Die Lüge ist wie ein Schneeball,
je länger man ihn wälzt,
desto größer wird er.
Martin Luther

Der CDU-Bürgermeister irgendwo in der Eifel sagt es immer wieder seinen Kindern, auch der konservative Gemeinderat im Schwäbischen weiß es genau, selbst die Kultusministerin von Sachsen-Anhalt hat es noch als Spruch ihrer Oma im Ohr: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht". Ganzen Generationen von Konservativen war die Wahrheit ein eigener Wert. Mal ein Seitensprung, ging in Ordnung, den Geschäftspartner über den Tisch ziehen, gehörte zur Praxis, beim Kartenspielen schummeln, galt als normal. Aber anderen richtig ins Gesicht lügen? Das galt, mitten im allgemeinen Wertewandel, immer noch als undenkbar.

Doch dieses letzte Bewahren konservativer Werte wurde schon bei Helmut Kohl vom Mantel der Geschichte unter den Tisch geweht: Dreiste Erinnerungslücken im Flickskandal und das eigene Versprechen höher zu stellen als die Staatsraison, um die trüben Quellen der Korruption zu schützen, waren dem System Kohl geradezu immanent. Auch im europäischen Raum ist der neue Typ des konservativen Politikers, der lieber seine Ehre im Dreck sieht als seine Karriere, wesentlicher Teil der konservativen Modernisierung: Sarkozy lügt eisernen Gesichts über die Bestechungsgelder aus einem Waffendeal in seiner Zeit als Haushaltsminister, Berlusconi wäre ohne seine erfolgreichen Lügen längst im Gefängnis verfault und der Österreicher Haider? Haider galt allen, die ihn kannten als Gewohnheitslügner und war auch noch stolz darauf.

Früher, in einer schwer zu bestimmenden guten alten Zeit, nahmen Wähler den erwischten Politikern das Lügen übel. Zwar lügen auch Wähler zuweilen, aber sie sind ja kleine Leute, sagen sie sich, die können manchmal nicht anders, aber ihre politischen Vertreter, die sollten doch den Glanz der Ehrlichkeit verbreiten. Das hat sich, spätestens seit Gutten-Zwerg - denn Lügen haben kurze Beine, das verkürzt den Köper drastisch - gründlich geändert. Denn solche wie der Verteidigungsminster gehören zu den unersetzlichen Projektionsflächen all derer, die Erlösung suchen. Erlösung aus den täglich Lasten, seien es Kassenbeiträge oder Arbeitslosigkeit, aus der Last einer immer komplizierter werdenden Welt, aus einer Umgebung, in der die Call-Center den Tag und die Casting-Shows den Abend diktieren. Da bleibt in einem säkularen Land nur noch die Hoffnung auf einen politischen Alleskönner, einen Führer. Auf einen jungen, frischen Messias, dem man die Lösung seiner Probleme überantworten kann. Der einen für Momente rausholt aus der rhetorischen Wüste, ausgebreitet zwischen Merkel und Gabriel.

Trotz der frechen Lüge des Gutten-Zwergs haben ihn die Leute weiter lieb: Seine Umfragewerte sind sogar gestiegen. Wie soll man seinen feuchten Traum vom guten, jungen Prinz, der ein ganzes Volk wach küssen könnte, wenn er denn nur wollte, auch aufgeben? Für den Preis der Redlichkeit? Den billigen Spatz in die Hand nehmen, wo doch die gebratene Taube so schön appetitlich auf der Schlosszinne sitzt? Wer das fordert, kann nur Kommunist sein. Weit über die gewöhnlichen Wähler hinaus ist der Wunsch nach Erlösung durch Verzeihung verbreitet. Träte Guttenberg wegen dieser lässlichen Fälschungs-Lüge zurück, was wäre dann mit der Lüge all der anderen? Der des verlogenen Finanzministers, der bis heute nicht erklären will, wie ihm denn damals der ominöse Koffer mit Einhunderttausend Korruptions-Mark in die Hand geraten war. Der des betrügerischen Außenministers, der bis heute behauptet, die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers habe nichts mit Spenden für seinen Wahlkampf zu tun. Der einer Kanzlerin, die bei der Ableistung ihres Amtseides - "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden . . . werde. So wahr mir Gott helfe" - von eben dem Gott wegen grober Lügerei hätte erschlagen werden müssen, bei dem sie geschworen hatte.

Soll die neue Schlagzeile denn lauten 'Der Fälscher geht - die Betrüger bleiben'? Nein, unter diesen Umständen kann und darf der Gutten-Zwerg nicht gehen. Jener tapfere junge Mann, der mit all den vielen anderen aus CDU, CSU, SPD und GRÜNEN seit Jahren den Wählern treuherzig ins Gesicht schaut und sagt: In Afghanistan wird Deutschlands Freiheit verteidigt. So einer darf nicht auf dem Altar gewöhnlicher Wahrheit geopfert werden. Dann müssten ja fast alle zurücktreten. Die Welt der politischen Täuschung bräche zusammen und der Wähler könnte ins Grübeln geraten. Denn der selbe Wahlbürger, der dem Zwerg in den Umfragen gute Arbeit attestiert, ist mit fast gleichen Umfragezahlen dafür, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht. Das ist immer noch ein unangenehmer Widerspruch, der den Betrügern gefährlich werden könnte. Denn während in einer Gehirnhälfte des Wählers rosa Zuckerwatte das Denken erstickt, lauert in der anderen ein seltsam rationales Grau, das genau weiß: Krieg ist Scheiße. Und wer den Gutten-Zwerg jetzt zurücktreten lässt, der könnte diese graue Hälfte aufrühren. Und das Aufrühren, das wollen wir doch lieber den Ägyptern überlassen.

