Man hätte 1983 schon etwas ahnen müssen: Die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung gab der DDR einen Kredit in Höhe von einer Milliarde D-Mark. Das bisher von Kohl als Unrechtssystem apostrophierte Gebilde, gerne auch Ost-Zone oder Sowjetisch Besetzte Zone genannt, war offenkundig in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Statt dem verhassten Feind im Osten den Todesstoß zu geben, stabilisierte der Milliardenkredit die wankende DDR. Kohl, bisher als Kommunistenfresser und potentieller DDR-Vernichter bekannt, schwieg damals zu den kritischen Nachfragen. Und er schweigt bis heute. Wer hatte den Sinneswandel des Kanzlers bewegt, war Geld im Spiel, von wem wurde Kohl auf den Kreditweg geführt?

Nur wenige Jahre später wird dem Partei- und Staatschef der DDR, Erich Honecker, ein Lebenswunsch erfüllt: Das Stabsmusikchor der Bundeswehr spielt vor dem Bonner Bundeskanzleramt `Auferstanden aus Ruinen´, die Nationalhymne der DDR. Honecker wird mit allen militärischen Ehren in Westdeutschland empfangen, Kanzler Kohl steht am Roten Teppich stramm, die Anerkennung der DDR, Jahrzehnte ein Streitthema bis an die Grenzen eines Krieges, ist vollzogen. Von einem CDU-Kanzler, der das Einheitsgebot des Grundgesetztes der Bundesrepublik mindestens so hochhielt wie das deutsche Reinheitsgebot. Ernstzunehmende Beobachter sahen Zusammenhänge mit dem Milliardenkredit, hielten den Honecker-Besuch für erkauft und fragten sich, wie lange Kohl dieses Versteckspiel noch durchhalten könnte.

Dann der Paukenschlag: Im Mai 1988 fuhr Helmut Kohl angeblich privat in die DDR. DDR-Sicherheitskräfte (!) begleiteten den Kanzler, die Grenzabfertigung war völlig problemlos. Auch wenn Besuche bei einem Fußballspiel und in einem Priesterseminar bekannt wurden, bleiben doch erheblich Löcher in der Berichterstattung über immerhin drei Besuchstagen: Wo genau war Kohl, wen genau hat er besucht? Experten der Stasiunterlagen-Behörde reden hinter vorgehaltener Hand Klartext: Das sei das typische IM-Verhalten, bei angeblich privaten Besuchen in der DDR hätten solche Agenten gern ihre Führungsoffiziere besucht, neue Aufträge entgegen genommen und alte abgerechnet. Nicht selten würde bei solchen konspirativen Treffen auch Geld übergeben. Häufig wären auf Verlangen des IM auch Akten vernichtet worden. Ahnte Kohl etwas, hatte ihm Honnecker das baldige Ende der DDR offenbart? Helmut Kohl bleibt jede Erklärung schuldig.

Gegen Ende der 90er Jahre, die DDR ist längst verschieden, ein neuer Skandal um Kohl. Millionen an sogenannten Spenden, die Kohl in schwarzen Kassen versteckte, werden ruchbar. Erste Fragen nach Schalck-Golodkowski, den von der Staatsicherheit hochdekorierten Honecker-Financier, tauchen auf. Schalck hatte zwar beim Bundesnachrichtendienst freimütig über die kriminellen Methoden seiner Arbeit geplaudert, musste aber nie vor Gericht. Der BND sicherte ihm Straffreiheit und falsche Papiere zu. Dass Schalk immer noch Zugriff auf SED-Vermögen hatte, war bekannt. Wie weit Kohl etwas davon abbekam, ob es sich um ausstehenden Lohn oder Schweigegeld handelte, ist unbekannt. Kohl verweigerte, auch vor dem Spendenuntersuchungsausschuss, jede Aussage. Selbst vor Gericht zahlte der Ex-Kanzler lieber 300.000 D-Mark, als die dunkle Quelle seiner vorgeblichen Spenden preiszugeben.

Trotz allen Beschweigens wird dann Anfang 2000 bekannt, dass es auch über Helmut Kohl Stasi-Akten gibt. Der ehemalige Kanzler fährt eine ganze Armada von Anwälten auf, um die geplante Veröffentlichung seiner Akten zu verhindern. Das zuständige Gericht interpretierte einen Passus des Stasi-Unterlagengesetzes so lange und so gründlich, dass dem ehemaligem Kanzler, wie anderen Personen der Zeitgeschichte, ein schützender Mantel umgelegt werden konnte. Selbst der frühere Stasi-Unterlagen-Verwalter, Gauck, war fassungslos und empört. Was hatte Kohl zu verbergen, warum wollte er, der als Schöpfer des Stasiunterlagengesetzes galt, keine Akteneinsicht gewähren? Viele Fragen, auf die es, summiert man die Kette von Indizien von 1983 bis heute, nur eine Antwort geben kann.

Wer den »Fall Kohl« objektiv beurteilt, kann nur folgern, dass da jemand »unter Aufbietung seiner rhetorischen und aller erdenklichen juristischen Mittel und mit stoischem Leugnen« die Stasi-Vorwürfe kontert. »Die Causa Kohl müsse man sich, wie ein großes Mosaik vorstellen: Da passt Steinchen für Steinchen. Das Mosaik ergebe für die Behörde seit zehn Jahren ein Bild, das Kohl wie einen IM aussehen lässt.« Sagt ein Mitarbeiter der Birthler-Behörde. »Kohl streitet gleichwohl ab.«


Alle historischen Erinnerungen sind Fakten.

Die im letzten Absatz mit Anführungszeichen markierten Zitate sind aus einem Artikel von Heribert Prantl aus der »Süddeutschen Zeitung«. Nur der Name wurde ausgewechselt: Statt »Gysi« wurde »Kohl« eingesetzt. Ansonsten ist das Prantl-Verfahren (Nichts beweisen. Viel vermuten. Wer abstreitet ist schuldig.) nur ein Muster für den üblichen Umgang der Medien mit den Stasiunterlagen.