Schon im französischen Wahlkampf erweckten die deutschen Medien den Eindruck, als wäre Emanuel Macron vom Himmel auf die Erde herabgestiegen. Nur um uns alle zu erlösen. Macron war jung, was man von vielen Eurokraten kaum sagen kann, er trug Anzüge von Jonas & Cie „eine Adresse für Eingeweihte“ wie die WELT zu schwärmen wusste und die TAZ konnte ihn stilsicher in die „Slim Fit-Politikergeneration“ einordnen, das sind die Jungs ohne Hüften. Und alle Kommentatoren hoben lobend hervor, dass Macrons Frau fast 25 Jahre älter sei als er. Welch ein großartiger Beleg für den Politikverstand des französischen Präsidenten. Doch erst mit Macrons jüngster Rede an der Sorbonne, der „Initiative für Europa“ brachen alle Dämme: Wogen der Begeisterung überschwemmten die Gestade herkömmlicher Medienkunst: Die WELT schwang über von einer „ Weltregierungserklärung des Emmanuel Macron“, das HANDELSBLATT war sich sicher, dass Macron „Europa“ neu erfinden wolle, die TAZ sah ein neues „Europa“ beschworen und der SPIEGEL zitiert zustimmend die: "Neugründung Europas“. Ein Wundertäter schien geboren.
Und alle, alle übernehmen Macrons arrogante Diktion nach der „Europa“ nichts anderes sei als die Europäische Union, ein Gebilde dessen Hauptstadt Brüssel heißt, dessen Flüsse aus Geld bestehen und dessen Gipfel sich im Aktien-Index abbilden. – Gut, man darf vielleicht die Schweiz kurz unerwähnt lassen, wenn man über Europa in Begeisterung ausbricht. Auch mögen Aserbeidschan, Norwegen oder Armenien, alles keine EU-Staaten, sich mit „Europa“ angesprochen fühlen, wenn der modische Napoleon aus dem nordfranzösischen Amiens die ihm bekannte Welt neu ordnet. Aber wenn in seiner Rede Russland (Russie) nur ein einziges Mal vorkommt, nämlich wenn er sich um die Aufnahme der Balkanländer in die EU sorgt, damit die nicht „nach Russland zurückkehren“, dann platzt der üblich-üble französische Imperialist vor lauter eingebildeter Kraft aus dem Pariser Maßanzug. Seine Frau unterrichtete ihn einst in Französisch und Latein, in Geographie offenkundig nicht. Auch im Echo deutscher Medien fällt diese Leerstelle nicht auf. Denn deren Weltbild ist von ähnlicher Beschränktheit. Man bleibt in der Macron-Rede-Auswertung brav bei der EU-Innenpolitik stehen. Aber wäre die Europäische Union nicht beinahe, im Schlepptau der USA, rund um den Kiewer Maidan, in einen Krieg mit Russland verwickelt worden? Pflegt die EU nicht bis heute brav eine Reihe von Sanktionen gegen Russland, die sie erst jüngst verschärft hat? Doch glaubt man der Macron-Rede, dann liegt Russland auf dem Mond, keinesfalls in Europa.
Es ist die sattsam als Regierungs-Erklärungs-Maschine bekannte TAGESSCHAU, der eine außenpolitische Stelle in der Macron-Rede wohlwollend aufgefallen ist: „Eine gemeinsame Interventionstruppe und ein gemeinsamer Verteidigungshaushalt sollen die EU nach dem Willen Macrons auch militärisch zusammenführen. Der französische Präsident forderte eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, die bis Anfang der 2020er-Jahre definiert wird.“ Verteidigung gegen wen? Gegen Mali, wo französische und deutsche Truppen schon jetzt das Gold des Landes gegen seine wahren Besitzer verteidigen? Oder gegen Syrien, auf dessen Territorium sich französische Fallschirmjäger illegal aufhalten und den deutschen Fliegern am Himmel über Syrien zuwinken können? Es ist eine Mischung aus schlechter Angewohnheit und geringer Bildung, dass die Tagesschau-Redakteure nicht wissen wollen, dass „Intervention“ nichts mit Verteidigung zu tun hat, sondern nur das Tarnwort für die militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ist.
Wenn man bei Macrons zu Hause und in den deutschen Redaktionen schon nicht weiß, dass Russland das flächenmäßig größte europäische Land ist, dann sollte sich doch jemand im Élysée-Palast finden lassen, der dem ach so frischen Macron mal folgendes erklärt: West-Europa und Russland sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Sieben Prozent aller Ausfuhren der EU sowie 12 Prozent aller Einfuhren entfallen auf Russland. Nach den USA und China ist Russland der drittwichtigste Handelspartner der Gemeinschaft. Und wer weiß, vielleicht gibt es auch einen Geschichtslehrer im Palast, der dem neuen Hausherrn erklärt, dass die Franzosen ihren Kampf gegen Hitlerdeutschland nicht ohne die ziemlich russische Sowjetunion überlebt haben. Auch dass es das Frankreich zur Zeit General de Gaulles war, das seine relative Unabhängigkeit von den USA primär den Widersprüchen zwischen den Großmächten und einer zeitweiligen politischen Nähe zu Russland verdankte. Eine Lehre, die gerade jetzt, in der Phase der Trump-Wirren, schöne Ausblicke auf eine neue Eigenständigkeit der EU verschaffen könnte. – Zwar hat die deutsche Medienlandschaft keine Vorliebe für Donald Trump entwickelt, aber über das Verhältnis zu Russland nachzudenken, um Freiräume der deutschen Außenpolitik zu finden, das verlangte ja eigenständiges Denken. Eine Übung, die in den deutschen Redaktionen einem Wunder gleichkäme. Mon Dieu!
Wundertäter, dass weiß man aus der Legenden-Forschung, tun in Wahrheit keine Wunder. Sie tun nur so.