Michael Naumann ist, nach einer Pause für seinen Wahlkampf, wieder Mitherausgeber der »Zeit«. Jener pfundschweren Zeitung, die einmal in der Woche gewöhnliche Gesichtszüge zu wissenden verklärt, und die, unter dem Arm getragen, Ausdruck hoher Weihen ist. Eine Zeitung die man aber nicht lesen sollte, wenn man sich seine Illusionen über deren Mythos erhalten möchte. Die »Zeit«, bekannt für ausgefeilte Sprachakrobatik, kommt uns in der vorliegenden Ausgabe umgangssprachlich: »Wie ticken die Linken« fragt sie auf der ersten Seite. Da klingt natürlich auch an, ob die Linken noch ganz richtig ticken, oder ob es bei denen tickt und ob man vielleicht auf einer tickenden, linken Zeitbombe sitzt. Ein Team von Großdenkern soll an dieser Überschrift gesessen haben, tagelang. Und am Ende kreisste der Eisberg.

Dass Michael Naumann zurück an Bord ist, wird vor allem für die aktuelle Ausgabe wichtig. Denn der schöne Herr Naumann schwor unschön beim Leben seiner Kinder, dass er, wäre er denn in Hamburg gewählt worden, auf keinen, aber auch auf gar keinen Fall mit der Partei "Die Linke" koaliert hätte. Das macht ihn zum Kenner der Linken. - Was wäre gewesen wenn es zu einer SPD-Linke-Koalition gereicht hätte? Hätte Naumann, im Interesse des Wählerwillens versteht sich, seine Kinder umgebracht, hätte er sich selbst entleibt? Wir wissen es nicht. Bekannt ist, dass Naumann, auch der »Linken« wegen, die Wahl nicht gewinnen konnte. Die Antwort ist auf einer der großen Doppelseiten der »Zeit« zu lesen. Es geht um »Die rote Seele».

Die tiefenpsychologische Analyse der Naumann & Co. beginnt mit dem Musiker Josef Bierbichler. Der hatte mal, so steht es geschrieben, ein ungutes Gefühl, als er über den Lohnabstand zwischen sich und einem Bauarbeiter nachdachte. Die »Zeit« weiß, dass dies ein «Gefühl ohne Folgen« sein muss, denn was sollte man schon tun, um soziale Unterschiede zu mildern? Diese antwortlose Frage kennen der Stammtisch und auch die Leute mit der »Zeit« unter dem Arm. Sollte der Bierbichler etwa mauern? Das gäbe schöne Wände! Auf der Suche nach der »Roten Seele« treffen die Zeit-Schreiber auch auf den Regisseur Peymann. Dem entlocken sie, in welchem Zusammenhang auch immer, einen Neid auf den Theaterregisseur Peter Stein, der angeblich mal Kommunist war und heute aber Monarchist sein müsse, immerhin sei er Herr über 10. 000 Olivenbäume.

Das ist ein leidiges, dummes Geschwätz, das geht schon seit Friedrich Engels so: Warum verkauft der Herr Engels denn nicht seine Fabrik in Wuppertal, wenn er doch die Arbeiter befreien will? Was untersteht sich Marx, dicke Zigarren zu rauchen, Rotwein zu saufen, aber die Revolution machen wollen! Brecht war auch so einer. Und immer mit mehr Weibern ausgestattet, als es sich der durchschnittliche Zeit-Redakteur leisten kann! Das soll nun links sein, fragt sich der Redakteur mit hochrotem Kopf und überlässt dem zu empörenden Leser die Antwort. Denn beide, Leser wie Redakteur sind natürlich eingefleischte Linke, wie man auf den Wirtschaftsseiten der aktuellen Ausgabe lesen kann, auf denen dem stellvertretenden US-Finanzminster devote Fragen zur US-Finanzkrise gestellt werden, die der Mann mit handelsüblicher Glätte beantwortet. Wahrscheinlich hat auch er eigentlich eine rote Seele.

