Transition News ist ein Schweizer Medium, das „über den Wandel, der auf allen Ebenen unseres Lebens stattfindet: Geopolitik, Finanzsystem, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Bildung, Ernährung, Technologie, gesellschaftliches Miteinander… nahezu überall erfahren wir grosse Veränderungen, widersprüchliche Konzepte und Ungewissheit“ berichtet.

Transition News wird von einer Genossenschaft herausgegeben und hat dieses Interview am 16. 09. zuerst veröffentlicht.

Transition News: Sie geben seit 2005 das Online-Magazin Rationalgalerie heraus, das sich kritisch mit der deutschen Gesellschaft auseinandersetzt. Insofern war es nur logisch, dass Sie im März 2020 in Berlin auf dem Rosa-Luxemburg-Platz dabei waren. Wie kamen damals diese ersten Spaziergänge mit dem Grundgesetz in der Hand überhaupt zustande? Alle Versammlungen waren doch verboten.

Uli Gellermann: Es begann im März 2020 – die Medien kannten nur ein Thema: den drohenden Tod durch Corona. Und der Staat kannte nur eine Handlung: Wegsperren, Masken aufzwingen und die demokratischen Rechte abschaffen. Damals traf ich mich mit Anselm Lenz am Rand des idyllischen Berliner Lietzensees. Anselm hatte bereits eine Demo gegen das Corona-Regime geplant und er wollte der Polizei ausgerechnet mich als Kontaktperson für die Kundgebung benennen.

So geriet ich in die lustige Lage, die Anweisungen der Polizei – die alle paar Minuten verlangte, dass die Aktion abgebrochen wurde – an die am Rosa-Luxemburg-Platz versammelten Menschen per Megaphon weiterzugeben.

Die Leute, echte Demokraten, wollten ihren Protest nicht beenden – ich wollte auch nicht beenden, die Situation hatte eine Kabarett-Anmutung. Sogar der Polizei fiel es nach einiger Zeit auf: «Wir fühlen uns verarscht, Herr Gellermann», befand einer der Polizei-Offiziere.

So begann der Widerstand mit einer heiteren Szene. Obwohl wir alle wütend und empört waren, und obwohl die Polizei versuchte, die Demonstranten gewaltsam abzudrängen. Noch heute treffe ich bei den unterschiedlichen Aktionen der Demokratiebewegung auf Leute, die mich augenzwinkernd an den Auftakt erinnern.

Sie haben nicht nur als Creative Director in einer Werbeagentur gearbeitet, sondern auch für den Berliner Senat. In welcher Funktion?

In der Berliner Senatsverwaltung war ich zuständig für Öffentlichkeitsarbeit; zum Beispiel für die Messepräsenz des bauenden Berlin. Mein wichtigstes Projekt war die rote Info-Box auf Stelzen am Potsdamer Platz. Dort sass ich mit den Konzernvertreten der Deutschen Bahn, von Sony und Daimler Chrysler in einem Gremium, das Werbung für das neue, im Bau befindliche Berlin machen wollte. Da habe ich viel gelernt. Zum Beispiel, dass auch die hochvermögenden Konzernspitzen nur mit Wasser kochten, dass die Spitzen der Politik ihr Wasser aus der Wirtschaft bezogen und dass die angeblich unterschiedlichen Parteien immer dasselbe wollten: Posten und Pöstchen und nochmal Posten.

Apropos Posten: Unter dem Innensenator Andreas Geisel kam es in Berlin immer wieder zu massiver Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten, haben Sie das selbst erlebt?

2020/21 herrschte in Berlin im Auftrag der Pharma-Industrie, die ihre Spritzstoffe verkaufen wollte, eine rotgrüne Koalition aus SPD, LINKEN  und Grünen, die in grauer Vorzeit mal linke, oppositionelle Parteien waren. Die mussten ihren Hintermännern unbedingt beweisen, dass sie hart durchgreifen konnten:

Senator Geisel liess seine Polizei besonders brutal agieren. Gern wurden auch Frauen und ältere Menschen zu Boden geworfen. Bei den ungesetzlichen Festnahmen kugelten die Beamten häufig den Demonstranten die Arme aus.

Obwohl die Demonstrationen legal waren, behinderte man die Demokraten ständig gewaltsam. Die Medien spielten dazu eine hasserfüllte Begleitmusik: Die «Coronaleugner» würden bald allen den Tod bescheren, konnte man lesen, hören und sehen. In der Stadt herrschte ein Lynch-Klima.

