An seinen Anzeigen sollst du ihn erkennen, den Zweck der "Edition 46" , des jüngsten Magazins der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), gewidmet dem Gelegenheits-Künstler Francesco Vezzoli, begleitet vom Verlegenheits-Philosophen Bernard-Henri Lévy an der Wort-Kaskade. Die Firma Tod´s, das ist die mit den lächerlichen Gumminoppen unter den Schuhsohlen, nichts unter fünfhundert Euro, eine androgyner Jüngling von BOSS, die textilen Katastrophenhersteller von Dolce & Gabbana mit den größten Firmen-Initialen der Erde, Hermes mit den Billig-Schälchen für 340 Euro und, fast schon vulgär preiswert, die Anzeige für eine Armani Eau de Toilette, sie alle füllen das Magazin mit ganzseitigen Anpreisungen. Und zwischendurch gibt es garantiert echte Original-Kunst von Vezzoli, der das Heft gestalten durfte. Der Mailänder, der mit seinen Stickbildern, die irgendwie rührend an Omas liebsten Zeitvertreib erinnern, der "SZ" zufolge den internationalen Kunstmarkt eroberte. Und das ist das Wort: Markt, nicht Kunst, Anzeigen-Akquisition, nicht Information, Glamour statt Ausstrahlung.

Dieser Tage beim Auktionshaus Christie´s: "Mit insgesamt 693 Millionen Dollar aus drei Contemporary-Abendauktionen steht der Kunstmarkt immer noch selbstbewusst und stark da", weiß das "Handelsblatt" zu erzählen. Ein Warhol für 9,2 Milionen Dollar, ein Rekordpreis für Gerhard Richters Düsenjäger und selbst die "Nurse" von Richard Prince bringt noch 6 Millionen Dollar. Wenn das nicht stark ist. Der Weltmarkt der Kunstauktionen meldete in 2005 eine Steigerung von zehn Prozent auf 3,29 Milliarden Euro, wer will da noch mit Rinderhälften handeln oder mit Waffen, geschweige denn mit Heroin. Denn wer mit Kunst handelt, das wußte auch der Flick der dritten Generation, der verdient nicht nur gut, der frisiert auch sein Image auf das Schönste. Deshalb ließ sich der Enkel des Nazi-Flick vom Schweizer Galeristen Iwan Wirth mal eben eine Kollektion zeitgenössischer Kunst für einen dreistelligen Millionenbetrag zusammenkaufen. Nicht, dass Flick was von Kunst verstünde, nicht, dass er eine Beziehung zum schnell geramschten Kunst-Sammelsurium hätte aufbauen können. Flick hat, da ist er ganz der durch Arisierung aufgestiegene Großpapa, eine gute Nase: Mit Mengenrabatt einkaufen, im "Hamburger Bahnhof" auf Kosten des Landes Berlins ausstellen und damit den Wert steigern, sich vom damaligen Kanzler Schröder dafür loben lassen und die Gewinne aus der Wertsteigerung auf der Insel Guernsey versteuern, also in Wahrheit eben nicht. Von solch genialem Marketing ist die "SZ" noch weit entfernt. Aber jeder hat mal klein angefangen.

"Ist es obszön, ein Geschäft in seine Ausstellung zu stellen?", fragt Vezzoli sich und uns, wenn er in der "SZ" kokett einen Kollegen kritisiert, der einen Louis-Vuitton-Store in eine Ausstellung integrierte. Mit Geschäft kann seine, von der "SZ" präsentierte Performance natürlich nichts zu tun haben. Fünfhundert sicher wahllos zusammengewürfelte Gäste, unter ihnen Uma Thurman, Salman Rushdie und Miuccia Prada, durften im New Yorker Guggenheim Museum die Neufassung eines Prirandello-Stücks erleben. Die Inszenierung, dargeboten von Cate Blanchet, David Strathairn und anderen Unbekannten, garniert mit einem Gastaufritt der sorgfältig restaurierten Anita Ekberg, kommentierte der SZ-Redakteur Dominik Wichmann mit der Unterstellung, Vezzoli wolle sich mit "dem Hype, der unerträglichen Gier nach Ruhm, Prominenz und Indiskretion" auseinandersetzen. Aber wie, wenn er doch die Verkörperung von Hype, Gier und Indiskretion ist?

