Wieder jährt sich das viel beschworene Datum der Deutschen Einheit. Im hehren Wort Einheit steckt die Silbe "ein", wie einzig, einsam oder auch einer, einer, einer geht noch rein. Auch die zweite Silbe, "heit" verspricht starke Gefühle, solche wie in Heiterkeit, aber auch wie in Krankheit oder Gesundheit. Man mag die Silbe in Dummheit und Schönheit finden, doch wenn das Suffix "heit" zu "keit" mutiert, gelangen wir endlich zu der schon in der Nationalhymne angedrohten "Einigkeit", jenem besinnungslosen Zustand, der von der Parlaments-Mehrheit gern beschworen wird, wenn mal wieder was gerettet werden soll: Das Land vor dem Terror, die Banken vor dem Bankrott, die Merkel vor dem Rücktritt. Deshalb wollen wir, anlässlich der 21. Wiederkehr der neuen Deutschen Einheit, diese herrliche Einigkeit genauer untersuchen.

Es gibt etwa 300.000 Obdachlose in Deutschland, eindeutig eine Minderheit, deren Minderheiten-Status bisher rechtlich kaum abgesichert ist: Sind ihre Gewohnheiten und Gebräuche erforscht? Nimmt die Mehrheit Rücksicht auf ihre Besonderheiten? Gibt es auf der Bundes- oder Länderebene eigene Obdachlosen-Beauftragte? Nein. Dieses Schicksal teilen sie mit den Einkommen-Millionären: Diese kleine und scheue Gruppe hat in Deutschland kaum Zehntausend Vertreter und muss ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 2,7 Millionen Euro versteuern, während die Obdachlosen absolut keine Steuer zahlen. Und doch sind die Gruppen sich näher als man denkt: Ob Obdachloser oder Einkommens-Millionär, der Anteil der Männer macht in beiden Gruppen rund 80 Prozent aus, beide Gruppen sind Minderheiten und beide sind einer gewissen Mediendiskriminierung ausgesetzt: Man erfährt wenig von ihnen. Auf der Grundlage dieser Einheitsmerkmale sollten sich diese sozialen Randgruppen doch noch näher kommen als sie es jetzt schon sind. Vielleicht während gemeinsamer Seminare bei denen die Obdachlosen flugs lernen, wie man an der Börse zu Geld kommt und die Einkommens-Millionäre in die Kunst des Drahtbügel-Biegens eingewiesen werden, um schneller und besser Pfandflaschen aus den Mülleimern zu fischen.

Auch wenn man von den extremen Rändern der Gesellschaft sich mehr in die Mitte begibt überwiegen die Gemeinsamkeiten hinter den scheinbaren Unterschieden: Zwar gibt es viel mehr Arme (mehr als zehn Millionen) als Reiche (Nur knapp eine Million Vermögens-Millionäre) in Deutschland, aber wer genau hin sieht wird feststellen, dass die deutsche Einheit auch hier prima zu erkennen ist: Beide Gruppen wachsen rasant. Die Armen konnten um ein glattes Drittel im Abstand der letzten zehn Jahre zulegen, die Reichen, im Vergleich zum Vorjahr, immerhin um satte elf Prozent. Selbst bei der Emanzipationsfrage geben beide Gruppen die selbe Antwort: Der Frauenanteil stieg in den letzten Jahren beträchtlich. Wie bei den Vermögens-Millionären, von denen mehr als ein Drittel seinen Besitz geerbt hat, darf man auch bei den Armen feststellen, dass jeder Dritte schon arme Eltern hatte. Selbst an der Spitze der Reichtums-Pyramide sind klare Gemeinsamkeiten zu bemerken: Gehören doch die Aldi-Brüder, Karl und Theo Albrecht, zu den zehn reichsten Deutschen, die zugleich die meiste Armen als Kunden haben. Und auch bei den Mülltonnen ihrer Läden ist der Sport des "Mülltauchens" zu Hause, jene Disziplin, bei der Lebensmittel-Packungen mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum aus der Tonne gefischt werden.

