Souveränität, schreibt Meyers Lexikon in einer älteren DDR-Ausgabe, sei das Recht eines Staates frei, nach eigenem Ermessen über seine inneren und auswärtigen Angelegenheiten zu entscheiden. Meyers West-Ausgabe stimmt dem zu und schließt, verschärfend, eine äußere Fremdherrschaft drakonisch aus. So eine staatliche Souveränität ist also das organisierte, kollektive Recht einer Nation über sich und ihr Geschick selbst zu bestimmen. Solange es die beiden deutschen Staaten - die tapfer von sich behaupteten, sie seien souverän - noch gab, war deren Souveränität natürlich recht beschränkt. Eingebunden in die Zweiteilung der Welt und die jeweiligen Militärblöcke, war zumindest die Außen-und Militärpolitik der BRD und der DDR fremdbestimmt. Der West-Meyers nennt das fein eine "Suzeränität" und der Suzerän der einen war die USA und der anderen die UdSSR. Diese Fremdherrschaft fand allerdings in beiden Fällen die weitgehende Zustimmung der Führungsschichten beider deutschen Länder.

Die USA hatten in der Beschränkung anderer Staaten Souveränität eine lange Erfahrung und auch einen festen Begriff dafür: Die Monroe-Doktrin. Sie wurde nach dem US-Päsidenten James Monroe (1816 - 1825) benannt und war die politische Grundlage für die Missachtung der Selbstständigkeit aller lateinamerikanischen Nachbarn der USA: Seit 1823 intervenierten die USA mehr als hundert Mal militärisch in den Staaten Mittel- und Lateinamerikas. Und wer in diesen Tagen die Dokumente des amerikanischen Geheimdienstes über den Mordanschlag auf Fidel Castro nachliest, der weiß wie umfassend der Begriff der Intervention gemeint war. Dass sich das Einmischungsprinzip der USA nicht auf Lateinamerika begrenzte, ist von Korea über Vietnam bis zum Nahen Osten und bis heute ohne Anstrengung zu beobachten. Die weitaus jüngere, wenn auch zwischenzeitlich verstorbene Sowjetunion, kannte die Breshnew-Doktrin, jene Erfindung, nach dem sowjetischen Staatschef Leonid Breshnew benannt, die von einer "beschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten" ausging und den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen vom August 1968 im Nachhinein legitimieren sollte. Und spätestens mit der Besetzung Afghanistans 1979 folgte die UdSSR dem Beispiel der USA, die Souveränität auch jener Völker zu missachten, die nicht im eigenen Hinterhof lebten.

Nun hätte man denken können, mit dem Beginn der deutschen Einheit und der Implosion des Sozialismus wäre die begrenzte Souveränität des nunmehr geeinten Deutschlands einer völligen Handlungsfreiheit gewichen. Die Sowjetunion hatte sich aufgelöst, der Kampf der Systeme war von den USA gewonnen worden und der Freiheit selbstständiger Entscheidungen schien nichts mehr entgegen zu stehen. Doch Souveränität ist keineswegs eine Freiheit an sich. Sie ist eine der nützlichen, der von Interessen geleiteten Freiheiten, in denen die unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Länder zum Ausdruck kommen. Während die Bundesrepublik, als extrem vom Export bestimmtes Land, eher an friedlichen Außenbeziehungen als Grundlage für ungestörten Handel interessiert sein sollte, ist der große Binnenmarkt der USA, ein großer Rohstoffverbraucher, primär an der Sicherung seiner Materialzufuhr interessiert und orientiert die Aussenpolitik der Vereinigten Staaten genau auf diesen Punkt.

Wenn zur Zeit die amerikanische Börsenaufsicht (SEC) von deutschen Firmen behauptet, dass sie "indirekt terroristische Länder unterstützt" hätten - eine Behauptung die schwere geschäftliche Schäden verursachen kann - dann ist auch darin der Unterschied zwischen amerikanischer und deutscher Position sichtbar: Es geht um Märkte, um Profit und um Konkurrenz. Niemand sollte von deutschen Unternehmen glauben, sie würden im Handelsfalle grundsätzlich ein polizeiliches Führungszeugnis von ihren Partnern verlangen. Aber von einem Land wie der USA, das sein Öl primär aus Diktaturen bezieht und seine Waffen schon so ziemlich jedem schmutzigen Unterdrückungsapparat auf dieser Erde angedient hat (außer er galt als `kommunistisch´), könnte man bei einer Denunziation ein wenig Vorsicht erwarten. Wenn man in der Liste der von der SEC als `terroristisch´ eingestuften Länder neben den üblichen Verdächtigen wie Iran und Korea auch Kuba findet, das bisher nicht einmal von den Märchenerzählern des britischen Geheimdiensts als terroristisch qualifiziert wurde, dann weiß man worum es geht: Um Einflusssphären, um Handelsvorteile, um Futterneid und um Drohungen zur weiteren Begrenzung der Souveränität Deutschlands.

Die Eingrenzung staatlicher Handlungsfreiheit, die außenpolitische Unterordnung unter die USA, für den Westteil Deutschlands früher mit der angeblichen kommunistischen Bedrohung begründet, findet ihre Scheinlegitimation heute in der üppig genutzten `terroristischen Gefahr´. Mal sind es die Übermittlung deutscher Flugdaten an US-Behörden, die immer dann Beruhigung auslöst, wenn alle Passagiere Schweinefleisch gegessen haben, dann ist es die Totalkontrolle des Internets über ICANN, jener "Weltregierung des Internets", die dem US-amerikanischen Handelsministerium untersteht. Selbst das heilige Bankgeheimnis, sonst gerne von deutschen Regierungen aller Couleur verteidigt, darf von den USA gebrochen werden: Ein belgischer Bankdienstleister, bei dem alle europäischen Bankbewegungen elektronisch zusammenlaufen, muss seine Daten regelmäßig der CIA überlassen. Dass die deutsche Verwicklung in die Kriege im Nahen Osten einem Diktum der USA folgt, versteht sich. Nur schwer verständlich ist, warum deutsche Regierungen ihr bisschen an nationaler Souveränität immer weiter eingrenzen lassen und wie demonstrativ und ruppig sich die USA ihr Recht der ersten Macht nehmen.

Dass sicher nur vorläufig letzte Beispiel von imperialer Attitüde ist die Ernennung Tony Blairs, des britischen Giftgasexperten, zum Sondergesandten des Nah-Ostquartetts. Bush ernannte Blair persönlich, das Quartettmitglied Deutschland wurde gar nicht erst gefragt. Zwar war der deutsche Außenminister ein wenig verstimmt, aber Zweifel an der Eignung des ehemaligen britischen Premiers mochte er auch nicht äußern. Vielleicht liegt hier der Grund für die eingeschränkte Souveränität Deutschlands: Wer so beschränkt ist, den Iran-Kriegs-Kumpel des Herrn Bush nicht in Zweifel zu ziehen, nicht dringlich darauf aufmerksam zu machen, dass man mit der Ernennung Blairs die arabischen Verhandlungspartner öffentlich demütigt und so, statt die gefährliche Lage zu entspannen, das sprichwörtliche Öl ins offene Feuer gießt, der ist einfach nicht reif für eigenständiges Handeln.

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