Der Präsident hat gesprochen, das nennt man eine Rede. Und er sprach über Wirtschaft, davon so sagt man, hat er Ahnung. Andacht breitet sich aus im Land: Hört, von Arbeitslosigkeit hat er gesprochen, von der "politischen Vorfahrtsregel für Arbeit". Und alle haben des Präsidenten Rede gelobt, mehr oder weniger, haben von ihr erzählt, sie gesendet, gedruckt.

Von einem Land, dessen Bildungsstand langsam unter den der USA rutscht, kann man wahrscheinlich keine ökonomische Analyse erwarten. Aber ein wenig intellektueller Fleiß, ein wenig Bereitschaft nachzudenken, ist in den schwierigen Zeiten unseres Landes angebracht. Nicht überall vielleicht, aber in den vermeintlich besseren Medien, bei denen, die sich zur Intelligenz zählen, bei jenen Menschen in "der Wirtschaft", die mit unserem Land und nicht ausschließlich mit einer Hotline zur New Yorker Börse verbunden sind.

Verantwortlich, so eine korrekte Kurzfassung des Präsidenten, für die schlechte wirtschaftliche Lage sei zu viel Bürokratie, falsche Tarifabschlüsse, und "Geschenke" an die Bürger. Das alles mache die Arbeit teuer und deshalb wolle kaum jemand in Deutschland produzieren, was wiederum zur hohen Arbeitslosigkeit führe. Warum jemand für solch bekannte, häufig wiederholte Parolen positive Schlagzeilen erntet, wird auf immer unverständlich bleiben. Dass er kaum Widerspruch erzeugt (oder solch absurde Kritik wie die des IG Metall-Chefs Köhler er habe vergessen von der Mitbestimmung zu reden, als ob die, so oder so die Lage ändern könne) zeugt von Geistesarmut.

Der wohlfeile Vorwurf an die Bürokratie, natürlich haben wir hie und da zu viel davon, ist seit Bismarck stereotyp und ungefähr so stichhaltig wie der Vorwurf an die amerikanische Gesetzgebung, mit deren Hilfe dämliche Verbraucher McDonalds erfolgreich verklagen können, wenn sie zu fett sind oder wenn sie vom Rauchen an Lungenkrebs erkranken. Eine clevere Wirtschaft kann auch unter solchen Bedingungen gut funktionieren.

Seit Jahren schließen die deutschen Gewerkschaften Tarifverträge in der Nähe des Inflationsausgleichs ab. Wenn man ihnen ein paar Arbeitsplätze verspricht, bleiben sie auch darunter. Diese vornehme Zurückhaltung hat bisher nicht einen einzigen Arbeitsplatz gebracht. Im Gegenteil, zeitgleich wurde Millionen Arbeitsplätze abgebaut. Ich bitte untertänigst daran erinnern zu dürfen, dass Maschinen keine Autos kaufen (Henry Ford).

Was aber kann der Präsident mit den Geschenken an die Bürger gemeint haben? An anderer Stelle der Rede blitzt es auf: Die Kosten der sozialen Sicherungssysteme sind gemeint. Wir wissen nicht, was der Präsident in die Arbeitslosenversicherung, die Kranken- oder Rentenkasse eingezahlt hat, ich fürchte gar nichts, aber der normale deutsche Bürger hat ein ziemlich langes Leben beträchtliche Teile seines Gehaltes in staatliche Kassen eingezahlt. Jetzt ist er alt, oder krank oder arbeitslos und will gerne vom Eingezahlten was zurück haben. Es gibt so kluge Ökonomen, die wissen nicht mal wie eine Bank arbeitet: Die Bank (der Bürger) leiht Geld (der Bürger dem Staat), irgendwann will sie es zurück haben. Nur Köhler (und der Rest der veröffentlichen Wirtschaftsmeinung) hält die Rückzahlung eines Kredits für ein Geschenk.

Der Kern Köhlerscher Wirtschaftsanalytik lautet: Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut. Das ist die Lyrik der Wirtschaftswunderjahre, die Ludwig-Erhard-Apologetik. Und wer lange genug in Dienstwagen zwischen Dienstsitzen hin und her gefahren ist, mag das gerne glauben. Die Wahrheit heißt Ackermann: Der Deutschen Bank geht es blendend, einem guten Teil ihrer ehemaligen Beschäftigten beschissen.