Aber einen Höhepunkt politischer Korruption und Repression lieferte der SPD-Senator Geisel mit dem vermeintlichen «Sturm auf den Reichstag». Schon vor dem 29. August 2020 hatte dieser Mann öffentlich behauptet, die Proteste gegen das Regime seien von «Reichsbürgern» durchsetzt. Dieser Gruppierung – von Agenten des Verfassungsschutzes gelenkt, rechtsradikal und verrückt – hatte Geisel eine «Dauerkundgebung» am Fuss der Reichstags-Treppe genehmigt. Pünktlich, als die grosse Demonstration der Demokraten unterwegs war, forderte eine Frau aus der rechtsradikalen Gruppe zum Sturm auf den Reichstag auf. Vor dessen Eingang standen nur gezählte drei Polizisten; alle anderen, auch die Bundestagspolizei, waren vom Innensenator abgezogen worden: Eine perfekte Inszenierung!

Wie kann nach alldem das Ansehen, das kulturelle und intellektuelle Leben der Stadt Berlin rehabilitiert, beziehungsweise reanimiert werden? Geisel ist inzwischen für Stadtentwicklung zuständig, welche Aussichten hat die deutsche Hauptstadt unter solchen Voraussetzungen?

Berlin hat bis heute noch nicht seinen alten guten Ruf als Kulturhauptstadt Deutschlands zurück: Zu viele Kulturveranstaltungen waren verboten, mussten in tiefer Illegalität stattfinden; zu viele Künstler wurden als «Coronaleugner» diffamiert.

Ich erinnere an das erste Solidaritätskonzert für den inhaftierten Journalisten Julian Assange im Oktober 2021, das wir in einer geheimen Kneipe organisierten. Es war das erste Assange-Soli-Konzert auf deutschem Boden. Die damals verordnete Ausgangssperre hätte jederzeit zur Schliessung und Verhaftung der Teilnehmer führen können. Damals begründeten wir die Tradition dieser Konzerte, die bis heute vom brillanten und empathischen Musiker Jens Fischer Rodrian fortgeführt wird.

Sie sind Jahrgang 1945 und im Düsseldorfer Arbeiterviertel Rath aufgewachsen. 1968 haben Sie in Düsseldorf den sozialistischen Debattierclub «Republikanisches Centrum» mitgegründet. Später wurden Sie Kommunist. Sind Sie das immer noch? Und wie beurteilen Sie die Haltung der Linken während der Corona-Krise?

Im Kommunistischen Manifest – von Marx und Engels formuliert – steht die Hoffnung auf eine andere, bessere Gesellschaft wie in Stein gemeisselt: Dass «die freie Entwicklung eines Jeden die Bedingung für die Entwicklung Aller ist». Die Kommunisten waren die ersten Kämpfer für die Freiheit aller Menschen.

Dieser Satz treibt mich bis heute an. Und es ist genau dieser Satz, den die deutschen Linken schmählich verraten haben, als sie bei einer angeblichen Gesundheitspolitik mitgemacht haben, die wesentlich aus Verbot und Zensur bestand, um die hastig zusammengepanschten Spritzstoffe der Pharma-Industrie in die Arme von Millionen Menschen zu drücken. Ein Milliardengeschäft, dessen Folgeschäden noch gar nicht abzusehen sind.

Es war mehrere Jahre verboten, Kunst und Kultur gemeinsam mit anderen live zu geniessen. Gesellschaftliches Leben, jahrelange Beziehungen und Gemeinschaften wurden zerstört. Viele sind von den Parteien und besonders von der Partei Die Linke schwer enttäuscht, da diese alle Grundrechtsverletzungen mitträgt. Kann eine neue Wagenknecht-Partei da Abhilfe schaffen?

Frau Wagenknecht ist eine kluge Frau. Und gemeinsam mit Frau Schwarzer hat sie sich, als die beiden sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine wandten, auch als tapfer erwiesen. Aber solange die Linke ihre untertänige Haltung in der Corona-Zeit nicht ehrlich aufarbeitet, wird aus ihr nichts Gescheites werden.

Dieses Aufarbeitungsgebot gilt auch für Sahra Wagenknecht, die bis heute den Begriff «Pandemie» benutzt, dessen Kriterien eine willkürliche Schöpfung der WHO sind. Die Kriterien für eine Pandemie wurden 2009 dergestalt geändert, sodass im Jahr 2020 diese verkündet werden konnte.

Haben Sie die Entstehung der Partei die Basis verfolgt? Wäre das nicht eine Alternative statt der AfD oder einer neuen Partei rund um Sahra Wagenknecht?

