In Frau Merkels jüngster Regierungserklärung donnerte und blitzte es: Russland soll raus aus der Gruppe der G8, statt dessen muss die Ukraine jetzt erst recht Mitglied der EU werden, und dann warf General Merkel noch ein paar Sanktionsdrohungen hinterher. Nur wie nebenbei tauchte in all dem Gefechtslärm das EU-Freihandelsabkommen mit den USA , das TTIP auf: "Es muss zu schaffen sein", forderte die Merkel in Vorbereitung des EU-Gipfels Ende März. Häh? Was muss denn da zu "schaffen" sein? Eine Frage, die keine Antwort kennt. Denn die Grundzüge dieses Abkommen sind völlig geheim. Kaum weiß man wer da verhandelt, geschweige, dass ein Papier vorläge, das man diskutieren könnte. Zwar betrifft das Abkommen 800 Millionen Menschen, aber es wurde noch keinem Parlament vorgelegt, weder den europäischen noch den nationalen Volksvertretungen.

Es sind zumeist namenlose Vertreter von Großkonzernen und wirtschaftlichen Interessengruppen, die über das TTIP beraten und fast 50 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistungen damit regeln wollen. Man muss davon ausgehen, dass sich die Regeln in einem Wort ausdrücken lassen: Profit. Dafür stehen auch zwei der wenigen bekannten Gesichter im Kuhhandel um noch mehr Freiheit für die Wirtschaft. Der Chefunterhändler für die USA ist Ron Kirk. Neben einer mäßigen politischen Karriere zeichnet ihn seine Partnerschaft in der texanischen Anwaltskanzlei Vinson & Elkins aus, eine der üblich-üblen amerikanischen Lobby-Läden. Noch ein wenig übler ist der europäische Chefunterhändler: Karel De Gucht. Dass der Mann als Minister der belgischen Bundesregierung des Insiderhandels im Fall der drohenden Insolvenz der Fortis Bank beschuldigt und wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, gehört wahrscheinlich zur Grundausstattung des freien Händlers.

Aus den geleakten europäischen Leitlinien für das TTIP-Abkommen weiß man, dass die Handelsfreiheit auf "die beiderseitige Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen" abzielt und erschauert: Liberalisierung, die Zerschlagung staatlicher Regelung der Wirtschaft hat unmittelbar zu dem Desaster jener brutalen Finanzkrise geführt, deren Folgen immer noch nicht beseitigt sind. Und deren Rücknahme Jahr für Jahr versprochen und gebrochen wird. Jetzt also noch mehr Freiheit für Banken, Hedge-Fonds, Zocker? An keinem Beispiel der angestrebten Handelslibertinage ist der irre Charakter des TTIP besser zu erkennen als am "Investitions-Schutz".

"Der geplante sogenannte Investitionsschutz", so schreibt Wikipedia kühl, "sieht vor, dass ein ausländischer Investor den Gaststaat wegen `indirekter Enteignung´ auf Erstattung entgangener (auch künftiger) Gewinne verklagen kann. Die Klage ist beispielsweise dann möglich, wenn ein Staat neue Umweltauflagen oder ein Moratorium (etwa für Fracking) beschließt." Als ein Vorläufer dieser wunderbaren Geldvermehrung darf der Streitfall "Philip Morris gegen Uruguay" gelten. Der Tabak-Freihändler Philip Morris klagte, dass Warnungen vor Gesundheitsschäden auf Zigarettenpackungen seinen Marktanteil negativ beeinflussten. Es dürfe ja wohl ein Recht auf Krebs geben. Verhandelt wird der Fall vor einem "Weltbank-Tribunal", einem Schiedsgericht in Wirtschaftsfragen. Schon, dass dieses Schiedsgericht diesen Fall angenommen hat, ist ein Skandal. Noch skandalöser sind die ernannten, nur ja nicht gewählten Exekutiv-Direktoren des Gerichtes. Unter ihnen die Deutsche Ingrid G. Hoven. Die war mal Abteilungsleiterin im Entwicklungsministerium. Und sonst? Sonst hat sie einen klandestinen Aufsatz mit dem Titel "Elemente und Erfahrungen in der Reorientierung staatlicher Ausgaben in Guatemala" geschrieben, der die alte Leier von der Privatisierung des staatlichen Sektors spielt, eine Melodie, die schon mehr als einen Staat in die Pleite geführt hat.

Das TTIP soll so etwas wie eine Wirtschafts-NATO werden. Eine Gewaltnummer, die von Lori Wallach, der Chefin der größten Verbraucher-Schutzorganisation der Welt "Public Citizen", als "die große Unterwerfung“ der Teilnehmerstaaten unter die Interessen von Großkonzernen und als "Staatsstreich in Zeitlupe“ bezeichnet wurde. Das ist jene Freiheit, die Frau Merkel auch für die Ukraine herbeisehnt. Erst ein auch von Frank Walter Steinmeier orchestrierter Staatsstreich, danach die Aufnahme in die NATO, begleitet von einer feindlichen Übernahme durch den IWF (Internationalen Währungsfonds), um dann endgültig durch das TTIP von den Resten der Souveränität befreit zu werden, weil ja die zur Zeit einzig gültige, hehre, menschenrechtlich verbriefte Freiheit im Handel liegt. Arme Ukraine. Sie braucht dringend eine Revolution. Nur orange sollte sie besser nicht sein.