Auf der ersten Seite des "Handelsblatt": Eine riesige rote Fahne mit gelben Sternen. Die Flagge der Volksrepublik China. Unter dem Emblem eines Landes, das einst für sich in Anspruch nahm, die kommunistische Weisheit mit Löffeln zu fressen, ein langer, larmoyanter Artikel darüber, wie der chinesische Staatskapitalismus mit der Krise fertig wird. `Ich habe fertig´, sagt hier das traditionsreiche Zentralorgan des deutschen Kapitalismus. Denn nichts ist mehr sicher, weiß man beim Holtzbrinck-Konzern, der Verlagsgruppe mit der geräuschlosen Medienmacht. Wie Bertelsmann aufgestiegen aus dem Bücher-Club-Mief der Fünfziger Jahre handelt der Konzern heute mit Meinungen.
Europäische Staaten stehen vor der Pleite, längst sind die USA nicht gerettet, Geld und immer mehr Geld, dem immer weniger reale Produktion gegenübersteht, wird in den Kreislauf gepumpt. Und tatsächlich läuft der Kapitalismus im Kreis: Von einer Krise zur nächsten. "Mit seiner pragmatischen Planwirtschaft, " schreibt das "Handelsblatt, "wird das Land (China) zum Vorbild für eine neue Managergeneration." Dann werden Manager wie Winterkorn von VW oder Hambrecht von BASF zitiert und ausgerechnet die Planwirtschaft wird gefeiert. Dass zuweilen ein Direktor eines chinesischen Unternehmens gehenkt wird, wenn ihm wirtschaftliche Verfehlungen nachgewiesen werden können, schreibt das "Handelsblatt" nicht.
"Die deutsche Staatskrise", sagt Werner Sinn, Chef des Ifo-Institutes und bis jüngst Prediger des unbeschränkten Marktes, "ist vorprogrammiert." Und weiter erklärt der Ifo-Präsident in der "Süddeutschen", man brauche "einen Pakt, bei dem die Inhaber von Staatspapieren an den Lasten von Staatsinsolvenzen mitbeteiligt werden." Das liest man mit Verblüffung und kann die Angst ermessen, die in den Reihen der Marktradikalen umgeht, wenn das "Handelsblatt" über China textet: "Nicht die unsichtbare Hand, von der Ökonom Adam Smith einst sprach, steuert diese Wirtschaftsmacht, sondern der starke Arm des Staates." Selbst der Markt-Ideologe Westerwelle hat sich, angesichts der neuen Schuldengipfel zur Rettung der europäischen Wirtschaft von der Steuersenkung für die Besserverdienenden vorläufig verabschiedet und verstrickt den Staat zunehmend mehr in die Schulden der Spekulanten.
Denn was unter der Flagge der Staatenrettung inszeniert wird, ist die bewährte Sozialisierung der Verluste aus Währungsspekulationen: Würde man die Milliarden-Papiere, mit denen die Londoner City spielen durfte wie die Kinder mit Eimerchen und Schüppchen, platzen lassen, dann platzte auch deren Gewinnerwartung. Statt dessen werden die gesetzlichen Regeln für die Europäische Zentralbank außer Kraft gesetzt, wird in einer Nacht- und Nebel-Aktion über die Köpfe des Bundestages hinweg 146 Milliarden Euro zur Stabilisierung der europäischen Währung bereit gestellt und nicht ein einziges Gesetz zur Vorsorge gegen künftige Spekulationen ins Auge gefasst. Das, was dem ungeübten Auge als eine Aufwertung der Rolle des Staates erscheint, ist in Wahrheit doch nur dessen Ohnmacht gegenüber der wirtschaftlichen Anarchie des Kapitalismus.
Privat ist besser als Staat: Das galt von Schröder bis Merkel als Maxime der "Modernisierung" des Landes. Staatliche Betriebe wurden verkauft, die Möglichkeiten staatlicher Steuerungen verringert, "Liberalisierung" war das Wort, mit dem alle Bremsen eines entfesselten Finanzmarktes abgeschafft wurden. Jetzt schreibt das "Handelsblatt" ebenso lobend wie staunend über China: "Zehn Millionen Menschen sind in der zentralen und lokalen Planbürokratie beschäftigt." Und: "Die Regierung legt einfach eine Obergrenze für die Kreditvergabe der Banken fest. Für dieses Jahr sind es 7,5 Billionen Yuan (825 Mrd. Euro). Die Bankenaufsicht gibt den Banken quartalsweise vor, wie viel Geld sie verleihen dürfen." Während Ackermann im deutschen, staatlichen Fernsehen seine Zweifel an der Griechenland-Hilfe verkünden darf und so die Spekulationen weiter anheizt und keine Bankenaufsicht weit und breit zu sehen ist, die ihn anschließend verhaften lässt.
Langsam ist die Krise auch im Luxus-Segmant angekommen: Die überteuerten Kirmes-Klunker von "Bulgari" verzeichnen vierzehn Prozent Umsatzrückgang, bei den Edel-Tuchmachern von Zegna ist von acht Pozent weniger die Rede, und selbst die mittelpreisige italienische Textilmarke "Diesel" muss sich mit vier Prozent weniger zufrieden geben. Das ist die Stunde des chinesischen Marktes: "Das rasant wachsende China wird im Laufe des Jahres beim Umsatz (von Luxusgütern) zu Japan aufschließen", prognostiziert der Chef von Bulgari und atmet auf. Von der Mehrheit der unter ihren Schulden ächzenden Europäer ist kein Aufatmen zu hören. Ihre Stoßseufzer gelten einer Wirtschaftsunion, die keine politischen, planenden Instrumente zu kennen scheint. Wie lange die Europäer sich diesen Luxus noch leisten wollen, ist ungewiss.