Ein wirklicher Höhepunkt der Linken-Präsentation auf der Zeit-Doppelseite ist Walter Riester. Er hat die gleichnamige Rente erfunden, als festststand, dass die nächsten Genrationen entweder kleine oder keine Renten mehr bekommen würden. Dafür lässt er sich noch heute feiern und gut bezahlen: Bei den Banken- und Versicherungs-Meetings, auf denen er Angestellte fit macht für die Popularisierung dieser Rente. Warum die staatlichen Rentenkassen nicht auch eine Zusatzversicherung hätten anbieten können, warum den Versicherungskonzernen mit der Riesterrente ein Supergeschäft zugeschoben wurde, dass mag der linke Riester nicht beantworten. Statt dessen darf er in der »Zeit« dem Lafontaine hinterher rufen, dass der »kein echter Linker sei» und nur »Uraltideen« präsentiere. Da ist der Riester ganz anders, der hatte wirklich mal eine neue Idee für den Bauernfang.

Ach, wenn doch die Leute von der »Zeit« des Deutschen mächtig wären, oder auch nur des Denkens: Bei den Linken träfe man keine strahlenden, erfolgreichen Menschen, auch Siegertypen seien dort eher selten und deshalb wäre die Blässe des Zweifels bei den Linken dominant, schreiben sie. Wollten sie wirklich sagen, dass der Siegertyp eher blöd ist? Denn einer ohne jeden Zweifel kann nur blöd sein. Haben sie noch nie erfahren, dass der Zweifel einem produktiv die Zornesröte ins Gesicht treiben kann? Wahrscheinlich sind alle Zeit-Schreiber bei Herrn Naumann in die Schule gegangen und bringen lieber ihre Kinder um, als auch nur einen Zweifel an ihrer verstrahlten Grundhaltung zuzulassen.

Wie bei allen fragwürdigen Papieren findet sich auch auf den Seiten der »Zeit« die Überraschung im Kleingedruckten: Kaum lesbar enthält der Artikel einen Verweis auf eine Fortsetzung im Internet. Dort findet dann ein für die »Zeit« schwer verdauliches Stück Wahrheit statt: Eine eigene Demoskopie findet heraus, das sogar die Mehrheit der Unionswähler lieber mit 65 Jahren in Rente ginge, und sie wären auch (ähnlich wie fast alle anderen Wähler) mit immerhin 71 Prozent für den Staatsbesitz an Bahn, Telekom und Stromkonzernen. Zuwenig Gerechtigkeit gäbe es, sagt eine Mehrheit der Deutschen und will sogar den Mindestlohn und, mit mehr als zwei Dritteln der Befragten, dass wir aus Afghanistan verschwinden. Selbst bei einem Kernthema der Linken, dem Nein zur Privatisierung von Staatsunternehmen, hat sie Anhänger in der Wählerschaft der anderen Parteien: 72 Prozent der SPD-Wähler, 71 Prozent der Unionsanhänger und immer noch mehr als 50 Prozent der FDP-Truppen haben einen tiefen Widerwillen gegen die Privatisierung.

Solche Umfragezahlen gehören natürlich nicht ins Blatt, die müssen im Netz versteckt werden. Damit dieser gefühlte Sozialismus aber nicht überschwappt, wird er vom zuständigen Zeit-Redakteur flugs richtig eingeordnet: »Der neue Linksruck hat auffällig wenig mit Aufbruchsgeist und viel mit Verunsicherung zu tun. Viele bewahrende, linkskonservative Motive mischen sich darin: Sehnsucht nach dem alten Sozialstaat mit Rundum-sorglos-Paket, die Versuchung des weltpolitischen Rückzugs aus einer komplexen und feindlichen Welt« kommentiert die »Zeit» und bestätigt so das, was ihr Leser längst weiß: Das Volk ist dumm, die Politik ist schlau, am klügsten aber ist die »Zeit«.