Frau Merkels Anzeigenkampagne in Form eines offenen Briefes "Gemeinsam sind wir stärker" hat drei Millionen Euro gekostet. Ihre 10-minütige Fernsehansprache, zur besten Sendezeit, hätte Millionen in die Kassen von ARD und ZDF spülen können, wenn man sie als Werbeminuten verkauft hätte. Und um nichts als Eigenwerbung handelt es sich natürlich bei den beiden Lehrstücken unverantwortlichen Polit-Geredes.

Während der Bundespräsident sich durch seltene Schlichtheit auszeichnete, kam die Kanzlerin uns schlau: Als listige Märchentante trat sie auf, als jemand, der aus der Banalität "Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt" eine großartige Weisheit drechselte. Gedrechselt auch ihre Wendungen vor der Kamera: mal ein linke Gesichtshälfte, mal ein rechtes Profil, so viel Abwechslung war nie.

Im Zentrum der Merkel-Botschaften standen zwei Denkfiguren, deren zynischer Inhalt demonstriert werden muss. Zum einen fordert die Kanzlerin die Bürger auf, sich und andere zu überraschen. So, als ob die Bundesrepublik eine Wundertüte wäre, die wir nur aufreißen müssten, um die wirtschaftliche Stagnation und die soziale Misere zu beenden. Der Trick ist billiger als alles, was man auf schlechten Jahrmarktsbühnen erleben kann: Nicht die Regierung, nicht die Kanzlerin soll etwas vorschlagen und unternehmen. Das Volk, dass sie - mehr oder minder - gewählt und in Verantwortung gestellt hat - soll den Job machen. Aber Frau Merkel, für eine Revolution sind die Deutschen wirklich nicht reif. Außerdem waren Sie doch scharf auf den Job, dann sollten Sie freundlicherweise auch mal mit der Arbeit beginnen.

"Wie wäre es, wenn wir uns heute Abend das Ziel setzen, im kommenden Jahr überall noch ein wenig mehr als bisher zu vollbringen?" fragt uns die Kanzlerin in der schlecht inszenierten ARD-Werbesendung. Nur so geht es vorwärts: Die Hartz IV-Empfänger verbringen noch ein wenig mehr Zeit als bisher auf dem Arbeitsamt, Herr Ackermann verdient noch ein wenig mehr als bisher, Herr Schröder übernimmt noch mehr Aufsichtsratsposten bei mafiösen Unternehmen, die Feuerwehr löscht noch mehr Brände und die Alkoholiker..., aber das ist ein anderes Thema.

Im Osten Deutschlands gab es schon einmal eine Regierung, die in Ermangelung ökonomischen Durchblicks ihre Bürger ständig aufforderte, von diesem oder jenem noch mehr zu tun als bisher. Es klappte so wenig, dass irgendwann die komplette DDR zusammenklappte. Nun hat die gelernte DDR-Bürgerin Merkel die Kommandozentrale deutscher Politik erklommen und bedient sich, kaum getarnt, aus dem Propaganda-Arsenal des Hauses Honecker.

Wenn wir, die Bürger es "vollbringen" sollen, wenn der Einzelne die letzte Rettung ist, dann hat sich das Gemeinwesen verabschiedet. Der Staat, schon in der Schröderzeit in die Überflüssigkeit geführt, soll sich endgültig von seiner Verantwortung verabschieden, der Ausverkauf sozialer Regelungen zugunsten der Regellosigkeit des Marktes wird als Heilmittel angepriesen. Und die völlige Ahnungs- und Konzeptionslosigkeit der großen Koalition wird fröhlich als Neubeginn verkauft.

Diese schreckliche Logik mündet immer in der Fetischisierung des Wachstums: "Arbeit braucht Wachstum" erzählt deshalb die Dame Merkel. Es gibt Länder, deren Wachstumsraten führen zu nichts anderem als zu einer größeren Kluft zwischen Arm und Reich. Die USA sind mit diesem Rezept auf dem Weg zu einem Dritte-Welt-Land, wie jüngst in New Orleans zu beobachten. Zu gerne wird unterschlagen, dass Europäer, noch jedenfalls, länger und gesünder leben als Amerikaner. Und jenes Land in Europa, das sich am deutlichsten an den USA orientiert, Großbritannien, verzeichnet einen brutalen Verfall seines Bildungs- und Gesundheitswesen.

Auch der zweite Teil des Satzes von der Arbeit die Wachstum braucht, ist pure Agitation: "Wachstum braucht Freiheit", sagt Frau Frau Merkel. Sollen die Deutschen die Redefreiheit einklagen, die Reisfreiheit fordern oder freie Wahlen? Selbst die Kanzlerin weiß, dass um diese Freiheiten nicht gekämpft werden muss. Es geht ihr um die Freiheit der Unternehmen von Lohnnebenkosten, von Kündigungsschutz und von Steuern mit dem vorgeblichen Ziel neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber kein Unternehmer ist so blöde auch nur einen einzigen Menschen einzustellen, wenn seine Gewinne steigen, warum sollte er. Unternehmen sind keine moralischen Anstalten, sie sind Organisationen zur Produktion oder zum Handel von was auch immer. Wenn ihr Geschäftsvolumen steigt, stellen sie vielleicht neue Leute ein. Ganz sicher nicht, wenn man ihnen nichts anderes bietet als bessere Konditionen zur Kapitalverwertung.

Wer mit Frau Merkels "Freiheit" immer mehr Menschen von Arbeit befreit, wer immer mehr Menschen außerhalb staatlicher Zusammenhänge stellt, ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verweigert, der sabotiert die Grundlagen des Staates. Zwar muss in Europa niemand Angst vor einer sozialen Revolution haben. Aber die steigenden Kriminalitätsraten in England, die Revolten in französischen Vorstädten und die sinkende Wahlbeteiligung in immer mehr europäischen Ländern weist den Weg: Die Slums der USA sind näher als man denkt, die Verhältnisse Lateinamerikas sind nur um ein paar Millionen Arbeitslose mehr entfernt.

Auf dem Foto das die Kanzlerin ihrem offenen Brief beigefügt hat, steht sie auf einem Laufband. Nicht sie bewegt sich, sondern sie wird bewegt. Laufbänder laufen im Trockenen, in Flughäfen, Shopping Malls und Kaufhäusern, von schlechtem Wetter und schlechter Realität gut abgeschottet. Kindern mag erlaubt sein die eigene Hand vor die Augen zu halten und zu glauben, man sähe sie nicht. Frau Merkel ist zu sehen, sogar ihre Rede ist durchsichtig.

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