Am Sonntagmorgen, auf dem Weg zum Wahllokal, deutete sich das abendliche Ergebnis bereits an: Wilmersdorfer Witwen und Zehlendorfer Zausel dominierten die Straßen in Berlin. Bei nicht wenigen umspielte so ein gelbes Lächeln die Lippen. Das hatten sie den befragenden Instituten tunlichst verschwiegen, dass sie in so großen Mengen der FDP ihre Stimmen leihen würden. Überraschung!

Auch wenn sich die SPD und CDU noch zieren, eine große Koalition ist wahrscheinlich und nicht so schwierig wie die Parteisprecher tun. Der Medienmainstream hat das Stichwort schon gegeben: Eine Mehrheit der Deutschen habe für "Reformen" gestimmt, also für den Griff in die Taschen der Schlechterverdienenden, also gegen die eigenen Interessen.

Man muss die Deutschen in Schutz nehmen: Für so dämlich, wie die Mehrheit der Medien sie hält, sind sie nicht. Tatsächlich haben die Wähler, im Glauben an den scheinbaren Linksschwenk von Rot-Grün, eine Linke Mehrheit gewählt: SPD, Grüne und Linkspartei bilden diese Mehrheit. Aber Glaube und Wirklichkeit sind natürlich nicht deckungsgleich. Und deshalb wird die gefühlte linke Mehrheit eine echte Mitte-Regierung ergeben.

Ganz erstaunlich ist der feste Glaube von Gerhard Schröder und Franz Müntefering an die Fortführung der Kanzlerschaft des Gerhard Schröder. Dahinter verbirgt sich die wilde Lust der SPD am Weiterregieren und die voraussgesetzte Gier der FDP an Posten, also die Schaltung einer bunten Ampel. Und schon wäre die Illusion eines Linksschwenks von Rot-Grün dort gelandet, wo sie gestartet ist: Im sozialen Niemandsland. Natürlich soll man nie Nie sagen, aber eine Westerwelle rückwärts scheint eher unwahrscheinlich.

Immerhin haben gute acht Prozent der Deutschen ihrem Wunsch nach Opposition zum Kartell der Mitte mit der Wahl der Linskpartei Ausdruck verliehen. Das Projekt zur Rettung der parlamentarischen Demokratie, deren Funktionieren von einer echten Opposition abhängt, ist auf einem guten Weg. Der nächste Wahlsonntag kommt bestimmt.