Unter uns: Habt Ihr noch nie einen Handwerker "schwarz" beschäftigt? Ohne Steuern, ohne Sozialabgaben? Möglicherweise noch einen aus einem Nachbarland, noch preiswerter als der deutsche Schwarzarbeiter? Wenn man eine gleich gute Leistung preiswerter kriegen kann, dann wäre man ja blöd, oder? Und genau so oder so ähnlich funktioniert es. Und darüber hat der Präsident nicht gesprochen, das tut man wahrscheinlich nicht vor dem Arbeitgeberforum, dann wird man dort nicht mehr eingeladen. Zwar macht der deutsche Unternehmer das nicht schwarz, aber natürlich geht er mit der Produktion, die zum Beispiel in der Slowakei genauso gut geleistet werden kann wie bei uns, eben in die Slowakei: Weniger Steuern, geringere Lohnkosten, höhere Gewinne.

Verständlich, oder? Machen manche das mit ihrem Handwerker doch auch. Es gibt einen kleinen Unterschied: Der private Schwarzarbeiterbeschäftiger bekommt keine EU-Subvention. Der deutsche Unternehmer mit der weißen Weste geht in eine strukturschwache Gegend der EU und baut eine neues Werk, da zahlt ihm die EU ordentlich was dazu. Aus einem Topf, in den der deutsche Staat, vulgo der Steuerzahler, das meiste einzahlt. Und da die "abhängig Beschäftigten" bei uns die größten Steuerzahler sind, zahlen sie die höchsten Subventionen zur Vernichtung der eigenen Arbeitsplätze.

Die Wahrheit ist: Es gibt nicht zu viel, es gibt zu wenig Staat. Es gibt keinen einheitlichen Steuersatz in Europa, es gibt keine europäische Steuerpolizei, es gibt kein einheitliches europäisches Arbeitsrecht. Die Liberalisierung der Märkte braucht, bitte schön, halbwegs gleiche Marktregeln. Sonst wird die Schwarzarbeit zur Regel und die Handelsmarine zur Piratenflotte.

Wir brauchen mehr Staat. Zwei dringend notwendige Beispiele:

Als die West-Republik in den 70ern ihre erste ökonomische Krise hatte, wurden vermehrt Staatsaufträge ausgelöst. Würde das heute erneut geschehen, Maastricht hin oder her, würden unsere kaputten Straßen wieder in ordentliche Zustände gebracht, marode Schulen saniert, etc., würden kleine und mittlere Unternehmen, in denen die meisten Beschäftigten arbeiten, vermehrt Umsätze machen, gäbe es mehr Beschäftigung, die wiederum Kaufkraft, also Nachfrage erzeugen könnte und damit als Initialzündung für den wirtschaftlichen Kreislauf wirken würde. So weit J.M. Keynes. Ich höre schon den Einwand zugunsten der Währungsstabilität. Na, und? Mit genau dieser Methode zahlt die USA gerade preiswert ihre internationalen Schulden ab.

Das zweite Beispiel hat seinen Ausgang in einer Präsidentenbemerkung: Er findet unser Bildungswesen beklagenswert. Da hat er recht. Aber auch der Bildungspolitiker Köhler greift zu kurz, wenn er Subjektivitäten einfordert: Engagierte Lehrer, Eltern, Ausbilder hätte er gerne. Ach du lieber Herr Köhler, sollen die herbei gebetet werden? Ein Blick über eine östliche Grenze reicht: Das immer noch ärmere Polen lag bei der ersten PISA-Studie noch hinter Deutschland, also weit abgeschlagen. Dann haben sich die Polen die ersten Plätze der Studie angeschaut, z.B. Finnland, und dort einfach abgeschrieben: Überall Ganztagsschulen und ein eingliedriges Schulsystem eingeführt. In der zweiten PISA-Studie liegt Polen weit vorn, vor uns.

Wenn Köhler so denken würde, dürfte er sich mal wieder melden und sagen: »Liebes Volk, ich weiß was.

Kommentare (0)

Einen Kommentar verfassen

0 Zeichen
Leserbriefe dürfen nicht länger sein als der Artikel
Anhänge (0 / 3)
Deinen Standort teilen
Gib den Text aus dem Bild ein. Nicht zu erkennen?
Bisher wurden hier noch keine Kommentare veröffentlicht