen wir, um die NATO jetzt nicht über Gebühr zu strapazieren, in einem kurzen Exkurs einfach mal noch mehr Organisationen auf, deren bloßer Name bereits eine Lüge ist? *C*DU, *S*PD, *A*FD, Grüne, ...?

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Andreas Schell
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