Ich gebe zu: Gerhard Schröder hatte Charme. Wer ihn je aus der Nähe beobachten konnte, war, wenn er denn den Wünschen Schröders dienlich sein konnte, einer unwiderstehlichen, vereinnahmenden Liebenswürdigkeit ausgesetzt. Und einmal, in all den Jahren seiner Regierungszeit, wusste der Kanzler der verblichenen Rot-Grünen Regierung sich auch mit seinem Volk fast komplett einig: Als er die Teilnahme der Bundeswehr am Irak-Abenteuer der USA verweigerte. Aber wer sich erinnert, der weiß, dass es der geballten Umfragemacht der Deutschen (zeitweilig waren mehr als 80 Prozent gegen den Irak-Krieg) bedurfte, um den Medienmainstream, den grünen Außen- und den roten Verteidigungsminister und letztlich den Kanzler auf eine vernünftige Position zu verpflichten.
Nun ist der Kanzler mit dem »Großen Zapfenstreich«, dem Blechmusikspektakel der Bundeswehr, in den Ruhestand verabschiedet worden. Das war, für die Strategen der Armee, gut ausgegebenes Geld. Denn unter keinem deutschen Kanzler durfte die Bundeswehr so viel ins Ausland reisen wie unter dem Chef der Rot-Grünen Regierung. Es hat etwas von einem Treppenwitz, dass die erklärt pazifistische grüne Partei und die eher unmilitärische SPD diese Wende von der Verteidigungsarmee zur internationalen Eingreiftruppe verantworteten. In Vorwegnahme einer großen Koalition hat die CDU allerdings jeden Schritt der Regierung zur Weltgeltung durch Auslandseinsätze mit Zustimmung und Beifall bedacht.
Wer das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, kennt, der weiß, dass die Bundeswehr eine reine Verteidigungsarmee sein sollte, eine Truppe, die für Einsätze im Ausland UN-Beschlüsse braucht. Die aber keineswegs ins Ausland marschieren muss, wenn die UN beschließt, sie darf. - Inzwischen ist Deutschland, nach den USA und Großbritannien die Nummer drei auf dem Weltmarkt der Truppenexporteure. Vor China, vor Russland, vor Indien oder wie immer die Staaten heißen mögen, deren Bevölkerungszahlen die der Bundesrepublik um vieles übertreffen.
So richtig ernsthaft hatte der deutsche Truppenexport im März 1999 begonnen, als die Bundeswehr sich am Nato-Bombardement gegen Jugoslawien beteiligte. Nach allem was das Völkerrecht hergibt, war das ein Angriffskrieg. Nach allem was unsere Verfassung dazu sagt, hätten wir dort auf keinen Fall teilnehmen dürfen. Nun haben wir damals, dank der Herren Fischer und Scharping, gelernt, dass die Serben die Bösen und die Kosovo-Albaner die Guten waren. Inzwischen wissen wir, dass eine Reihe von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf beiden Seiten verübt wurden und dass manche Gräuelnachrichten, wie zum Beispiel der »Hufeisenplan«, Gräuelpropaganda waren. Und was wir noch wissen: Die Bundeswehr ist seit sechs Jahren im Kosovo, ein Ausstiegsszenario ist unbekannt.
In Afghanistan sind deutsche Truppen seit vier Jahren. Gerne verwiesen deutsche Politiker, nicht zuletzt Gerhard Schröder, darauf, dass der Bundeswehreinsatz in Afghanistan durch eine UN-Resolution gedeckt sei. Wie gut, dass niemand diese Resolutionen liest. Denn läse sie jemand, könnten er oder sie erfahren, dass die dort reklamierten Anti-Terror-Maßnahmen auf dem »eigenen Hoheitsgebiet« stattzufinden hätten. Noch düsterer wird es, wenn man die Frage nach den deutschen Spezialkräften, den KSK-Verbänden stellt. Während über unsere Truppen in Kabul oder Kundus gerne Bilder vom friedlichen Essenfassen gezeigt werden, weiß man nichts von den Erfolgen der Spezialkräfte, die an der Seite der kriegführenden US-Truppen eingesetzt werden: Wie viele Tote gehen auf ihr Konto? An wie vielen Kolateralschäden waren sie beteiligt?
In acht Ausländern stehen fast 8.000 deutsche Soldaten. Unter anderem in Usbekistan, Georgien und Kenia. Was machen wir da? Haben diese Länder uns angegriffen, stehen sie im Verdacht und anzugreifen? - Der preußische General von Clausewitz glaubte einst: »Die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument, und nicht umgekehrt.« Aber wenn wir schon ohne jeden Sinn und Verstand in Kriege hineingetaumelt sind, wer holt uns dann dort heraus?
Im Entwurf des Bundeshaushalt für 2006 verlangt der Etatposten für die »Überführung und Bestattung verstorbener Soldaten« eine Erhöhung um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Zapfenstreich ist das Signal für das Ende des Tages. Ein Zapfenstreich für die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist nicht abzusehen.