Über Wochen gaben die deutschen Medien den Intrigantenstadel aus Bayern: Tritt er ab oder nicht, wer wird, hier oder dort, sein Nachfolger. Der größte Äh-Äh-Sprecher Deutschlands, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Stoiber, füllte die Spalten und die Sendeminuten. Was war geschehen? Deutete sich ein Politikwechsel an, drohte eine Transformation aus dem klerikal-folkloristischen in die Neuzeit, eine Wandlung vom neoliberalen Unsinn zum sozialen Sachverstand? Weit gefehlt. Der rechte Stoiber sollte gegen diesen oder jenen anderen Rechten ausgewechselt werden, jünger sollten sie sein die Neuen, und die Genannten waren dann auch erheblich jünger: Beckstein beachtliche zwei Jahre, Huber sogar fünf. Das intellektuelle Niveau deutscher Medien konnte sich also glatt an durchschnittlich zweiundeinhalb Jahren mehr oder weniger aufgeilen. Die hoch bezahlten Kaffeesatzleser in den Redaktionen inszenierten mit den paar Jahren ein Drama, das seiner wirklichen Substanz nach in jedem Altersheim durchgefallen wäre und sicher auch in den meisten Kindergärten. Doch nächste Woche wird es ernst, es geht ums Geld.

In der nächsten Woche wird der Wirtschaftsminister (ich bin ziemlich sicher, Sie wissen seinen Namen nicht) den Jahreswirtschaftsbericht vorlegen. Die Haupttendenz des Berichtes verspricht in gewisser Hinsicht eine ähnliche Langeweile wie die Stoiberiade: Das Mantra der Lohnzurückhaltung wird, wie in den letzten hundert Jahren, an der Spitze des 163 Seiten starken Berichts stehen, und der Wirtschaftsminister (na, ist Ihnen der Name jetzt eingefallen?) wird treuherzigen Augenaufschlags versichern, wenn fast alle sich zurückhalten, wird es uns allen besser gehen. Und dann wird es doch ein wenig spannender, denn die Gewinnprognosen für die Unternehmen, schreibt der Bericht, steigen selbstverständlich und mit der Schere zwischen Arm und Reich könnten jetzt auch die dicken Bretter geschnitten werden, vor denen die Regierung beim Bohren immer wieder zurückschreckt. Der "Appell an die Tarifparteien zur Zurückhaltung" , bedarf, angesichts der Faulheit der landesüblichen Wirtschaftsredaktionen, die diesen Appell unkorrigiert an ihr Publikum weitergeben werden, der Übersetzung: "Sehr geehrte Unternehmen, bitte stopfen Sie sich weiter die Taschen voll. - Prekariat: Im Namen des Vaterlandes, des Marktes und des heiligen Profites, auch diesmal kein Nachschlag!"

Der Markt, dass bekannte Unwesen, soll es richten, deshalb glaubt der Jahreswirtschaftsbericht auch an ein Wachstum von 1,7 Prozent im nächsten Jahr. Dass es dafür Binnenkaufkraft braucht, ist dem Wirtschaftsminister (?) egal. Auch dass der Konsum-Klima-Index, immer ein wichtiger Indikator für die Marktbewegungen, um rund vier Prozent gesunken ist und damit den stärksten Rückgang seit 1980 verzeichnet, rutscht dem Herrn den Buckel runter. Wichtig ist ihm: Die Lohnstückkosten werden erneut um 0,25 Prozent sinken, der Lohnanteil am einzelnen Produkt sackt weiter runter, die Arbeitsproduktivität steigt, aber davon sollen die Beschäftigten nur ja nichts abbekommen. Es wird rund um den Bericht mal wieder um den Standort Deutschland gehen, ein Ort dessen Vorfahrtsregeln im Arbeitgeberverband aufgestellt werden und dessen soziale Einbahnstraße vom Arbeitsminister mit Halteverboten gepflastert wird (den kennen Sie, das ist der originelle Wirtschaftstheoretiker, der uns alle zwei Jahre länger arbeiten lassen will, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen). Der arme deutsche Standort: Seine Steuerquote ist die niedrigste von allen OECD-Ländern (in der OECD sind die 30 reichsten Staaten der Erde vertreten). Falls Sie sich jetzt wie dieser Wirtschaftsminister ganz sicher auch, Sorgen um unsere Unternehmen und deren steuerliche Belastung machen sollten: Der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuern am gesamten Steueraufkommen ist seit Ende der 90er Jahre auf etwa 11 Prozent gesunken. Das lernt man zwar nicht in der Schule, aber sie können es unseren verschlissenen Schulgebäuden gut ansehen.

Jetzt werden Sie sagen, dass so ein Wirtschaftsbericht einen geringen Unterhaltungswert besitzt. Das sieht man in vielen Redaktionen auch so. Das liegt aber nur daran, dass der Jahreswirtschaftsbericht als wissenschaftliche Analyse verkauft wird. Dabei ist er nur eine ziemlich kurze Stange, mit der vorsichtig der Nebel umgerührt wird, unter dem Eigentums- und Vermögensverhältnisse den Schlaf der Ungerechtigkeit schlafen dürfen. Wenn mal einer auf die Idee käme Zeitschriften wie die "Gala", in der die Reichen und die angeblich Schönen die Seiten füllen, mit den Wirtschaftsnachrichten zu verbinden, dann könnte auch der von Minister Glos (!) nächste Woche verkündete Bericht eine erhebliche Spannung entfalten. Denn dort kann man sehen und lesen, wie das Geld für Schulen, für Straßen, für neue Arbeitsplätze in Lifestyle umgewechselt wird: Hier eine schäbige Maybach-Limosine (gebraucht schon für eine halbe Million Euro zu haben) auf den Straßen von Monaco, dort eine Zweityacht im alten Hafen von Cannes (da darf man unter ein paar zig-Millionen, die man für sein Bötchen ausgegeben hat, gar nicht ankern). Aber eine solche Verbindung empfände der Herr Wirtschaftsredakteur als Zumutung und ehe er das Wort "Sozialneid" würde aussprechen können, wäre er auch schon wieder eingeschlafen, wahrscheinlich wegen Überforderung.

Deshalb werden wir weiter seicht unterhalten werden: Mit der Stoiber-Show oder den Merkeliaden auf Reisen, bestenfalls mit dem Ratespiel "War´s der Steinmeier oder doch nur seine Spitzenbeamten?". Vor den Zusammenhängen aber lassen die üblichen Medien lieber den Vorhang fallen. Applaus!