Parteien müssen sich ausserparlamentarisch bewähren, bevor man ihnen parlamentarisch vertrauen darf. Das Parlament mit seiner finanziell gut gepolsterten Illusion von Macht – denn die Mächtigen sitzen nicht im Parlament, sie lassen sitzen – ist ohne dauerhafte ausserparlamentarische Kontrolle wertlos. Ob die Basis oder eine Wagenknecht-Partei: Wir brauchen ein grosses Bündnis für ein Corona-Tribunal zur Aufarbeitung der Verbrechen. So kann eine echte Alternative beginnen.

Noch einmal zurück zum Frühling 2020. Mit den wöchentlichen verbotenen Versammlungen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz ist auch Querdenken entstanden. Wie haben Sie die Anfänge der Widerstandsbewegung erlebt?

Die Anfänge der Widerstandsbewegung waren in den vielen Gesichtern der Bewegung zu sehen. Die Menschen kamen aus allen Schichten des Volkes. Das war ihre Stärke. Ihre Schwäche war und ist, dass sie diese wunderbare politische Breite nicht aus der puren Spontaneität in eine verbindliche demokratische Organisation hat überführen können.

«Querdenken» hatte von Beginn an eine ungute Fixierung auf einen einzelnen Menschen, nicht auf ein demokratisch gewähltes Gremium, das bei aller Einheit die Breite der Bewegung widerspiegelte und einen streitbaren Dialog organisierte.

Ist daraus eine Freiheitsbewegung geworden?

Mir scheint, dass «Freiheit» zu einem Allerweltswort geworden ist. «Freiheit» von wem und für was – das müsste definiert werden. Wer führt den Dialog der Bewegung zwischen den Aktionen? Wie entsteht aus dem Dialog politisches Handeln? Wer genau ist Feind, wer Freund? Wer kontrolliert die enormen Spendengelder?

Für all diese Fragen müsste die Bewegung im vierten Jahr ihrer Existenz endlich eine Institution schaffen. Wir brauchen keine Präsidenten, aber wir brauchen eine Clearing-Stelle, einen Debattenraum, ein bewegliches Gremium.

Können Sie sich diesen Hang zur Esoterik der Bewegung erklären? Es geht von Ufos, über die nächste Bewusstseinsebene, bis hin zum Rückzug auf den eigenen Acker. Manchmal möchte man meinen, dass zersetzende Ideen absichtlich reingetragen werden. Oder liegt es an den vielen Glücksrittern, die aus der Verzweiflung der Menschen Profit ziehen?

Die Bewegung hat die Macht der Herrschenden bisher nicht erschüttert. Ihre Erfolge sind überschaubar. Auf dem langen Weg für Demokratie gab es viele Durststrecken. Die Hoffnung auf eine radikale Änderung des Systems von Arm und Reich, des Systems von Unten und Oben, hat sich bisher nicht erfüllt. Das kann mutlos machen. Für manche ist die Hoffnung auf ein Wunder, auf Aliens oder die nächste Bewusstseinsebene ein Trost auf dem langen, steinigen Weg.

Wie beurteilen Sie das Verhalten der Intellektuellen in Deutschland? Gibt es aus dieser Richtung Hoffnung?

Es gibt und gab Intellektuelle, die zum Wasserträger des Systems geworden sind. Sie haben die eigene Intelligenz zugunsten eines gemütlichen Lebens ohne Widerspruch verraten. Sie haben vergessen, dass der Zweifel das erste und vornehmste Instrument intellektueller Arbeit ist. Wenn sie dahin zurückfinden, könnten sie zu Hoffnungsträgern werden.

Glauben Sie noch, dass Sie in einem ordentlichen Land leben? Beziehungsweise was müsste passieren, damit Sie Ihre Meinung ändern?

Wenn Sie mit «ordentlich» ein Land meinen, dessen Medien dem Volk dienen und nicht dem Profit, dessen Politiker der Wahrheit verpflichtet sind und nicht den Lobbyisten, dessen Bevölkerung im demokratischen Kampf die Macht erobert, dann sind wir davon noch weit entfernt.

Aber dieser Kampf steht in einer langen deutschen Tradition: Von den Bauernkriegen über die Revolution 1848 bis zu den Kämpfen der Arbeiterbewegung. Wir brauchen Geduld und den langen Atem. Und wir müssen begreifen, dass man auch in verlorenen Kämpfen lernt. Dass man so lange wieder aufstehen muss, bis der Widerstand zum Aufstand wird und zum Sieg der Vielen führt. So geht ordentlich.

Die Fragen stellte Sophia-Maria Antonulas.