Nun fällt an einem Datum, an dem die Deutsche Einheit besungen wird, auf, dass es noch mehr an Einheitlichkeit geben könnte als ohnehin schon vorhanden ist. Eines der Problem ist, dass sich Arme und Reiche zu selten treffen, um gemeinsame Erfahrungen und Kenntnisse auszutauschen. Das liegt leider primär an den Armen. Sie sind einfach zu selten dort, wo die Reichen sich aufhalten. Zwar kann man von den Armen nicht unbedingt verlangen, dass sie zum Beispiel aktiv am Pferdepolo teilnehmen. Immerhin kostet so eine Liebhaberei - vier Pferde, Trainer, Stallung und Ausrüstung - annähernd 100.000 Euro im Jahr - aber in den Pausen zwischen den Spielen muss der von Hufen zerfurchte Rasen wieder glatt getreten werden. Bei dieser Gelegenheit kann sich der Arme nützlich machen und so manchen Tip aufschnappen: Wie man zum Beispiel Abfindungen in seinen Arbeitsvertrag reinschreibt, dem Beispiel jener Manager folgend, die ihre Betriebe in den Sand gesetzt haben aber mit Millionen nach Hause gehen. Das würde dem Ein-Euro-Jobber heftig helfen. Vielleicht kann der Hartz-Vierer dort auch einen Nokia-Manager treffen, der ihm erklärt, wie er an nationale Subventionsmillionen kommt und die dann Supra-National verplempert.

Fraglos ist die Deutsche Einheit - das bestätigen alle Feiertags-Reden und -Artikel, auf einem guten Weg. Doch bedarf manches auf der Autobahn zum neuen, immer einigeren Deutschland einer gewissen Modernisierung. Als Beispiel dafür kann die National-Hymne gelten. Ist in der doch immer noch von "Recht und Freiheit" die Rede. Freiheit schön und gut, aber sie müsste unbedingt genauer definiert werden. Als Marktfreiheit zum Beispiel. Und das Wort "Recht", hinter dem man ja auch die Vokabel "Gerechtigkeit" befürchten darf, hat in einer wirklichen Einheits-Hymne nichts zu suchen. Würde doch ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, über höhere Steuern zum Beispiel, die Reichen außer Landes treiben und so die Nation unerträglich spalten. Deshalb braucht mehr Einheit zuallererst eine neue Hymne. Hier der vorliegende Entwurf der Bundes-Einheits-Kommission:

Einigkeit im Markt der Freiheit
Für das ganze deutsche Land
Zum Profit wir alle streben
Bruderherz wasch mir die Hand
Wie auch ich Dir Hände wasche
Bleibt was hängen ist es gut
Falschen Glanz und echte Blüten
wünscht die Börse sich fürs deutsche Blut!
Falschen Glanz und echte Blüten
wünscht die Börse sich fürs deutsche Blut!

Mit diesem neuen Lied der Deutschen wäre eine Anfang gemacht. Allerdings sollen sich hochrangige Mitglieder der deutschen Banken-Lobby am letzten Donnerstag - als die Regierung geneinsam mit SPD und GRÜNEN das Milliarden-Banken-Rettungspaket ohne Auflagen durchs Parlament peitschte - freudetrunken in den Armen gelegen und "So ein Tag, so wunderschön wie heute" gegrölt haben. Was dem Gedanken der Deutschen Einheit insofern wieder näher käme, als Melodie und Text in allen Volksschichten bekannt und leicht zu singen sind. Deshalb sollte sich auch in den nächsten Jahren die Deutsche Einigkeit nach rechts zur nationalen Freiheit orientieren: Denn vaterlandslos sind jene, die aus linken Motiven gegen den Rettungsschirm gestimmt und so die deutsche Spaltung in Arm und Reich beschworen haben, eine Spaltung, die es natürlich nie und nimmer geben darf.