"Das sind die Ossi-Schweine" , sagte mein Schuster, " die sind völlig unfähig die toten Vögel wegzuräumen, dreckig und unfähig." Ein anderer Kunde nickte wissend. Das war zu Beginn der großen Vogelgrippe, als die Vögel auf Rügen tot vom Himmel fielen. Mein Schuster hat seinen kleinen, unaufgeräumten Laden nur ein paar Meter vom Ku-Damm entfernt, fast dort, wo die Prachtmeile des Westens noch prächtig ist, und doch trennen ihn Kilometer von den teuren Rechtsanwaltsbüros und den mondänen Läden der großen Designermarken. Mein Schuster wohnt auf der Verliererstraße und tief in seinem Inneren weiß er das.

Längst hat das Virus auch Bayern erreicht, jeder neue tote Vogel wird abgebildet, ist mehr als eine Nachricht, ein Menetekel an der Medienwand. Eine tote Katze reiht sich in den Totentanz ein, die Boulevardblätter kannten sie persönlich, ihr Besitzer kommt zu plötzlichem Ruhm. Wo Aufsehen ist, da ist auch Politik. Können die Mecklenburger und Brandenburger wirklich alleine ihre toten Vögel einsammeln, muss das nicht zentralisiert werden? Der Bundesgesundheitsminister spielt sich als Virologe auf, der SPD-Vorsitzende inszeniert sich als Deichgraf, einen Damm an dem sich die Viruswelle bricht, niemand lacht. Gott sei dank waren nicht alle Bundeswehrsoldaten im Ausland, auf Rügen sahen sie dem Todfeind mutig in die brechenden Vogelaugen.

Die wirklichen Experten sagen, dass man schon auf seinen Enten schlafen muss, um sich anzustecken. Dass die Sterblichkeit der Vögel in diesem Jahr nicht höher ist als in den Jahren zuvor und dass es andere, schwere Krankheiten gibt, an denen viele Menschen sterben. Aber wer will schon solch undramatischen Fakten verbreiten, es droht die Beulenpest und mit ihr treten die Flagellanten auf den den Plan, gegeißelt allerdings werden die anderen, die Fremden, die Ossis, die Chinesen oder der politische Gegner.

Als habe in einer geheimen Zentrale eine unheimliche Macht alle Medien gleichzeitig angeknipst und den Medienleuten den Verstand aus, so gleichgeschaltet funktionieren die ersten Seiten der Zeitungen und die Nachrichtensendungen von Rundfunk und Fernsehen. Es ist keine unheimliche, es ist eine nur eine heimliche Macht, es ist der Markt: `Wenn die Medienmitbewerber das bringen und wir bringen das nicht, dann werden die gekauft, gelesen, gesehen und wir nicht.´ Der pure Futterneid, ein unheilbares Virus, zwingt zur Nachrichtenhatz und am Ende der Nahrungskette stehen Rezipienten, denen im Zweifelsfall die Schuld an der Desinformationskampagne gegeben wird: `Die wollen das so, die Primitivos, wir in den Redaktionen sind natürlich schlauer, wir wissen, dass man die Katze roh hätte essen müssen, um angesteckt zu werden.´

Es trifft sich, dass die scheinbar neue Regierung nicht nur wenig zu sagen hat, sie tut auch nichts: Wer arbeitslos war, bleibt es auch, wer wenig Geld hat soll noch weniger bekommen. In den Lebensentwürfen der Politiker spielt die Rente keine Rolle, sie werden eine haben. Wer weder für Wirtschafts- noch Sozialpolitik verantwortlich sein will, die Aussenpolitik wird ohnehin in Washington gemacht, und trotzdem handlungsfähig erscheinen möchte, der wird die Grippe nicht kühl und sachlichen betrachten. Der braucht den Virus, der lässt die Vögel keulen und die Menschen mit den Zähnen klappern. Frau Merkel hat stabile Umfragewerte.

Mein Schuster könnte fragen, warum er von seinem Handwerk immer schlechter leben kann. Die Stuttgarter, die im ZDF vorgeführt werden weil sie "den Streik der Müllwerker und die Müllberge nicht mehr ertragen können", könnten feststellen, dass die von den Arbeitgebern geforderte Mehrarbeit nur mehr Arbeitslose produziert. Meine Nachbarn könnten mit ihrem eigenen Kopf bemerken, dass auch Aids eine Viruskrankheit ist. Damit das nur ja nicht passiert, müssen in den Zeiten knapperen Brotes die Spiele morbider werden.

Meinen Schuster kann ich wechseln, ein neues Volk findet sich nur schwer.

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