Großmächtig bewegen sich EU-Außenminister in der Hauptstadt der Ukraine. Mal standen sie selbst auf dem Maidan und orchestrierten den Protest, mal mahnten sie Reformen aller Art an, dann wieder übten sie Druck auf einen gewählten Präsidenten aus. Gut zwanzig Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, nachdem man die NATO um jede Menge ehemaliger Staaten des Warschauer Paktes erweitert hatte, fehlen zur NATO-Ausdehnung nur noch Weißrußland und die Ukraine, dann steht man endlich an der russischen Grenze, dann kann man den Russen jene Sorte Demokratie befehlen, die in einem vom Westen diktierten Freihandel besteht: >Beim Eintritt in den Westen werden Sie gebeten aus Sicherheitsgründen all ihre Rohstoffe abzugeben<.

Dass die im Westen hochgelobte Opposition in ihren Reihen einen starken faschistischen Block hat von dem sich die anderen bisher nicht distanzieren: In den deutschen Medien kaum der Rede wert. Dass eine der drei Oppositionsparteien, von Frau Timoschenko inspiriert, der Regierungspartei (bis auf deren NATO-Verweigerung) zum Verwechseln ähnlich ist: Macht nichts, Hauptsache sie steht der NATO und der EU freundlichst gegenüber. Dass der CDU-Zögling Klitschko "den Westen" zu einer Militärintervention aufgerufen hat: Er will doch nur spielen. Und wenn es ein Spiel mit dem Feuer ist? Dann kommen "wir" eben und löschen.

Was wäre wenn sich die Stadt München als autonom gegenüber der Bundesregierung erklärt hätte, wie die Stadt Lwiw, die in den deutschen Medien hartnäckig "Lemberg" heißt, es gegenüber der Kiewer Zentralregierung tut? Was wäre wenn eine stark von der NPD geprägte "Opposition" diverse deutsche Regierungsgebäude und zentrale Plätze dauerhaft besetzt hielte und mit Molotowcocktails und erbeuteten Waffen diese Besetzungen verteidigte? Was wäre wenn diese Opposition - wie jüngst im Nordwesten der Ukraine, in Riwne geschehen - ein Atomkraftwerk gestürmt und besetzt hätte? Längst wäre die Bundeswehr in Bewegung gesetzt worden, um den Zerfall des Landes zu stoppen.

Die Destabilisierung der Ukraine wird aus dem Ausland gut begleitet: Vom US-amerikanischen Vordenker Zbigniew Brzeziński, Dauergast auf der Münchner Sicherheitskonferenz, der sich dringend ein Russland ohne eine verbündete Ukraine wünscht, über den Vietnamkriegsveteranen und ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten John McCaine, der auf dem Maidan die Protestler anspornte: "Ukrainisches Volk! Das ist euer Moment! Die Freie Welt ist mit euch! Amerika ist mit euch!" Bis zu Cem Özdemir, den notorischen Bellizisten, der mit Inbrunst plädierte: "Die Ukraine gehört zu Europa", so wie vor ihm schon der Ex-Außenminister Westerwelle oder der CDU-Abgeordnete Wellmann, dem in der "BZ" zum Thema einfiel, dass die Ukraine immerhin "seit 500 Jahren christlich" sei.

Es ist der ausgeprägte Nationalismus in der West-Ukraine, der sich gegen die russischsprachigen Ost-Ukrainer und vehement für die Verbreitung der ukrainischen Sprache einsetzt. Ähnlich wie beim Zerfall Jugoslawiens dienen die nationalen Widersprüche in der Ukraine einer Einmischung von Außen, die damals in den Bürgerkrieg mündete. Die vorschnelle Anerkennung der neuen Teilstaaten durch die Bundesrepublik Deutschland verschärfte die Krise. Und während in den westlichen Medien hauptsächlich der serbische Nationalismus bemängelt wurde, war die kroatische Nationalvariante zusätzlich faschistisch gefärbt: Symbole der mit den Nazis verbündeten Ustascha-Bewegung dominierten zeitweilig die kroatische Öffentlichkeit und der spätere kroatische Staatspräsident Franjo Tudjman betonte er sei stolz, weder mit einer Serbin noch mit einer Jüdin verheiratet zu sein. Das Muster ist erkennbar. Nur nicht für die Mehrheitsmedien in Deutschland und für die Mehrheit im deutschen Parlament.

Der im Ergebnis der Aufspaltung Jugoslawiens entstandene Staat Bosnien Herzegowina steht vor dem Scheitern. In der Republik Kosovo sind seit 1999 mehrheitlich NATO-Truppen stationiert, die Wirtschaft wird vom Internationalem Währungsfonds und organisierter Kriminalität geprägt. Die USA unterhalten dort mit dem "Camp Bondsteel" ihren größten Stützpunkt außerhalb der USA. Das Militärlager beherbergt eine "Black Site", eines der Foltergefängnisse der USA. - Der Ukraine ist zu wünschen, dass ihr ein "jugoslawisches Modell" erspart bleibt. Allerdings ist die Aussicht, mit einer NATOisierten Ukraine das Schwarze Meer zu beherrschen, die erheblichen Öl-Reserven der Region ebenso zu kontrollieren wie jene noch nicht erschlossenen Öl- und Gasvorkommen, die im Schelf des Schwarzen Meeres lagern, höchst verlockend.