Kommentare (14)

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die frage ist doch: was will er mit der bundeswehr - ne privatarmee für den adel?

Juergen Kiontke:
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Nur wenn Prinz Harry in Nazi-Uniform kommandieren darf!

Uli Gellermann
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Der oft zitierte Satz heißt zwar:"Adel verpflichtet" ist aber immer nur verkürzt wiedergegeben,denn richtigerweise heißt er:"Adel verpflichtet zu nichts!"

Werner Wahl
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Lieber Ulli Gellermann-
danke für die Gedanken!!!
Sie lassen das Wasser im Munde zusammenlaufen- auf mehr Realität - trotz alledem.
Und wo der Appetit kommt, kocht man dann auch wieder was, was uns ernährt und lecker ist.
Mir ist da wieder was...

Lieber Ulli Gellermann-
danke für die Gedanken!!!
Sie lassen das Wasser im Munde zusammenlaufen- auf mehr Realität - trotz alledem.
Und wo der Appetit kommt, kocht man dann auch wieder was, was uns ernährt und lecker ist.
Mir ist da wieder was eingefallen.!
Danke

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Anna KA Kaufmann
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Illegal, scheißegal, ministerial!

Marc Berger
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Den Guttenzweg mit großem Vergnügen gelesen - wie immer.

Sonja Schmid / Walter Listl
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Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie sehr große Ausmaße annimmt.

Bertolt Brecht
Höllenschlund 1

Peter Lind
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Einerseits: schön verdeutlicht, dass das feige Würstchen nur die Spitze de Furunkels ist und die Krankheit viel tiefer im Volkskörper steckt, als der Demokratie gut tut.

Andererseits: "Guttenzwerg" - diesem starken Kandidaten für das "Wort des...

Einerseits: schön verdeutlicht, dass das feige Würstchen nur die Spitze de Furunkels ist und die Krankheit viel tiefer im Volkskörper steckt, als der Demokratie gut tut.

Andererseits: "Guttenzwerg" - diesem starken Kandidaten für das "Wort des Jahres" tut zu häufige Verwendung in einem Artikel auch nicht gut.

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Wera Blanke
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Zugegeben.

Uli Gellermann
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Es gibt Widerstand: Am Samstag kamen rund tausend Leute in Berlin zusammen, um gegen die Gutten-Lüge zu demonstrieren. Die Aktion wies weit über den moralischen Faktor hinaus: Sie zeigte mit einem langen Finger auf generelle Heuchelei, die den...

Es gibt Widerstand: Am Samstag kamen rund tausend Leute in Berlin zusammen, um gegen die Gutten-Lüge zu demonstrieren. Die Aktion wies weit über den moralischen Faktor hinaus: Sie zeigte mit einem langen Finger auf generelle Heuchelei, die den Krieg eine Notwendigkeit nennt und Almosen für die Heilung des Widerspruchs zwischen Arm und Reich hält. Tausend Leute: Ds ist nicht viel angesichts der großen Perma-Lüge. Und doch mehr, als die große Koalition zwischen BILD und MERKEL gedacht hatte.

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Sonja Deringer
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Frau Merkel wiederholt stereotyp, sie habe Th v G. nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter sondern als Minister eingestellt.
Mit der gleichen Berechtigung könnte sie einen Beamten verteidigen, der einen Juwelierladen ausraubt, denn sie habe ja...

Frau Merkel wiederholt stereotyp, sie habe Th v G. nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter sondern als Minister eingestellt.
Mit der gleichen Berechtigung könnte sie einen Beamten verteidigen, der einen Juwelierladen ausraubt, denn sie habe ja keinen Schmuckträger eingestellt.

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Maik Hamburger
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Ich finde es sehr schade,daß man einen so fähigen Mann ,wie Guttenberg gehen lässt.Ich denke, die medien und seine Widersacher haben es forciert, man hat schon den nächsten in Petto.
Sehr bedauerlich und für mich unverstehbar.
Einen solchen...

Ich finde es sehr schade,daß man einen so fähigen Mann ,wie Guttenberg gehen lässt.Ich denke, die medien und seine Widersacher haben es forciert, man hat schon den nächsten in Petto.
Sehr bedauerlich und für mich unverstehbar.
Einen solchen Politiker findet man nicht wieder.

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Christine Cyganek
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Ich fürchte: Solche wie den gibt es noch mehr.

Uli Gellermann
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