Damit wir das alles begreifen können, hat das Blatt einen wirklichen! bekannten! garantiert echten! Patent-Philosophen angeheuert, den Franzosen Bernard-Henri Lévy, der sich in seinem Artikel selbst BHL nennt, wahrscheinlich weil das so bedeutend nach JFK klingt. Levy, der jüngst der französischen Linken seine Hilfe anbot, dort aber nicht so recht willkommen war und in der Debatte auch schon mal "prätentiöses Arschtörtchen" genannt wurde, ist sich sicher, dass Vezzoli "dekonstruiert". Und zwar dekonstruiert er "die verrückt gewordene Demokratie, den Starkult, er zeigt die Triebfedern". Und dass alles geht am besten, wenn man jede Menge Stars auf die Bühne stellt und andere Stars einlädt, um dann, pfui, auf sie zu dekonstruieren. Man fertigt einen Hype, um ihn auseinander zu nehmen, man lädt Schick und Mick ins Guggenheim, um die Gier zu demontieren und die Indiskretion zu zertrümmern. Und die "SZ" trümmert mit, indem sie die komplette Zirkus-Nummer in ihrem Magazin abbildet. Das wird der Indiskretion einen schweren Schlag versetzen. Immerhin ist das Blatt fair genug zu erwähnen, dass Pirandello, der ursprüngliche Autor der Vezzoli-Performance, Mitglied der faschistischen Partei in Italien war und sich auf diesem braunen Weg die Leitung des Teatro d´Arte in Rom aneignen konnte. Aber vielleicht ist das ja gar nicht fair gemeint, vielleicht ist es nur eine völlig unbekümmerte Dekonstruktion.

Der bessere Bürger geht auf eine Vernissage, der nicht so gute nicht mal auf eine Ausstellungseröffnung. Der Bessere geht dahin und versteht selten etwas: Mutti, fragt die Kleine, warum sind die Leute denn alle verkehrt herum gemalt? Laut kann die Mutti jetzt nicht sagen: Weil Georg Baselitz ein manierierter Schnellmaler ist und das Verkehrtrumhängen ein Marketing-Trick. Dann wäre sie draussen, die Mutti, für immer expediert aus dem Kreis der guten Prosecco-Gesellschaft. Nie wieder vom Galeristen begrüßt, verschwände sie im gesellschaftlichen Nichts. Deshalb flüstert auch der eine nur dem anderen zu: Warum erinnern mich die Bilder von Jörg Immendorf an die schlechten Kinomalereien der Fünfziger Jahre? Flüstert der andere zurück: Weil Du ein gutes Gedächtnis hast. Es hat sich eine geheime Gesellschaft der kunstkennerischen Fassadeure herausgebildet, deren Nahrung im Kompromiss besteht: Wenn Du mir erzählst, dass Du den Penk verstehst, dann glaube ich Dir das nur, wenn Du mir glaubst, dass ich den Beuys verstehe.

Bernard-Henry-Levy, pardon: BHL natürlich, sympathisierte zu Zeiten mit den Neokonservativen in den USA. Was er an denen nicht gut fand, das war deren "Distanzierung von Auslandsinterventionen". Damit wir nicht Vernissage spielen hier die Übersetzung: Auslandsinterventionen sind Kriege der USA zum Zwecke des Rohstoffe-Raubs, davon will sich BHL nicht distanzieren. Und weil er ein patentierter Philosoph ist, kennt er sich denn auch mit dem Terrorismus aus, der sei keineswegs eine Konsequenz von sozialen Bedingungen, denn man "stellt fest, dass die Terroristen keineswegs verarmt waren". So war es auch mit den Anfängen des Sozialismus: Marx kam aus dem Bürgertum, Engels war Fabrikantensohn, sogar Lenins Eltern waren nicht richtig arm. Also hat die sozialistische Bewegung nichts mit den sozialen Verhältnissen zu tun. Mit dieser Methode der kurzen Schlüsse hat Lévy auch entdeckt "dass es einen Himmel gibt" und "die Verzweiflung bei Vezzoli". Und wie hat er das rausgefunden, unser BHL? In dem er über Vezzoli vermutet: "Kennt der Derrida? Ich habe nie mit ihm darüber gesprochen. Kennt er Baudrillard? Auch darüber habe ich nie mit ihm gesprochen." Auch "Ein Dahinter, das keine Andersheit darstellt", kennt Vezzoli möglicherweise nicht, denn auch "darüber haben wir nie gesprochen." Was BHL mit Vezzoli verbindet, könnte ein Video sein, dass Vezzoli auf der letzten Biennale vorgestellt hat. Dort posieren Sharon Stone und BHL als fiktive US-Präsidenschaftskandidaten. Ach, hätten sie doch nie darüber gesprochen, denn moderne Kunst und wirkliche Philosophie gedeihen am besten im Reich der Vermutung, im Dunst der Ahnung, auf dem Markt des Örtchens Dahinter, gleich rechts von Andersheit. Oder im Magazin der "Süddeutschen Zeitung".