Nach den Wahlen setzt sich unverhofft das eigentliche Wahlergebnis durch: Von der gefühlten linken Mehrheit, hätte man die Stimmen der SPD, der Grünen und der Linkspartei addiert, scheint es langsam zu einer, wie auch immer marmorierten, linken Wirklichkeit zu kommen. Franz Müntefering wird von den eigenen Leuten demontiert. Sein Rückzug von der Parteispitze ist der Anfang vom Ende der großen Koalition.

Und alles nur, weil erhebliche Teile des SPD-Parteivorstandes ihre Parolen aus den letzten Wochen des Wahlkampfes plötzlich ernst nehmen wollen. Diese seltene Erscheinung verdient vorsichtigen Beifall. Denn niemand, vor allem der designierte Vizekanzler Franz Müntefering selbst, hatte den Flirt mit sozialen Positionen, die Heuschrecken-Nummer, als Programm begriffen. In den Medien und in der Parteienlandschaft war man sich einig, dass es sich um den üblichen Wahlkampfsand gehandelt hatte, der Wählern gern in die Augen gestreut und nach den Wahlen, Körnchen für Körnchen, wieder eingesammelt wird.

Wahlanalysten wussten zu berichten, dass die plötzlichen Prozentverluste der CDU und die verblüffenden, späten Zugewinne der SPD aus jener großen Wählergruppe rührten, die, von der Sorge um Arbeitsplätze umgetrieben, zu gerne einen Paradigmenwechsel in der Politik gesehen hätten. Aber statt des Wechsels wollten die bekannten Gesichter nur die bekannte Politik fortsetzen. Auch wenn die SPD, im Rennen im die bessere Profilierung, schneller als die CDU ihren Teil der Koalitionsmannschaft aufstellte, fand das nur müden Beifall. Frau Merkel schien untergetaucht zu sein, Herr Müntefering gab den Neo-Kanzler und die Herren Steinbrück und Koch, als Duo unter dem Namen "Avanti Diletanti" bekannt geworden, spielten die Rollen der Regierungssprecher. Künstlich aufgeregte TV-Kommentatoren kommentierten Nachrichten, die schon vor den Wahlen alt gewesen waren und gelangweilte Zuschauer versuchten, einer Fußballbundesliga, die schon wieder von "Bayern München" dominiert wurde, einen Hauch von alternativer Spannung abzugewinnen.

Tatsächlich kommt aus München die wirkliche Neuigkeit: Stoiber, dem das Milliardenhaushaltsloch mindestens so viel Angst machte wie sein eigener Anspruch, mit den alten ökonomischen Rezepten neue, positive Wirtschaftsnachrichten zu generieren, hat seinen Vorwand zum Rückzug aus Berlin gefunden, bevor umgezogen ist. Ohne seinen alten Kumpel Müntefering will er nicht mehr mitspielen, lässt er mehr oder minder deutlich wissen. Wie schön, dass Politik so einfach ist: Verantwortung, äh, wird nur übernommen, äh, wenn man nicht verantwortlich gemacht werden kann.

Natürlich wäre eine linke Mehrheit nur denkbar, wenn es eine linke Mehrheit im Lände gäbe. Aber da niemand mit den Schmuddelkindern von der Linkspartei spielen will, bleibt der Sandkasten Bundesrepublik überschaubar. Die Eimerchen werden so lange hin und her geschoben, bis den bestimmenden Parteien die Zeit für Neuwahlen reif erscheint. Wer hofft, dass sich bis zu diesem Tag die Backrezepte geändert haben, der irrt. Kuchen ist nicht im Angebot, Sand ist reichlich vorhanden, noch ist ja nicht alles im Eimer.